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Giordano Brunos Standbild in Rom

© AFP

Kultur: Das schwarze Schiff des Satans

Die Kirche hat gesiegt, die Aufklärung verloren: über die Statue des Philosophen Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori in Rom. Ein Essay über Christen und Ketzer zum „Heiligen Jahr der Barmherzigkeit“ / Von Benjamin Korn.

Im Zentrum Roms, auf dem Campo dei Fiori, steht auf mächtigem Sockel das Denkmal eines Mannes in Mönchskutte, dessen Gesicht man selbst bei hellem Tageslicht nicht erkennt, da es von einer ausladenden Kapuze verborgen wird. Man kann seinen düster in die Ferne gerichteten Blick nur erahnen, in seinen Händen hält er einen Folianten.

„Das ist ein Ketzer“, zischte neben mir ein Mann in bayerischem Tonfall seiner Begleiterin zu. Das von Papst Franziskus verfügte „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ 2016 hatte gerade begonnen und die Pilger strömten, auf dem Weg zu einer Segnung, einem Ablass, einem Bußgottesdienst, unaufhörlich am Denkmal des italienischen Renaissancephilosophen vorbei. An einem weit zurückliegenden Wintertag, sonnig wie der heutige, waren sie zusammengekommen, sensationslüsternes Volk, betende Mönche, weit gereiste Pilger und fünfzig Kardinäle, um der Hinrichtung des „gotteslästerlichen Dominikanermönchs“ beizuwohnen, die Papst Clemens VIII bis zum 17. Februar des von ihm verfügten Jubiläumsjahrs1600 hinausgezögert hatte. Man hatte den Wortgewaltigen, aus Angst, er könne jetzt noch das Volk aufwiegeln, mit einem durch die Zunge geschlagenen Nagel zum Schweigen gebracht, ihn nackt ausgezogen und unter frommen Gesängen kopfüber auf den Scheiterhaufen gebunden. Als man das Feuer an die Holzscheite legte und ihm das Kreuz vors Gesicht hielt, wandte der Sterbende verächtlich den Kopf ab.

Brunos Statue ist mit Blick auf den Peterdom ausgerichtet

„ So ist er elendiglich geröstet eingegangen“, schrieb der Konvertit Kaspar Schopp an einen deutschen Freund. Eine Woche zuvor hatte man den Philosophen in einem Schauprozess „wegen achtfacher Häresie“ – er hatte alle zentralen Dogmen von der unbefleckten Empfängnis Mariens bis hin zur Gottessohnschaft Christi geleugnet – zum Feuertode verurteilt. Die Inschrift am Boden des Sockels lautet: „FÜR BRUNO DAS JAHRHUNDERT DAS ER ERAHNTE HIER WO DER SCHEITERHAUFEN BRANNTE.

Die Ferne, in die die Statue zu blicken scheint, ist in Wahrheit sehr nah, ein Kilometer Luftlinie vom Campo dei Fiori entfernt. Der finstere Giordano Bruno des Bildhauers Ettore Ferrari schaut pfeilgerade zum Petersdom, ins Herz der Christenheit. Er starrt den Erben seiner Exekutoren entgegen. Und was sähe er 2016, über vier Jahrhunderte nach seinem Tod? Eine Kirche, die auch nur eines ihrer Dogmen modifiziert hätte (statt ihnen das vermessene der „päpstlichen Unfehlbarkeit" hinzuzufügen)? Nein, er sähe wie damals das bunte Treiben eines „Jubeljahres“: Fußwaschungen und Massentaufen, Bußliturgien, Nachtwachen und Generalaudienzen, Spendenaufrufe und Kollekten, Passionen und Prozessionen: „Götzendienst“, wie Bruno lästerte.

