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Kultur: Das Treffen der Geister

Verleger haben es schwer, besonders die kleinen.Ein Buch liegt druckfertig vor, es fehlt noch ein zündender Titel.

Verleger haben es schwer, besonders die kleinen.Ein Buch liegt druckfertig vor, es fehlt noch ein zündender Titel.Man überlegt und hat eine Idee - angelehnt an einen anderen, schon bekannten Buchtitel.Ein Wort geändert, und er paßt.So weit, so gut.Das Buch wird gedruckt und verkauft sich einigermaßen.Alles in Ordnung, sollte man da denken.

Aber eines schönen Morgens liegt plötzlich die Abmahnung eines größeren Verlages, genauer gesagt die Abmahnung von dessen Anwalt, auf dem Tisch.Sein Mandant, so sagt er, halte die Rechte an dem Buchtitel, der hier paraphrasiert wurde.Das Angebot des Rechtsbeistandes lautet: Ausverkaufsfrist gegen Übernahme der Anwaltskosten und Schadensersatz.Man einigt sich außergerichtlich und geht weiter seinen Geschäften nach.

So laufen solche Geschichten, normalerweise.So allerdings lief es nicht in der Auseinandersetzung zwischen dem Scherzverlag in München und der Edition Tiamat in Berlin.Die Situation eskalierte zu einem regelrechten Streit, für den beide Seiten einander inzwischen gegenseitig verantwortlich machen.

Was war geschehen? Klaus Bittermann, der Kopf des Ein-Mann-Unternehmens Edition Tiamat, hat mit anderen ein Buch - Glossen über sogenannte Bestseller - herausgegeben.Eine der Glossen bezieht sich auf das Lebenshilfe-Werk des Amerikaners Dale Carnegie aus den 30er-Jahren.Carnegies millionenfach verkauftes Buch trägt den Titel "Sorge dich nicht, lebe".So haben Bittermann und Mitherausgeber ihr Werk "Sorge dich nicht, lese" genannt.Eine gefährliche Nähe - und nicht der einzige Fall.Läßt man sich in einem Buchladen alle Titel ausdrucken, die mit "Sorge dich nicht, ..." beginnen, erhält man eine längere Liste.Das fiel auch dem Scherz Verlag auf.Um kein "Präjudiz" zu schaffen und die "Marke zu schützen", habe man alle entsprechenden Verlage abgemahnt, erklärt Scherz-Vorstand Andreas Wiedmann.Das galt also auch für die Edition Tiamat.Deren Verleger Bittermann hat Zweifel - und reagierte überhaupt nicht, wie Peter Lutz, Mitglied der Münchner Anwaltskanzlei Gerstenberg, Rechtsanwälte und Vertreter des Scherz Verlages erklärt.

Man erwirkt mithin vor dem Münchner Landgericht eine einstweilige Verfügung, der Streitwert beträgt satte 100 000 Mark.Widerspruch wäre zwar möglich gewesen, wie der Bittermann-Anwalt Dietmar Dorn aus Nürnberg erklärt, im Falle eines Verlustes aber teuer geworden.Also wird von dem Verlag die einstweilige Verfügung schlicht akzeptiert.Herr Bittermann ruft daraufhin Herrn Peter Lohmann, ebenfalls Scherz-Vorstand, an und bittet ihn, die Anwälte zu stoppen.Lohmann wiederum verspricht nach Aussage Bittermanns seine Hilfe.Indes, Anwalt Lutz geht unverdrossen weiter vor.Inzwischen geht es auch um Bares.Bittermann möchte gegen die Zahlung von 600 Mark den Verkauf der - ohnehin bescheidenen - Restauflage des umstrittenen Buches einstellen und unterbreitet diesen Vorschlag über seinen Anwalt der Gegenseite.Zuwenig befindet dieser sogleich, und legt seinem Nürnberger Kollegen eine neue Rechnung vor, die wesentlich mehr, mindestens das Zehnfache als Schadensersatz inklusive Anwaltskosten vorsieht.Man einigt sich nicht.

Inzwischen schaltet sich der Justitiar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ein."Der fand unseren Vorschlag angemessen", sagt Lutz.Zwei Tage später steht der Fall in einer großen süddeutschen Tageszeitung, Scherz-Vorstände und Anwalt Lutz sind irritiert und der Leser reibt sich die Augen und fragt sich: "Worum geht es eigentlich noch?"

