zum Hauptinhalt

Kultur: Das Schweigen des Vatikans

Nun gibt es ihn also, Rolf Hochhuths "Stellvertreter", als Film. Schon einmal hatte der Dramatiker 1964 seine Geschichte an den italienischen Produzenten (und Loren-Ehemann) Carlo Ponti verkauft.

Nun gibt es ihn also, Rolf Hochhuths "Stellvertreter", als Film. Schon einmal hatte der Dramatiker 1964 seine Geschichte an den italienischen Produzenten (und Loren-Ehemann) Carlo Ponti verkauft. Und sich geärgert. Denn das Drama um Mitwissen und Mitschuld am Holocaust, um das Schweigen von Papst Pius XII. zum millionenfachen Mord an Europas Juden: es wurde nie gedreht. So geht das Gerücht, der Vatikan habe beim Ankauf der Filmrechte im Hintergrund mitgespielt - um den Stoff zu blockieren, fürs Kino lange auf Eis zu legen.

Berlinale 2002 Online Spezial: Internationale Filmfestspiele Tagesspiegel: Alle Berichte, Reportagen, Rezensionen Gewinnspiel: meinberlin.de verlost Filmbücher Fotostrecke: Stars und Sternchen auf der Berlinale Inzwischen waren die Rechte wieder frei, und Regisseur Costa-Gavras als Experte für Politthriller ("Z") hat zugelangt. Rolf Hochhuth war aufs neue gekränkt. Der Film springe zu frei mit dem Stück um, der Originaltitel sei geändert worden und womöglich drohe auch eine die Rolle des Stellvertreters Christi weichzeichnende Version. Da können wir den Dichter beruhigen.

Costa-Gavras und sein Drehbuchautor, der französische Dramatiker Jean-Claude Grumberg ("Das Atelier"), haben die großen Linien und Hauptfiguren der "Stellvertreter"-Geschichte durchaus beibehalten - und das Lavieren der Kurie zeigen sie mit einiger Schärfe: im Schwanken zwischen Überlebenssorge, Unglaube (gegenüber den Gräuelnachrichten aus dem Osten) und weltlich notwendiger diplomatischer Taktik. Nicht zu frei ist dieser mit dem plakativen Titel "Amen." versehene Film, sondern eher sehr gebunden: an die Vorlage und die Notwendigkeit, komplexe Weltgeschichte in gut zwei Stunden so populär wie moralisch aufrührend zu erzählen. Tatsächlich ist Costa-Gavras ein vom schieren Sujet her nie langweilendes Kinostück gelungen - das dennoch merkwürdig kalt lässt.

Kalt, trotz vorzüglicher Schauspieler. Ulrich Tukur, der einst schon als Totenkopfträger in seiner Durchbruchs-Rolle in Peter Zadeks Uraufführung von Joshua Sobols "Ghetto" brillierte, gibt den vom Hygienespezialisten zum geschockten Zyklon-B-Beschaffer und Widerständler werdenden SS-Offizier Gerstein. Ein Zerrissener beim Teufelspakt, für Momente auch wunderbar zart, von Tukur selbst im Tragischen noch geisteshell auf Abstand zum Melodrama gehalten. Ein guter Kontrast ist das zum Stolz und Schmerz von Matthieu Kassovitz als sich opferndem jungen Jesuiten Riccardo Fontana oder zum eisessanften Mengele-Bild von Ulrich Mühe. Konturiert im filmischen Zeit- und Motivraffer auch Ion Caramitru als römischer Conte und Kurien-Diplomat oder Hanns Zischler als höchste SS-Charge.

Das Problem ist: Alle Figuren agieren als Typen vom Reißbrett, ohne einen Hauch Luft um die Menschen, ohne privaten Atem, ohne jede überraschende Wendung. Bis auf einen kleinen Jungen, der im falschen Moment gerne "Heil!" kräht und den Hitlergruß zum Kinderspiel macht, bleibt beispielsweise Gersteins Familie ein so totes Abziehbild wie der Vatikan mit flusskrebsfingernden oder erdbeerlutschenden Kardinälen vor einem Farbprospekt der Petersdomkuppel. Es ist ein Kostümstück, jede Uniform und jede Soutane frisch vom Schneider, und dabei herrscht die künstliche Halbauthentizität eines Mischmaschwerks. Deutsche Schauspieler reden englisch in der französischen Produktion eines griechischen Regisseurs, gedreht überwiegend in Rumänien.

Aber dann ist da doch noch ein wirkliches Bild: Costa-Gavras, der uns auch nach Auschwitz mitnimmt, zeigt nie das Unzeigbare, die Sterbenden in der Gaskammer. Anfangs gibt es einen kurzen Blick auf die Opfer der sogenannten Euthanasie. Später, vor der Gaskammer, schauen allein die SS-Offiziere durch Spione: die Gesichter der Täter und ein Vibrieren hinter der eisernen Wand. Dazu immer häufiger die Kette der Viehwaggons und im Himmel die Rußfahnen der Lokomotiven - und die Gegenzüge: mit offenen Luken, leer, wie Löcher (wie die voids im Jüdischen Museum), durch Europa fahrende Leer-Stellen. Das ist als wiederkehrendes Bild ein schlichter, ein großer Einfall. Er bleibt von diesem Film.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false