Blick auf den Petersdom
Blick auf den Petersdom

© picture alliance / dpa-tmn

Dabei gab es einmal eine Zeit, in der all dieser ritualisierte katholische Zauber kaum noch Macht über Italien hatte. Im Jahre 1889, exakt hundert Jahre nach der französischen Revolution, ist der Vatikan kein Kirchenstaat mehr und steht kurz davor, als politische und geistige Kraft aus Italien hinauskatapultiert zu werden. Das von einer revolutionären Studentenbewegung initiierte, vom Papst unerbittlich bekämpfte Denkmal ist dabei, von den antiklerikalen Kräften Italiens, von Garibaldisten, Anarchisten und Freidenkern, Sozialisten und Gewerkschaftlern am Ort des Autodafés errichtet zu werden. Fast in Sichtweite von Sankt Peter! Die Konfrontation, in der die Existenz der Kirche und die Zukunft Italiens auf der Kippe stehen, ist von unvorstellbarer verbaler Brutalität. Weltberühmte Dichter, Walt Whitman, Henrik Ibsen, Viktor Hugo werfen sich für das Projekt in die Schanze. Giuseppe Garibaldi, der die Einigung Italiens vorantreibt, nennt das Papsttum „ein Krebsgeschwür, das man aus Italien herausreißen muss“, und unterstützt mit einer symbolischen Geldspende die Denkmals-Idee. Der „Osservatore Romano“, das Sprachrohr des Heiligen Stuhls, tauft es das „schwarze Schiff des Satans“.

Die Mächte der Aufklärung haben verloren

Aus dem Schiff ist heute eine unscheinbare Nussschale geworden. Am Todestag Brunos versammelt sich alljährlich ein Häuflein von knapp 200 bejahrten „Freidenkern“ an der Statue und lässt sich von einem Blasorchester der Gendarmerie die Nationalhymne und alte Freiheitsmärsche vorspielen, bevor es sich, nach einigen nostalgischen Reden, lautlos zerstreut. Die Mächte der Aufklärung haben verloren, die des Glaubens auf ganzer Linie gesiegt. Staatschef Renzi macht mit seiner Frau, die er bei den katholischen Pfadfindern kennenlernte, dem „Heiligen Vater“ regelmäßig seine Aufwartung, und der von Mussolini und dem Vatikan 1929 unterschriebene Lateran-Vertrag, der den Katholizismus als Staatsreligion einsetzte – samt obligatorischem Religionsunterricht und Kruzifix in allen Schulen –, ist heute wirksamer denn je.

Die Prozessionen des „Barmherzigkeitsjubiläums“ locken zehntausende Gläubige an. Der Wundmale-Heilige Padre Pio, der in Italien der „Heiligen Jungfrau“ den Rang abgelaufen hat und dessen Konterfei uns vom Rückspiegel jedes zweiten Taxis in Rom entgegenlächelt, wurde am 5. Februar 2016 von uniformierten Motorradstaffeln zum Petersdom eskortiert. Papst Franziskus empfing die Gebeine des Mussolini-Verehrers mit feierlichem Pomp.

Sein Verbrechen: er leugnet die Dreieinigkeit Gottes

Giordano Bruno hätte diese Rituale mit Verachtung quittiert. Er verabscheute den Heiligen- und Reliquienkult, jenes kollektive Anhimmeln von Knochen und Kleidungsresten. Als Zögling im Dominikanerkloster von Neapel riss er die Marien- und Heiligenbilder von den Wänden seiner Klause; man hielt es für jugendliche Verirrung. Als er aber, als 28-jähriger Mönch in den Orden aufgenommen, die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes anzweifelte, handelte er sich ein Exkommunikationsverfahren ein, dem er nur durch Flucht nach Rom entkam - aus dem er Hals über Kopf weiterfliehen musste, weil man die Schrift "de trinitate" des Kirchenvaters Augustinus, von ihm zerrissen, in der Latrine des Klosters gefunden hatte. Seine Weiterreise glich einem gezackten Blitz durch die Saaten Europas.

Wer nun die viel kleinere Reise um das Denkmal antritt, wird gleich rechts vor einem der drei Reliefs stehen bleiben: Der Philosoph zelebriert, auf der Höhe seines Ruhms, eine Vorlesung in Oxford. Da hatte er schon einen ereignisreichen Weg zurückgelegt, den französischen König Heinrich III. mit seiner Erinnerungskunst beeindruckt und in Genf die Calvinisten dazu gebracht, ihn aufzunehmen, zu exkommunizieren und aus der Schweiz zu jagen. Ähnliches sollte ihm im anglikanischen England widerfahren; seine blasphemische Intelligenz wie seine Arroganz provozierten Neid und Feindseligkeit. Die Priester aller Religionen verhöhnte er als „heilige Esel, deren Unterhalt man in Hafer und Heu entrichten“ müsse, und in der Alpenrepublik musste er die „Diffamierung“ eines Professors, dem er 26 Fehler in einer Vorlesung nachgewiesen hatte, mit zwei Wochen Zuchthaus bezahlen. Exkommuniziert hatten ihn die Schüler Calvins freilich, weil er die kopernikanische These ausstreute, die Erde drehe sich um die Sonne, was mit der Bibel kollidierte.

