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Kultur: Das Recht der Starken

Koks und Klischees: Frederick Forsyths Thriller „Cobra“ über die kolumbianische Drogenmafia

Verblüfft liest man die letzten Zeilen und geht im Kopf die Geschichte noch einmal durch. Auf der Suche nach Hinweisen, die man vielleicht übersehen hat, nach einem undurchsichtigen Handlungsstrang. Wie in seinen Romanen „Die Hunde des Krieges“ oder „Des Teufels Alternative“ wartet Frederick Forsyth auch am Ende seines zwölften Thrillers mit einer unvorhergesehenen Wendung auf. Sie entschädigt ansatzweise für eine Handlung, die zäh beginnt und spät an Fahrt gewinnt. „Cobra“ ist investigativer Journalismus in Romanform. Für seine Geschichte über den Kokainhandel hat der 72-jährige Brite wieder akribisch recherchiert und bringt viele seiner Erfahrungen als Reporter für Reuters und die BBC mit ein. Das hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorzügen zählt, dass man viele Hintergrundinformationen und technische Details bekommt, viele Zusammenhänge klarer werden. Dafür zieht sich die Handlung zuweilen wie Kaugummi. Nebensächlichkeiten werden so lange aneinandergereiht, bis der letzte Rest eines Spannungsbogens verschwunden ist. Weiteres Opfer der ausufernden Beschreibungen sind die Figuren. Sie sind ohne psychologische Tiefe und bleiben enttäuschend eindimensional.

Zwei der Hauptpersonen sind den Forsyth-Lesern bereits aus „Der Rächer“ vertraut: Calvin Dexter, ein Vietnamveteran und Rechtsanwalt aus New Jersey, dessen halbwüchsige Tochter vor zwanzig Jahren von einer Gang entführt und ermordet wurde. Sowie Paul Devereaux, ein pensionierter CIA-Spion mit dem Gedächtnis eines Elefanten und dem Spitznamen Cobra. Letzterer wird im Herbst 2010 vom amerikanischen Präsidenten beauftragt, die Kokainindustrie zu zerschlagen. Leichter gesagt als getan. Devereaux' Forderung: ein Budget von zwei Milliarden Dollar, neun Monate Vorbereitungszeit und die juristische Einstufung des Rauschgifthandels als terroristischen Akt. Mit dem kolumbianischen Drogenkartell soll verfahren werden, als wäre es Al-Quaida. Höchste Geheimhaltung versteht sich da von selbst. Die Cobra weiß: „Ein Geheimnis zwischen drei Männern konnte man nur bewahren, wenn zwei von ihnen tot waren.“ Frederick Forsyth zeigt die Funktionsweise des Kokainhandels in all seinen Facetten: Herstellung, Strukturen, Mengen. Kokain ist das Produkt mit der größten Gewinnmarge der Welt: Eine Tonne hat einen Straßenverkaufswert von siebzig Millionen Dollar, der jährliche Profit beläuft sich auf knapp vierzig Milliarden.

Der Schlag gegen die Drogenbarone erfordert bilaterale Zusammenarbeit. US-Präsident Barack Obama bittet den britischen Premierminister David Cameron um Unterstützung. Beide Politiker sind die einzigen real existierenden Personen, die Forsyth kein einziges Mal namentlich erwähnt – im Gegensatz zu ihren Ehefrauen oder den kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und Juan Manuel Santos Calderón. Als rechte Hand der Cobra, die von Washington aus die Operation steuert, fliegt Calvin Dexter um die halbe Welt, um die nötigen Maßnahmen zu veranlassen. Agentenklischees gibt es in diesem Roman zuhauf: falsche Pässe, Computerhacker, waghalsige Fluchten an Hubschrauberleitern. Die Schauplätze wechseln fast mit jeder neuen Seite: London, Madrid, New York, Bogotá, Mailand, Nassau, Quinhamel. Getreidefrachter werden zu getarnten U-Boot-Fallen umgebaut, ein unbewohntes Atoll im Indischen Ozean mutiert zu einem Gefängnis, und auf den Kapverden entsteht ein geheimer Flugplatz für eine restaurierte Blackburn Buccaneer.

Vor allem bei den enthusiastischen Beschreibungen der Kampfflugzeuge scheint durch, dass Frederick Forsyth Ende der fünfziger Jahre einer der jüngsten Piloten der Royal Air Force war. Die Vorbereitungen des Unterfangens unterbricht er immer wieder mit detaillierten Schilderungen von Drogenlieferungen.

Der tatsächliche Kampf gegen Don Diego Esteban und sein Kartell beginnt erst in der zweiten Hälfte des Romans. Beide Seiten schrecken vor nichts zurück: Die Kolumbianer foltern und töten, auch Frauen und Kinder – und auch Dexter und seine Mitstreiter halten Schmuggler ohne Prozess fest, entführen Menschen und schießen Flugzeuge über dem Atlantik ab. Der Zweck heiligt die Mittel. Als Europa und die USA am Ende von einer Welle der Gewalt heimgesucht werden, weil Devereaux die Verbrecher gegeneinander aufhetzt, wird es Barack Obama zu viel. Im Frühjahr 2012 befiehlt er den Abbruch der Operation und versetzt die Cobra wieder in den Ruhestand.

Frederick Forsyths moralischer Standpunkt ist offensichtlich: Es gilt das Recht des Stärkeren. Das Kartell gehört um jeden Preis ausgeschaltet. Der Tod Unschuldiger wird als Kollateralschaden in Kauf genommen. Zwar gelingt es Forsyth, im letzten Viertel des Romans für Spannung zu sorgen. Doch er macht es sich zu einfach. Für die Agenten ist kein Hindernis unüberwindbar, jeder Plan klappt wie am Schnürchen. Diese Vorhersehbarkeit wird irgendwann sehr langweilig. Keine einzige Panne, kein noch so kleines Missgeschick – und das im Kampf gegen die mächtigste Verbrecherorganisation der Welt. „Cobra“ wirkt zu konstruiert und schematisch, um ein guter Thriller zu sein. Selbst einem James Bond gelingt schließlich nicht alles.

Frederick Forsyth: Cobra. Roman. Aus dem Englischen von Rainer Schmidt.

C. Bertelsmann Verlag, München 2010, 400 Seiten, 22,99 €.

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