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Kultur: Das Stockholm-Syndrom

Neuer Stern am Pop-Himmel: Nina Kinert

Es mag Landstriche geben in Schweden, die wie der amerikanische Mittelwesten aussehen. Landstraßen schneiden wie Klingen durch Kiefernwälder, in die sich Blockhütten ducken. Eine eigentümliche Vorliebe für amerikanische Straßenkreuzer, Kautabak und Fastfood-Ketten untermauert zudem die Verbundenheit vieler Skandinavier mit dem Land auf der anderen Seite des Atlantiks, das sich ihnen nie als Befreier zeigte. Schweden sind Meister der Affirmation. Die Musik aus dem Norden Europas macht sich fremde Trends und den Stil anderer so vollständig zu eigen, dass Bands wie zuletzt The Hives, Mando Diao und Millencollin, die dem britischen Neo-Rock nacheifern, von Gruppen aus Leeds, Newcastle oder London nicht zu unterscheiden sind.

Auch Nina Kinert bringt eine Menge Einfühlungsvermögen auf in ihren zarten, bluesigen Folk-Songs, die amerikanischer nicht sein könnten – und die die Überraschung dieses Sommers darstellen. Denn die 25-jährige Stockholmerin veröffentlich mit „Let there be love“ in dieser Woche ein erstaunlich graziöses, lässig reduziertes Balladenalbum (V2 Records), das die hübsche Frau ganz selbstverständlich neben Singer/Songwriterinnen wie Aimee Mann, Lucinda Williams und Heather Nova stellt.

Eine Akustikgitarre spuckt Töne aus, wie man es in der ersten Lektion in Sachen Fingerpicking beigebracht bekommt. Eine zweite, elektrische Gitarre streut wimmernde Trauergirlanden in den Hintergrund, der Bass singt sein Lied der Tiefe, und das Schlagzeug macht sich unsichtbar. Im Zentrum steht die weiche, dunkle Stimme einer Erzählerin, die nicht verrät, wie viel sie vom Leben schon abbekommen hat. „Yeah“, singt sie und das klingt wie ein Seufzer, „I know you want to talk/ about more profound things/ then I could ever dream of.“ Sie weiß, dass Liebe nicht stark genug ist, um das Erfahrungsgefälle auszugleichen zwischen ihr, die noch nichts erlebt hat, und ihm, der sich ständig in Abgründe versenkt („Seperate Ways“). Das Verschlungene, Gravitätische, es liegt der Sängerin nicht, und man spürt, dass hier nicht nur jemand sein Herz rettet, indem er es ans Licht und ins Luftige wuchtet. Auch die Musik ist von einer Leichtigkeit durchflutet, die selbst der Bitterkeit einer Zeile wie „I am a prisoner in myself“ etwas Leuchtendes abgewinnt. Niemand, der ihr in „Let Go Now“ dabei zuhört, wie sie einer Untröstlichen Trost zu spenden versucht, brennt sich ein, mit wie viel Würde und Warmherzigkeit ihr die Sätze über die Lippen kommen: „He won’t call/ he won’t even try/ he won’t drown/ in the tears that you cry.“

Ein musikalisches Meisterstück ist „Memories Fading Out“, ein gespenstisch-verschattetes Kopfdrama, das die schwarze Verführungskraft religiöser Lebenswelten skizziert. Da wird der weibliche Weg in die Freiheit zum Canossagang, bei dem sich die Frau eingestehen muss, dass die Dämonen nur deshalb nicht wiederkehren, weil sie die Tür verriegelt hat. Nina Kinerts einfache Weisen sind für Räume bestimmt, deren Ausgänge verschlossene sind. Allein mit dem Kopf bricht man da nicht durch. Die zierliche Künstlerin hat das Potenzial für eine große Karriere. Denn sie macht aus wenig ungeheuer viel. Mal sind es nur die spärlich gesetzten Akkorde eines Klaviers, mal der erdige Rumpelrhythmus einer Country- Band und immer wieder das reduzierte Figurentheater einer Wanderklampfe, um die herum sie ihre eingängigen Melodien spinnt. Das können die Schwergewichte des Geschäfts von Norah Jones bis James Blunt nicht besser. Mit Kinert taucht eine Liedervirtuosin am Horizont auf, die sich auf sprechende Klanggemälde ebenso versteht wie auf stumme Beredsamkeit.

„Let there be love“ wurde in der intimen Atmosphäre einer Freundesclique aufgenommen, die keinerlei hochtrabende Ziele verfolgte. Mit ihrem Lebensgefährten, dem Produzenten und Multiinstrumentalisten Love – gesprochen: Luwäh – Olzon, der in Schweden eine immense Reputation als Songwriter besitzt, hat sie einen behutsamen Arrangeur und Co-Autor zur Seite. Er dürfte dem fein verästelten Liederzyklus aus raubeinigen Gitarrenriffs und schwebenden Akkordeon-Paravents zuweilen den langen Atem eines Jeff Tweedy (Wilco) eingehaucht haben. Kinert selbst hat nach zwei Strophen und drei Minuten meist alles gesagt.

„Heartbreaktown“, das Debüt der Schwedin, kam 2005 nur in ihrer Heimat heraus. Und hätte es nicht so viel Kritikerlob gegeben, sie wäre wohl ungerechterweise eine lokale Größe geblieben. Eines von vielen Mädchen, das sich als Teenager vor lauter Liebeskummer und Dylan- Verehrung eine Gitarre umhängt und erste Songs zu schreiben beginnt. Ob sie je die Massen für sich wird erobern können, ist fraglich. Zu kunstvoll könnten ihre Lieder sein, zu wenig auf hymnische Momente bedacht. Die Virtuosität dieser Musik liegt woanders. In der Stille, die aus ihrem Zentrum fließt.

Nina Kinert, „Let There be love“ erscheint am Freitag bei V2 Records

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