Hat seine Frau bei den katholischen Pfadfindern kennengelernt: Matteo Renzi
Hat seine Frau bei den katholischen Pfadfindern kennengelernt: Matteo Renzi

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Dann überstieg er völlig den Denkhorizont seiner Zeit und hob das Alte wie das Neue Testament aus den Angeln. In seinem 1584 veröffentlichten Buch „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“ postulierte er die Unendlichkeit des Weltalls und die ewige Dauer des Universums und zertrümmerte das theologische Weltbild. Bei Bruno gibt es keine Genesis und kein Jüngstes Gericht, keine Apokalypse, keine Vertreibung aus dem Paradies. Gottvater, Allah, Adonai, kurz, der Weltenschöpfer des Alten Testaments hatte in Brunos „pantheistischem“ System („Die Natur ist Gott in den Dingen“) keinen Platz mehr. Seine von modernen Astronomen geteilte Intuition, dass es unendlich viele Welten gebe, stieß die Erde aus dem Zentrum des Alls, und mit ihr die Kirche als exklusivem Stellvertreter Gottes. Da es keinen persönlichen Gott gab, war Jesus nicht sein Sohn, Maria keine Jungfrau, das Abendmahl und dessen behauptete Gleichsetzung von Brot und Wein mit Christi Fleisch und Blut ein abwegiger Ritus und die Wiederauferstehung von den Toten eine Absurdität.

Nach seinem Rausschmiss aus England blieben ihm, obschon er Luther den „Schandfleck der Welt“ genannt hatte, als letzte Adresse nur noch die Protestanten in Marburg und Wittenberg. Verstellung war für ihn legitim, wenn es um sein Leben und seine Lehre ging.

Zwei Jahre lehrte er in Wittenberg - dann flog er auch hier raus

An die protestantische Episode erinnert ein winziges Konterfei Martin Luthers. Der Bildhauer hat es so raffiniert in ein anderes Motiv des Denkmals eingestanzt (dicht unter den Spitzbart des „Häretikers“ Giulio Cesare Vanini, der mit anderen „Märtyrern der Wissenschaft und des Glaubens“ den Sockel umkränzt), dass man es erst 1951 entdeckte: ein blasphemischer Scherz des Freimaurers Ferrari, ganz im Geiste des Philosophen, der zwei Jahre an der Universität Wittenberg lehrte und das Andenken Luthers gegen den Papst verteidigte – bevor er zum zweiten Mal exkommuniziert und vor die Tür gesetzt wurde. Über den Marienkult und das Fegefeuer durfte man streiten, aber zu behaupten, dass die Propheten Epileptiker waren und Jesus ein Magier und Betrüger, das galt auch hier als Sakrileg.

Der Hass der katholischen Kirche auf Bruno und das Denkmal blieb intakt, obschon die Kurie einen Sieg über die laizistische Bewegung davongetragen hatte, erst durch den Erfolg ihrer monumentalen Gegendemonstrationen, dann durch den Zusammenbruch der antiklerikalen Koalition, nachdem die Sozialisten sich auf den „sozialen Kampf“ konzentrierten, durch das Versanden der Studentenbewegung, das Altwerden der Garibaldisten... Dennoch blieb die Statue, um die heute noch viele Priester einen Bogen machen, den vatikanischen Behörden ein Dorn im Auge. Ja, vor dem Lateran-Vertrag 1929 forderten die Unterhändler des Papstes plötzlich, es müssten zwei frevelhafte römische Denkmäler abgerissen werden, die Statue Brunos und das ebenfalls provokativ gegen Sankt Peter gewandte Reiterdenkmal Garibaldis auf dem GianicoloHügel. Im Falle Brunos, „ein großer Italiener“, blieb Mussolini stur. Was die Statue Garibaldis betraf, gab der Duce nach und ließ sie herumdrehen. Seither, so witzeln die Römer, strecke Garibaldis Pferd dem Vatikan den Hintern entgegen.

Nach 16 Jahren im Exil kehrt er in die Heimat zurück

Trieb ihn das Heimweh oder ließ er sich von der Nachricht verführen, ein liberaler Papst, Clemens VIII., habe den Heiligen Stuhl erobert? Hatte er vergessen, dass die Wunder und Wahrheiten der monotheistischen Religionen keine Diskussion dulden? Dass „ketzerische“ Thesen mit Verfemung, Exkommunizierung, Elimination bestraft werden? Bruno kehrte heim, nach 16-jähriger Abwesenheit. Ein venezianischer Adliger hatte ihn eingeladen, um in der Technik der Erinnerung, aber vermutlich in der Magie instruiert zu werden. Als Bruno, ein anerkannter Experte der schwarzen Kunst, ablehnte, denunzierte ihn Giovanni Mocenigo bei der venezianischen Kirche, die ihn am 27. Februar 1593 an die römische Inquisition auslieferte.

