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Kultur: Das Unmögliche wagen

Hat sich schon irgendjemand die Mühe gemacht, ein gutes Wort für Remakes einzulegen? Wahrscheinlich nicht, und deshalb sei das hier nachgeholt.

Hat sich schon irgendjemand die Mühe gemacht, ein gutes Wort für Remakes einzulegen? Wahrscheinlich nicht, und deshalb sei das hier nachgeholt.Remakes sind eine diskriminierte Minderheit unter den Filmgattungen.Wer schlecht über sie spricht, muß das nicht einmal begründen.Es genügt zu sagen, daß sich der Regisseur X nicht mit dem Regisseur Y messen kann, und daß es für den Star Z ohnehin keinen Ersatz gibt.Tatsächlich ist der Begriff nicht einmal genau definiert.Ist die 50.Verfilmung von "Les Misérables" ein Remake aller vorangegangenen Hugo-Adaptionen? Ist jede Darstellung einer Dreierbeziehung ein Remake von "Jules und Jim"? Wer entscheidet, wann von einer Hommage und wann von einer dreisten Kopie gesprochen wird? Wer entscheidet, in welchen Fällen ausnahmsweise ein Remake erlaubt ist? Denn es gibt Remakes, bei denen die Nörgler ein Auge zudrücken.Vielleicht, weil sie das Original nicht kennen?

Wie immer man den Begriff definiert, rational läßt sich die heftige Ablehnung nicht erklären.Sie ist in anderen Künsten auch nicht üblich: Kein Hamlet-Darsteller muß sich von legendären Vorgängern einschüchtern lassen, die in der Rolle schon auf der Bühne gestanden haben.Wurde eine Arie schon mal von Maria Callas, ein Chanson von Marlene Dietrich gesungen? Kein Problem.Stücke, Lieder, Themen in der Literatur - sie alle sind dazu da, verschiedenartig interpretiert zu werden.Es ist doch immer reizvoll, Altbekanntes leicht variiert wiederzusehen.

Nun könnte man gegen das Remake von Alfred Hitchcocks "Psycho" einwenden, daß in diesem Fall keine Variation erlaubt ist.Hier haben wir es mit erstklassigem Erzählkino zu tun, das nur auf eine bestimmte Weise funktioniert.Und die Schockwirkungen von 1960 lassen sich heute auch nicht mehr wiederholen.Damals verletzte Hitchcock eine ganze Reihe von Tabus: ein nicht verheiratetes Paar, das gerade in einem Stundenhotel einen Quickie durchgeführt hat, eine Klospülung in Großaufnahme, eine nackte Frau beim Duschen - und, als müsse die Schaulust sogleich bestraft werden, deren brutale Ermordung mit einem langen Küchenmesser.Verblüffend war auch Hitchcocks Umgang mit seinen Stars.Die Hauptdarstellerin Janet Leigh verabschiedete sich schon nach 40 Minuten, das Publikum war seiner Identifikationsfigur beraubt.Und Anthony Perkins, der legitime Nachfolger von James Stewart als Inbegriff des sauberen, etwas linkischen amerikanischen Jungen, erwies sich am Ende als Frauenmörder mit transvestitischen Neigungen."Psycho" war der Startschuß für die konfusen, gewalttätigen sechziger Jahre.

Den Kulturschock, den Hitchcock damals ausgelöst hat, konnte niemand von Gus Van Sants Remake erwarten.Dennoch hätte sein Film besser sein müssen, schließlich fasziniert auch das Original beim wiederholten Sehen, wenn man längst weiß, was passiert.Van Sant scheitert an seiner Halbherzigkeit: er hat einiges exakt übernommen, anderes wieder nicht.Dadurch treten Unstimmigkeiten auf.Das Remake spielt, wie uns ein Titel informiert, im Jahr 1998.Doch die leise Tragik, die das heimliche Treffen der kleinen Sekretärin Marion Crane mit ihrem Liebhaber Sam Loomis begleitet, war nur in einer Gesellschaft möglich, die außerehelichen Geschlechtsverkehr noch heftig sanktionierte oder zumindest mißgünstig beobachtete.Inzwischen hat es eine sexuelle Revolution gegeben, da müßten sich Marion und Sam nicht mehr verstecken.Und daß einer armen jungen Frau das nötige Geld fehlt, um heiraten und glücklich sein zu können, auch das erscheint anachronistisch.Bei Janet Leigh, der Original-Marion, war der Diebstahl von 40 000 Dollar eine Verzweiflungstat; ihre Nachfolgerin Anne Heche dagegen hat das kesse Grinsen einer routinierten Trickdiebin.Sie spielt Komödie.Doch die Exposition von Hitchcocks Film war vor allem deshalb so aufregend, weil wir um die arme kleine Marion gezittert haben.

Hitchcocks schwarzer Humor erzielte dadurch seine verheerende Wirkung, daß der Film insgesamt todernst war.Bei Van Sant gibt es weder Tragik noch Hysterie, die Darsteller wirken locker, das strenge Schwarzweiß wurde durch freundliche Farben ersetzt.Dadurch wird die im Original unersetzbare Musik von Bernard Herrmann auf einmal zum Störfaktor.Schade auch um Vince Vaughn, der das messerschwingende Muttersöhnchen Norman Bates mit überraschenden Nuancen versieht.Er schafft es, kindlich und verdorben zugleich zu wirken.Ansonsten ist das "Psycho"-Remake nur für Filmprofessoren und -studenten von Interesse, die eine Fehleranalyse durchführen wollen.Man kann das Werk Punkt für Punkt durchgehen: warum klappt es hier nicht, warum da nicht, warum hier auf einmal doch? Warum ist der Film über weite Strecken so langweilig, obwohl er sich an das exzellente Drehbuch von Joseph Stefano hält? Wer kein Interesse daran hat, solche Fragen zu beantworten, der sollte zuhause bleiben: als Thriller ist das Remake eine Niete.Der Mut, die Neuverfilmung solch eines Klassikers gewagt zu haben, verdient gleichwohl Beachtung.Van Sants Version ist eine Enttäuschung, kein Desaster.Regisseure mit ähnlichen Ambitionen sollen sich nicht entmutigen lassen.Freuen wir uns schon auf "Citizen Kane" mit Danny DeVito!

In 17 Berliner Kinos; Originalversion im

Cinemaxx Potsdamer Platz und in der Kurbel

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