Zum einen um die Verwechselbarkeit der Titel.Bittermann und Dorn sagen, daß beide Bücher der äußeren Form und dem Inhalt nach nicht zu verwechseln seien."Die stehen in der Buchhandlung in ganz verschiedenen Ecken", sagt Anwalt Dorn."Das ist hier völlig nebensächlich", erwidert Lutz.Vor Gericht gehe es nur um den Titel für sich genommen.Maßstab sei der "flüchtige Durchschnittskäufer".Wer das sei? Angenommen, jemand empfehle per Handy einem Freund auf der Flucht das Buch Carnegies, könnte es ob schlechter Funk-Übertragung zu einem Hörfehler kommen.Prompt bestelle Letzterer dann das Buch "Sorge dich nicht, lese" und bekomme das Werk aus der Edition Tiamat.Lutz sagt, er könne sich für seine Auffassung (Grundlage des Landgerichtsurteils) sogar auf diverse entsprechende Urteile des Bundesgerichtshofes stützen.

Der zweite Streitpunkt nun betrifft selbstverständlich die Berechnung des Schadensersetzes.Handelt es sich in dieser Sache um eine Auseinandersetzung im Bereich des Markenrechts oder vielmehr um eine im Bereich des Urheberrechtes? "Das gehört unters Markenrecht", sagen Dorn und Bittermann überzeugt von ihrer Auffasssung.Buchtitel jedenfalls fallen nach deutscher Rechtsprechung unter das Markenrecht.und hier werde Schadensersetz nach dem sogenannten Lizenzanalogieverfahren (ein schönes deutsches Wort und ein schönes juristische Vokabel) berechnet: Zwei bis fünf Prozent des Brutto-Umsatzes oder fünf bis zehn Prozent des Bruttogewinns."Falsch", sagt Lutz, hier handele es sich um beides, um Marken- und Urheberrechtsverletzung.Gesetzt den Fall, jemand gründe eine Tageszeitung und nenne sie "Tagespegel" statt "Tagesspiegel": das falle unter das Markenrecht, weil der Titel "Tagesspiegel" geschützt sei wie "Coca Cola".Wenn es sich aber um eine geistreiche schöpferische Leistung handele - wie eben den Titel "Sorge dich nicht, lebe" - dann sei gleichermaßen das Urheberrecht berührt.Egal ob Marken- oder Urheberrecht: es ergeben sich laut Lutz drei Berechnungsmöglichkeiten: Erstens, man berechnet den Verlust, der dem Originaltitel durch den Epigonen entstanden ist."Leider meistens unmöglich", wie Lutz feststellt.Oder man berechnet den "Verletzergewinn", also den Gewinn, den Bittermann mit seinem Titel erzielt hat, oder eben auf der Grundlage der Lizenz-Analogie zwei bis fünf Prozent des Bruttoumsatzes oder fünf bis zehn Prozent des Brutto-gewinns.

Noch ist alles möglich.Lutz gibt an, daß man sich mit den anderen abgemahnten Verlagen direkt geeinigt habe."Einige von denen haben zwischen 4000 und 5000 Mark als Schadensersatz und Anwaltskosten gezahlt", erklärt Lutz."Über 12 000 Mark Verletzergewinn sind für meinen Mandanten zuzüglich der Anwalts- und Gerichtskosten zu viel", sagt Anwalt Dorn.Kämpft hier Goliath gegen David? Will der Große (Scherz gehört zur Holtzbrinck-Gruppe) den Kleinen fertigmachen, wie Bittermann und Dorn vermuten? Ein Gedanke fehlt noch, selbst wenn er juristisch schwer zu fassen ist: Gehört nicht ein so berühmter Buchtitel wie der Carnegies längst zum Allgemeingut und ist so bekannt, daß er Paraphrase oder Parodie verträgt, ohne daß Verwechslung droht? Der Gesetzgeber sieht das nicht vor, aber vielleicht ist es trotzdem richtig - und stellt eine Basis für eine gütliche Einigung dar, die beide Seiten offensichtlich immer noch wollen.

RAOUL FISCHER

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