zum Hauptinhalt

Kultur: Das Universum strahlt

Ellen Allien ist ein Techno-Star. An der Love Parade stört die DJane nur eines: die gelangweilten Mitläufer

Der Hund heißt Disco und bellt zur Begrüßung. Er gehört dem Programmierer, der einmal die Woche vorbeikommt. Die Regale im Flur reichen bis an die Decke und sind mit Schallplatten gefüllt. Die hintere Wand des Büros ist mit Filzstiften und Kugelschreibern bekritzelt, hier stehen die Geburtstage der Mitarbeiter und der Künstler. Ein Spaßvogel hat den Geburtstag von Franz Beckenbauer dazugeschrieben. Neben einer Plastiktüte mit schmutzigen Socken klebt eine Schachtel mit Kopfschmerztabletten. Gegenüber hängt ein Schwarzweißfoto, auf dem ein Musiker namens TimTim vor einer Kohorte gepanzerter Polizisten posiert. Es muss am 1. Mai entstanden sein. TimTim gehört sozusagen zur Familie.

Das BPitch-Control-Büro in der Oranienburger Straße ist ein kleines Nest, das Widerstand leistet gegen Langeweile und Uniformität. Die Chefin ist nicht da. Sie kommt heute auch nicht mehr rein. „Ellen wird in zehn Minuten im Café Rosenthal sein“, sagt Benita, die sich um das Labelmanagement und die Promotion kümmert. Ellen Allien gehört seit gut einem Jahrzehnt zu den populärsten Berliner DJs. Auch im Ausland ist ihr Gesicht mittlerweile so bekannt, dass sie nur noch in Begleitung auf Reisen geht. Sie sitzt an einem hellen Holztisch. Neben ihr steht eine Papiertüte mit englischen Breakbeat-Maxis, die sie gerade bei Hardwax gekauft hat.

Ellen trägt die schulterlangen Haare heute schwarz gefärbt, mit einer orangefarbenen Strähne im Pony. Doch das ändert sich ständig. Vor fünf Jahren hat sich Ellen das Wortspiel „BPitch Control“ ausgedacht. Es bezeichnet den Geschwindigkeitsregler am Plattenspieler. Zugleich bedeutet es, dass Frauen, die wissen, was sie wollen, die Kontrolle übernehmen. Aus einer Partyreihe an wechselnden Orten wurde eine Plattenfirma mit 75 Veröffentlichungen, 15 Künstlern, zwei fest angestellten Mitarbeiterinnen und zwei Praktikanten. „Inzwischen gehe ich nur noch ins Büro, um nach dem Rechten zu sehen und künstlerische Entscheidungen zu treffen“, sagt Ellen Allien und löffelt die Suppe des Tages. „Ich bin für die Visionen zuständig und nicht dafür, Verträge zu machen.“

Ein geregelter Büroalltag lässt sich ohnehin kaum mit der Arbeit als DJ vereinbaren. Sich montags morgens um zehn auf Vertriebserlöse und Spesenabrechnungen zu konzentrieren, ist einfach nicht drin, wenn man in den Nächten davor durchgehend an den Plattentellern stand. Letztes Wochenende legte Ellen zweimal in Frankreich und einmal in Amsterdam auf, um ihr neues Album zu promoten. Am Donnerstag folgte ein Set bei einem Festival in Belgien. Nun stehen vier Auftritte im Umfeld der Love Parade auf dem Terminkalender.

