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Die scheidende Präsidentin Birgit Breuel entfernt am Jahresende 1994 das Schild am Eingang der Treuhandanstalt in Berlin. 

© Wolfgang Kumm/dpa

„Das Treuhand-Trauma“: Die VEB als Kriegsgefallene

Wasser auf die Mühlen des ostdeutschen Opfernarrativs: „Das Treuhand-Trauma“, eine Polemik der Soziologin Yana Milev.

„Das Grauen hatte einen Namen: TREUHAND“ – so reißerisch bewirbt der Eulenspiegel Verlag das Buch „Das Treuhand-Trauma“ der in Leipzig geborenen und in der Schweiz tätigen Soziologin Yana Milev. „Im Fall der Übernahme der DDR durch die BRD ist die Kulturkatastrophe ohne einen Bürgerkrieg, also unblutig, verlaufen. Dennoch sind die Folgen ebenfalls traumatisch und kriegsgleich“, sagt die Wissenschaftlerin.

In ihrem Vorwort schreibt Yana Milev. „Ich bin Opfer. (…) Ich wurde observiert und verfolgt. Physisch und psychisch. Ich erfuhr Unrecht. Ich teilte das Schicksal einer marginalen Minderheit von Ostdeutschen. 

Aber ich gehöre nicht zu dieser Spezies, weil ich meine Erfahrung nicht zur Perspektive aller erkläre. Denn ich bin Wissenschaftlerin, Soziologin. Ich unterscheide zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Reflexion und Realität.“

Keinesfalls „friedliche Revolution“

Inwieweit ihre Ansichten objektiv und wissenschaftlich belegbar sind, mag jede und jeder selbst beurteilten. Wo fängt die wissenschaftliche Aufarbeitung an und wo hört die Polemik auf, kann man sich beim Lesen durchaus fragen. 

Milev behauptet, die sogenannte friedliche Revolution sei keinesfalls friedlich gewesen, sondern es habe dabei psychische Gewalt „und andere Formen der Übernahme oder Konterrevolution“ gegeben, durch die es den DDR-Bürgern schlechter ging. 

Viele Politiker aus der DDR seien erpresst worden, um den Beschlüssen zur Währungs- und Wirtschaftsunion und zum Einigungsvertrag zuzustimmen, „sofern Opportunismus und Korruption nicht genügten“.

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Juristisch fragwürdig ist ihre Interpretation des Einigungsvertrages, der „nicht nur unrechtmäßig, sondern eine Staatensukzession zu Vollständigwerdung im Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich“ gewesen sei. Das erinnert stark an Reichsbürgerlogik. 

Auch ihre Ausführungen zum BGB und zum „Reichsstrafrecht der BRD“, welches seit 1990 auch für DDR-Bürger galt, lassen an der juristischen Sachkenntnis der Soziologin zweifeln. 

Der Einigungsvertrag sei ein „Enteignungsvertrag“ gewesen, der Beitrittsbeschluss der Volkskammer ein „Ermächtigungsgesetz“. Die „Wende“ sei ein Informations- und asymmetrischer Krieg gewesen, dessen „Frontenverlauf sich demokratisch und unmilitärisch durch die Zivilgesellschaft zieht.“

Diese Thesen sprechen für sich. Zwar habe der größte Teil der Volkskammerabgeordneten und der Bevölkerung den Einigungsvertrag jubelnd begrüßt, aber eigentlich wollten sie ihn nicht. Was sie wollten, weiß die Autorin. 

Thesen dienen Vereinfachern und Populisten

Das alles habe sie nur in der Schweiz erforschen können, weil es in Deutschland keine wissenschaftliche Einrichtung zu systematischen Forschungen in dieser Richtung gäbe. „Untersuchungen gesellschaftlicher Prozesse im Osten pflegen allenfalls dann Zuwendung und Unterstützung zu erfahren, wenn sie denn bereits postulierte Urteile und Thesen bestätigen.“

Dies alles beschreibt sie ausführlich in einem wüsten Themenmix. Das eigentliche Thema des Buches, also die Treuhandanstalt, wird im Wesentlichen mit einer 80-seitigen Aufzählung aller liquidierten Betriebe abgehandelt. 

Es geht von der „VEB Biggi Waltershausen“ über den „VEB Sockenwerk ,EXPORSO‘, Brünlos (Herrensocken, Kindersöckchen)“ zur „VVB Altrohstoffe, Berlin, Thulestraße“. Erläuterungen zu den einzelnen Branchen und Betrieben gibt es nicht. Die Aufzählung ähnelt eher einer Liste von Gefallenen im Krieg.

Laut Autorin erkläre all das auch den Rechtsruck in einer „psychosozial desorientierten“ Gesellschaft, wobei die Thesen des Buches wohl selbst Wasser auf die Mühlen eines falschen ostdeutschen Opfernarrativs sein dürften, das nur den Vereinfachern und Populisten dient. 
[Yana Milev: Das Treuhand-Trauma. Die Spätfolgen der Übernahme. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2020, 288 S., 18 €.]

Ernst Reuß

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