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Kultur: Das selige Eiland mit ihren "schönen, friedlichen Büchern" wird geliebt

Mit der feinen Unterscheidung zwischen Zuneigung und Liebe ist das so eine Sache. Der Suhrkamp Verlag wird nach Meinung seines Verlegers Siegfried Unseld geschätzt, gelobt, auch kritisiert.

Mit der feinen Unterscheidung zwischen Zuneigung und Liebe ist das so eine Sache. Der Suhrkamp Verlag wird nach Meinung seines Verlegers Siegfried Unseld geschätzt, gelobt, auch kritisiert. "Die Insel" mit ihren "schönen, friedlichen Büchern" jedoch werde geliebt. Diese Liebe währt im Herbst einhundert Jahre, der 15. Oktober 1899 gilt als Gründungsdatum des Insel Verlags. 1963 übernahm Unseld die angeblich "konservative Bastion" (Karl Korn) und kam damit den Kaufabsichten eines Großkonzerns zuvor. Seit 1965 leitet er beide Häuser in Personalunion, am Gründungsort Leipzig ist Insel mit einer Zweigstelle vertreten. Ernst Bloch und Theodor W. Adorno hatten dem Suhrkamp-Verleger zur Erwerbung von Insel als "wesentlichem Pendant und Ressource" geraten. Siegfried Unseld war in strahlendem Königsblau zur Feierstunde im überfüllten Festsaal der Deutschen Bibliothek erschienen. Wer hatte sich nicht alles im "Inselreich" versammelt: Die Tochter Hans Carossas, dessen Werk der Verlag über die Jahrzehnte lebendig hält, Nike Wagner, Urenkelin des Komponisten, die Witwe Karl Krolows oder der Urenkel Rainer Maria Rilkes. Wie er da so sitze, sagte Kulturstaatsminister Michael Naumann in seiner inspirierten Rede, wirke Unseld eigentlich wie ein Mann des 19. Jahrhunderts. Bald werde er einer des 21. sein. Der Insel Verlag habe, so Naumann, einen unschätzbaren Beitrag für die Kultur des Landes erbracht.

Am Anfang stand eine Zeitschrift. Otto Julius Bierbaum, Alfred Walter Heymel und Rudolf Alexander Schröder gaben im Herbst 1899 die erste Nummer der "Insel" heraus, einer "Monatsschrift mit Buchschmuck und Illustrationen", Manifestation eines geschmacksstarken, durchaus elitären Kunstwillens. Jedes Heft wurde von einem anderen Künstler gestaltet, darunter von Hauptvertretern des Jugendstils wie Heinrich Vogeler oder Marcus Behmer. Die jungen Herausgeber zahlten das auch heute noch üppige Honorar von zwanzig Goldmark pro Seite und veröffentlichten im ersten Heft vier Gedichte von Robert Walser als Zeugnis ihres literarischen Spürsinns sowie eine gereimte Huldigung Schröders an Goethe. Damit legte Rudolf Alexander Schröder den Grundstein der deutlichsten Traditionslinie des Verlags, der - beginnend mit Bierbaums Bühnenspiel "Gugeline" - bald auch Bücher publizierte: Jeder 25. Band der mittlerweile 2500 Insel-Taschenbücher ist dem Jubilar aus Frankfurt gewidmet. Christine Damms biographische Recherche "Christiane und Goethe" entwickelt sich mit 140 000 verkauften Exemplaren zum Bestseller. Der Verleger selbst präsentierte jüngst in der Insel-Bücherei den Band "Goethe und der Ginkgo".

Dabei war die gegenwärtige breite Goethe-Rezeption zu Beginn des Jahrhunderts beileibe keine Selbstverständlichkeit, wie Unseld erklärte. Noch 1919, hundert Jahre nach Erscheinen des "West-östlichen Divans", seien Erstausgaben des Gedichtbandes in den Buchhandlungen erhältlich gewesen. Es ist das Verdienst Anton Kippenbergs, der den Insel Verlag in Zusammenarbeit mit seiner Frau Katharina ab 1906 leitete, mit dem sechsbändigen "Volks-Goethe" auf diesem Feld Pionierarbeit geleistet zu haben. Goethe wurde ihm zum "Kompass" seiner Arbeit; Kippenbergs private Goethe-Sammlung gilt als eine der weltweit umfangreichsten. Hugo von Hofmannsthal, Ricarda Huch, Arno Holz, Ernst Hardt, Tschechow, Turgenjew lauten Autorennamen der frühen Verlagsjahre. Eine der 42 Vitrinen in der Frankfurter Ausstellung zeigt "Fitzebutze" von Paula und Richard Dehmel mit Bildern von Ernst Kreidhoff, das erste Kinderbuch bei Insel. Es gehört zu den schönsten aus der Epoche des Jugendstils. 1913 erschien eine Faksimile-Ausgabe der Gutenbergbibel und eröffnete wiederum eine Verlagstradition, die sich bis zum "Sachsenspiegel" erstreckt.

Als "genialer Verleger" (Unseld) konsolidierte Kippenberg die wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens und entwickelte zahlreiche Reihen wie die "Bibliothek der Romane", die bis heute Bestand haben. Ab 1905 erschien der "Insel-Almanach", 1912 eröffnete Rilkes "Cornet" die berühmte Insel-Bücherei. Rilke sollte neben Goethe zum zweiten großen Autor des Verlags werden, beginnend mit dem "Stunden-Buch" bereits 1903.

Nach 1933 traf den Verlag das Verbot der Werke Stefan Zweigs, eines seiner wichtigsten Autoren, besonders hart. Rund dreißig Bände der "Bücherei" galten als ideologisch unerwünscht. Insel "überwinterte" die Nazi-Zeit mit Klassikerausgaben und dem Druck politisch unverdächtiger Schriftsteller wie Christian Morgenstern oder Gertrud von Le Fort. Besonders stolz war Kippenberg darauf, dass keiner seiner Angestellten der NSDAP angehörte. Nach 1945 förderte der Insel-Autor und DDR-Kulturminister Johannes R. Becher den Wiederaufbau des Leipziger Verlagshauses. Die westdeutsche Zweigstelle siedelte sich zunächst in Wiesbaden, dann in Frankfurt an.

Die Zusammenarbeit zwischen Insel-Ost und Insel-West gestaltete sich bis zur Zusammenführung 1991 schwierig. Selbst die einheitliche Nummerierung der Insel-Bücherei konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Veröffentlichung der Werke Heinrich Bölls im Leipziger Verlagszweig geriet zur literarischen Sensation in der DDR. Bücher wie "Eisherz und Edeljaspis oder Die Geschichte einer glücklichen Gattenwahl", gestaltet von H. Tschörner, errangen regelmäßig das DDR-Prädikat "Unter den Schönsten Büchern". Ab November wird die Jubiläumsausstellung in erweiterter Form in der Deutschen Bücherei in Leipzig zu sehen sein. 44 Jahre leitete Anton Kippenberg den Insel Verlag, 36 Jahre mittlerweile Siegfried Unseld. Eines hatte ihm sein Vorgänger voraus: Kippenberg war ein begabter Schüttelreim-Verfasser: "Haltet mir die Insel rein, lasst mir kein Gesindel rein."Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main bis 20. Oktober. Katalog 19,80 Mark.

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