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Kultur: Das Vaterkind

Der Roman zum Bachmannpreis: Maja Haderlaps „Engel des Vergessens“

Ein „Heer in Aufstellung“ nannte der Klagenfurter Gert Jonke, erster Träger des 1976 gestifteten Ingeborg- Bachmann-Preises, den heimatlichen Wald. Diese wenig heimelige Spur nimmt die Kärntner Slowenin Maja Haderlap in ihrem Debüt „Engel des Vergessens“ auf. Für einen Auszug davon bekam sie soeben den 35. Bachmann-Preis.

Der Roman ist vor allem eine Hommage an die Großmutter der Ich-Erzählerin. Die baumstarke Matriarchin traf ihre ans Magische grenzenden „eigenen Absprachen mit der Natur“, lebte in und mit dem Wald als einem Verbündeten und glaubte an die Kraft der Worte in Gestalt von Schutzzaubern. Ein solcher Zauber muss es gewesen sein, der sie ab Oktober 1941 knapp vier Jahre Haft im Konzentrationslager Ravensbrück überleben ließ. Die Enkelin bewahrt ihren „Ravensbrücklöffel“ und das „knjiga od zapora Maria H.“ auf, das rötliche, fleckige Gefängnistagebuch der Maria H., außerdem „den Rosenkranz aus dem Lager, aus eingespeicheltem Brot sind die Kugeln geformt, die durch die Finger gleiten“. Diese Erinnerungsstücke haben Haderlap zum Erzählen gebracht – erstmals auf Deutsch, in einer eindringlichen Prosa.

Von Kärntner Kollegen wie Peter Handke und Josef Winkler vorab gelobt, bezieht „Engel des Vergessens“ seine Wucht aus der Verzahnung der Familiengeschichte mit der animistisch nachempfundenen Kindheitslandschaft. Slowenien war seit 1941 „großdeutsch“ besetzt. Die ausgedehnten Wälder der Gegend boten der Slowenischen Befreiungsfront das Operations- und Rückzugsgebiet für ihren Zermürbungskrieg gegen die NS-Truppen. Die Autorin erzählt aus der Sicht eines namenlosen Mädchens, eines „Vaterkindes“, von der historischen Aufladung der Grenzlandschaft, von den ermordeten Partisanen, von den Opfern, die im Zuge sogenannter Strafaktionen damals nahezu jede slowenische Familie zu beklagen hatte: „Marija, die in sich ruhende Schöne im Sommer 42, die bewusstlose, geschundene Schöne vor dem Freisler-Gericht, an ihr kein Fleckchen Haut, das nicht wund geschlagen worden wäre, ein schweigender Körper, dem der kalte April den Tod bringt, im April 43 köpft sie das Fallbeil, ihr Bruder Mihael folgt ihr in den Tod, im Wiener Landesgericht.“

Maja Haderlap wurde 1961 im äußersten Süden Kärntens geboren, in Bad Eisenkappel (Železna Kapla-Bela). Die einstige Chefdramaturgin des Stadttheaters Klagenfurt gilt als bedeutende, slowenisch schreibende Dichterin. Das Slowenische sei ihre Affektsprache, sagt sie. Das Deutsche hingegen habe ihr geholfen, die nötige Distanz zu ihrem „ratlosen Kreisen in der Familienvergangenheit“ aufzubauen. „Weil Großmutter mein Kindheitsstock ist, an dem ich mich festhalte“. Damit ist zugleich die Stärke und die Schwäche des Textes benannt. Beim Begräbnis der geliebten Großmutter fühlt sich das Mädchen, „als ob ich das erste Mal in meinen Körper gefunden hätte“.

Durch den Tod seiner Hauptfigur geht dem spürbar autobiografischen Roman ein wenig die Luft aus. Die Ich-Erzählerin beginnt, das sieben Kilometer von Eisenkappel entfernte Heimatdorf als Falle zu empfinden. In Wien studiert sie Theaterwissenschaft und hängt jetzt umso mehr am Vater. Dieser Mann, der mit zwölf ungefragt von den Partisanen rekrutiert wurde, leidet an furchterregenden, posttraumatischen Wutausbrüchen, die nur seine Tochter versteht.

Als auch er nach langem Leiden stirbt, der passionierte Raucher und Tierfreund, der seine beim Kalben in einem Bach schwer verletzte Lieblingskuh weinend erschießen muss, ist der Weg frei. Er führt die Heldin dieses trotz kleiner Schwächen höchst eindrücklichen Heimat- und Entwicklungsromans aus dem Wald heraus, ins viel zitierte Offene. Doch so wie Helga M. Novak 1997 in „Silvatica“ den masurischen Wäldern als Kraftquelle Tribut zollte, so bleibt auch Haderlaps hochpoetische Prosa den slowenischen Wäldern treu. Walter Benjamins „Engel der Geschichte“, hier erscheint er als Waldgeist.

Maja Haderlap:

Engel des Vergessens. Roman. Wallstein

Verlag, Göttingen 2011. 288 Seiten, 18,90 €

Kathrin Hillgruber

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