„Es geht zwar nicht mehr ganz so hektisch zu wie früher, aber für mich ist die Love Parade nach wie vor superwichtig“, sagt Ellen. „Es ist doch toll, dass aus der Parade ein großes Volksfest geworden ist. Was soll daran verkehrt sein, einmal im Jahr auf die Straße zu gehen und sich bunt anzuziehen, um zu feiern und den ganzen Stress zu vergessen?“ Schlimm findet sie nur das Fernsehen: „Gelangweilte Moderatoren, die nicht die geringste Verbindung zur Technokultur haben, schnappen sich irgendeinen armen Raver, der womöglich gerade die Schule geschmissen hat. Dann erzählen sie ihm, dass er viel trinken soll, und drücken ihm eine Nuckelflasche in die Hand. Und das soll auch noch lustig sein.“

Vor zwei Jahren stand sie selbst in der DJ-Kugel an der Siegessäule und legte ihre Platten vor über einer Million Menschen auf. Nach dem Set ist sie über die schmale Wendeltreppe im Inneren der Säule ganz nach oben gegangen, bis unter den Rock der Goldelse. Unten spielte Duo aus England unoriginellen Kommerz-Techno. Nach einem klassischen Break setzte der Rhythmus der Basstrommel ein, und alle Arme gingen nach oben – von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor und darüber hinaus, auch auf den kleinen Wegen, die durch den Park führen. „Ich habe selten einen so überwältigen Moment erlebt“, erinnert sich Ellen.

Über das, was musikalisch auf der Love Parade passiert, ist sie jedoch längst hinaus. Während ihr erstes Album „Stadtkind“ hauptsächlich aus geradlinigen Technobeats mit ein paar Gesangsfetzen bestand, versucht sie mit der aktuellen Platte „Berlinette“, die feinen Verästelungen und Erweiterungen aufzufangen, die die elektronische Tanzmusik in den letzten Jahren erfahren hat. Bei drei Titeln sind sogar verzerrte Gitarren zu hören.

„Alles strahlt ins Universum. Ein Blick, ein Kick“, singt Ellen gleich zu Beginn. Und findet eine Mischung aus Groove, Krach und Pop-Sensibilität, die vielleicht nicht visionär ist, aber doch irgendwie nach Berlin klingt – nach kaputtem Charme und Zuversicht, nach Bodenständigkeit und ständiger Erneuerung, nach durchgefeierten Nächten und morgendlichen S-Bahn-Fahrten. Ellen hat verstanden, dass alles, was nach Berlin klingt, gerade angesagt ist auf den Tanzflächen dieser Welt. Und sie gefällt sich in der Rolle der Berlin-Botschafterin. Ihr Sound und ihr Sendungsbewusstsein kommen nicht nur bei gestandenen Ravern an: Am Wochenende nach der Love Parade ist Ellen zum Jazzfestival in Montreux eingeladen.

Ellen Allien ist jetzt 34. Viele ihrer Weggefährten der Neunziger haben sich aus dem Nachtleben zurückgezogen. Weil sie älter geworden sind. Und weil sie glauben, dass die Berliner Clubszene ihre besten Jahre hinter sich hat. Ellen winkt ab. Mit Nostalgie hält sie sich nicht auf. Erst jetzt gebe es Strukturen, die es ermöglichten, das künstlerische Potenzial der Stadt konsequent zu nutzen: „Früher waren die meisten zu verpeilt und verdrogt, um was Dauerhaftes auf die Beine zu stellen. Das hat sich zum Positiven gewandelt, weil viele hergekommen sind, die etwas mit sich anfangen wollen.“ Auf ihrem Label fand der Generationswechsel schon statt. Die meisten Künstler sind Anfang 20. Andererseits hat das Alter in Berlin noch nie eine besonders große Rolle gespielt. Hier darf man ein bisschen länger jung sein. Ellen hat noch nie ans Aufhören gedacht. „Hauptsache, wir haben unsere kleinen Inseln.“

Die Straßen Berlins sind ihre Straßen. Ellen Allien hat keine Zeit zu verlieren. Sie bezahlt ihre Suppe und eilt die Neue Schönhauser hinunter. „Manchmal träume ich von einem Haus auf dem Land“, sagt sie noch. Dann ist sie verschwunden.

Ellen Allien legt heute im Casino, am Sonnabend im WMF auf. Am Sonntag spielt sie morgens beim Fritz Loveradio im Volkspark am Friedrichshain, nachmittags im Tresor.

Heiko Zwirner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false