Seine letzten sieben Jahre verbrachte Giordano Bruno in den Verließen des Vatikans. Man zog dem „verstockten und hartnäckigen Häretiker“ die Finger- und Fußnägel, verkohlte seinen Unterleib, riss ihm auf dem Rad die Arme aus den Gelenken, vergeblich. Im Dezember 1599 richtete er Clemens VIII. aus, dass es „nichts zu bereuen, nichts abzuschwören“ gebe.

2016, im "Heiligen Jahr der Barmherzigkeit" bestimmen gläubige Katholiken das Bild rund um den Petersdom.
2016, im "Heiligen Jahr der Barmherzigkeit" bestimmen gläubige Katholiken das Bild rund um den Petersdom.

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Das folgende Blutgericht vom 8. Februar 1600, das wir auf dem zweiten Denkmalsrelief bewundern können, zeigt den Philosophen, wie er den allmächtigen Inquisitoren den unsterblichen Satz entgegenschleudert: „Ihr verkündet Euer Urteil vielleicht mit mehr Furcht, als ich es entgegennehme“. Ein Augenzeuge berichtet, man habe den Gotteslästerer vorher „ dem weltlichen Arm zur Bestrafung übergeben mit dem Ersuchen, ihn sehr mild und ohne Blutvergießen zu bestrafen, mit andern Worten, ihn zu verbrennen“. Das Ergebnis lässt sich am dritten Relief begutachten, hinten der Flammentod Brunos, im Vordergrund ein betender, zum Himmel schielender Mönch. Dann streute man Brunos Asche in den Tiber.

Kardinal Bellarmin, der die Inquisitionsprozesse gegen Bruno und Galilei leitete, wurde 1930 heiliggesprochen. Galileo Galilei, der die Bewegung der Erde nachgewiesen, aber aus Angst vor der Folter widerrufen hatte, wurde 1992 nach 13jähriger Beratung „rehabilitiert“. Und Bruno? „Nein zum Scheiterhaufen, ja zum Urteil“, hieß es am 18. Februar 2000 in einer endgültigen Stellungnahme der Kurie. Brunos Exkommunikation wurde, exakt 400 Jahre nach der Hinrichtung, bestätigt.

Giordano Bruno ist nicht rehabilitierbar

Der schöne Gedanke, dass Freiheit die des Andersdenkenden sei, ist im Vatikan nicht angekommen. Aber glauben nicht alle monotheistischen Religionen und totalitären Ideologien, im Besitz der exklusiven Wahrheit zu sein? Werden die Andersdenkenden nicht weiterhin als „Häretiker“, „Apostaten“, „Renegaten“, „Verräter“ denunziert, mit dem Tod bedroht? Wie etwa heute der Dichter der „Satanischen Verse“, Salman Rushdie? Giordano Bruno ist nicht rehabilitierbar. Er bleibt ein „Ketzer“ für die einen, für die anderen ein „Märtyrer der Gedankenfreiheit“.

Als das Monument am 9. Juni 1889 vor einer gewaltigen, aus Italien, Paris, London und Berlin angereisten Volksmenge enthüllt wurde, entlud sich ein Schrei aus Tausenden von Kehlen, als habe sich der Druck von Jahrhunderten „Kampf, Hoffnungen, Martyrien, Missionen, Rebellionen“ plötzlich in Luft aufgelöst. Mir ist manchmal, wenn ich die Statue Brunos betrachte, als hörte ich das ferne Echo dieses Schreis. Sein Denkmal ist in einer Stadt, in der es von steinernen Madonnen und Märtyrern wimmelt, das einzige Relikt der italienischen Aufklärung und ihrer gescheiterten Hoffnungen. Bei Sonne und Schnee, ob ihm die Tauben auf den Kopf kacken oder die Blumen seiner Bewunderer auf dem Sockel verwelken, er wendet, während das „Barmherzigkeitsjubiläum“ mitleidlos an ihm vorbeiströmt, den Blick vom Ort des Unheils nicht ab.

Der Autor, 1946 in Lublin geboren, lebt als Theaterregisseur und Essayist in Paris und Rom.

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