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Glanz des Goldes. Halskette mit Widderkopf, Griechenland 600-550 vor Christus, Antikensammlung.

© Stefan Büchner/Staatliche Museen zu Berlin

Das schmückt Berlin: Kostbar wie ein Käferflügel

Gold, Glas, Geltungssucht: Der Prachtband „25 000 Jahre Schmuck“ zeigt Preziosen aus Berliner Museen.

Der schwule Friseur in Friedrichshain trägt ihn. Thailändische Frauen trugen ihn. Und auch der modebewusste Inka von Welt hat sie gerne getragen: Ohrpflöcke, unter Piercing-Fans Ohrtunnel genannt. Dieser das Ohrläppchen weitende Körperschmuck ist heute wieder so angesagt wie vor 100 Jahren in Asien oder gar vor 1000 Jahren in Mexiko. Alexander von Humboldt hat einen fein gearbeiteten Pflock aus Obsidian vor mehr als 200 Jahren von einer Forschungsreise mit nach Berlin gebracht. Da lagert er nun im Ethnologischen Museum in Dahlem und erzählt davon, dass die vorspanischen Kulturen Mesoamerikas sehr viel mehr von den Lichtreflexen dieses vulkanischen Glases fasziniert waren als vom als „gewöhnlich“ empfundenen Glanz des Goldes, nach dem die spanischen Kolonialisten so gierten.

Nachzulesen und anzuschauen ist das im von Stefan Büchner präzise und anmutig fotografierten Prachtband „25 000 Jahre Schmuck“. Am Mittwochabend wurde das einzigartige Gemeinschaftsprojekt der Staatlichen Museen Berlin in der Kunstbibliothek am Kulturforum vorgestellt, wo gerade auch die bis 3. November verlängerte Modeschmuck-Ausstellung „Luxury for Fashion“ läuft. Da alle 14 Sammlungen ihre Schatzkammern für das Buchprojekt geöffnet haben, rückte ein Rekordaufgebot an Sammlungsleitern, angeführt vom Generaldirektor Michael Eissenhauer an. Er begreift das Trumm von Buch als geglückten Beleg dafür, einem Universalmuseum, ja einem Schatzhaus der ganzen Menschheit vorzustehen. Wobei die 400 darin gezeigten Schmuckstücke natürlich nur einen Bruchteil der tatsächlichen Sammlungsbestände aus dem Kunstgewerbemuseum, Ägyptischen Museum, der Antikensammlung oder eben dem Ethnologischen Museum umfassen.

„Nichts ist dem Menschen, dem Körper näher als Schmuck“, sagen die beiden Herausgeberinnen Maren Eichhorn-Johannsen und Adelheid Rasche, wenn sie ihre Faszination für Geschmeide beschreiben. Und tatsächlich dringen Ohrpflöcke im Gegensatz zur Kleidung ja sogar ins Fleisch ein. Eheringe werden getragen bis sie nicht mehr vom angeschwollenen Finger wollen. In der mittelalterlichen islamischen Welt trugen Frauen ihren Goldschmuck ständig. Der Zierrat hatte eine wichtige soziale Funktion: als Geldanlage. Im Scheidungsfall durfte die Frau mitnehmen, was sie am Leibe trug.

Das verdeutlicht auch gleich schön die übergeordnete Prämisse, die über den 20 die Fotos flankierenden Aufsätzen des Buches steht: Schmuck ist mehr als billiger Tand oder edle Dekoration. Er ist ein Körperzeichen, eine Chiffre, ein komplexes Artefakt, das von den Hierarchien, dem Sozialprestige, den religiösen Überzeugungen, den ästhetischen Normen und den technischen Fertigkeiten und künstlerischen Vorlieben seiner Zeit erzählt. Und dass etwa im Alten Ägypten die Goldschmiede in der Residenz des Pharaos arbeiteten, der seine verdienten Beamten bevorzugt mit Schmuck beschenkte. Oder in Berlin, wo Prinzessin Marianne von Preußen 1813 die Damen des Landes aufrief, ihren Goldschmuck gegen Ketten und Ringe aus Eisen einzutauschen, um die Befreiungskriege gegen Napoleon zu finanzieren. Der schwarze, wie geklöppelte Spitze aussehende Berliner Eisenschmuck war modisches Accessoire und zugleich Politik.

Welche Macht und Manipulationskraft Schmuck haben kann, hat keiner besser als J. R. Tolkien begriffen, in dessen Romantrilogie „Der Herr der Ringe“ die Welt beherrscht, wer den einen, magischen Ring hat. Oder Popstar Madonna, die mit ihrer jüngst zur Schau gestellten güldenen Zahnspange, dem aus der HipHop-Kultur entlehnten „Grill“, sorgfältig kalkuliertes Aufsehen erregt hat. Dieser heutigen Barbarisierung von Schmuck, wie Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek, das nennt, steht ein rührend ungelenkes Schmuckstück aus der Altsteinzeit gegenüber. Das älteste im Bildband gezeigte Schmuckstück, ein frühes Zeugnis menschlicher Selbstvergewisserung. Ein zapfenförmiger Anhänger aus Mammutelfenbein, 25 000 Jahre alt, in Frankreich gefunden und in Berlin im Museum für Vor- und Frühgeschichte aufbewahrt. Welcher anonyme Schnitzer die kleine Kostbarkeit auch immer mit den kümmerlichen Werkzeugen seiner Zeit hergestellt haben mag: ein Barbar, also ein unzivilisierter Mensch wollte er nicht länger sein. Wobei der Zeitstrahl, den die chronologisch – also von der Steinzeit über Bronzezeit, Antike, Mittelalter, Neuzeit bis jetzt – dargestellten Schmuckstücke die Erkenntnis ermöglichen, dass Handwerkkunst nicht unbedingt besser wird, nur weil sie aus dem für seinen Schmuck zu Recht berühmten  Jugendstil oder gar von heute ist. Die wunderbare Goldschmiedekunst der einige hundert Jahre vor Christi Geburt lebenden Etrusker etwa, die die Granulation, eine besondere Art, Goldbleche mit winzigen Kugeln zu verzieren, beherrschten, ist einzig in der Welt geblieben.

Zu einzigartig, archäologisch fragil, oder schwierig in Vitrinen zu zeigen sind denn auch einige der nicht nur aus Edelsteinen, sondern auch aus Käferflügeln, Haaren, Federn oder Stachelschweinborsten gefertigten Schmuckstücke. Eine Ausstellung zum Buch wird es deswegen vorerst nicht geben.

Maren Eichhorn-Johannsen/Adelheid Rasche (Hrsg.): 25 000 Jahre Schmuck, Prestel Verlag, München 2013, 384 S., 59 €

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