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Kultur: Das Verbot eines Jesus-Romans entfacht in Griechenland eine neue Kontroverse um Kirche und Staat

Am 21. Januar 2000 wird auf dem zentralen Platz von Thessaloniki das Buch "M hoch N" von fanatischen Gläubigen verbrannt.

Am 21. Januar 2000 wird auf dem zentralen Platz von Thessaloniki das Buch "M hoch N" von fanatischen Gläubigen verbrannt. Die Schaufenster der Buchhandlung "Ianos" werden mit Eiern beschmiert. Sie muss von Polizisten geschützt werden, damit der Autor dort sein Buch vorstellen kann. Am gleichen Tag stellen drei Gläubige einen Antrag beim Landgericht von Thessaloniki, den Verkauf zu stoppen.

Worum geht es? Autor von "M hoch N" ist Mimis Androulakis, ehemaliger Abgeordneter der Linken Allianz und führender Aktivist der Studentenunruhen gegen die Obristen im Jahr 1973. Androulakis bezeichnet sein Buch als "Antiroman". Es basiert auf zahlreichen Diskussionen, die der Autor mit Frauen im Internet geführt hat, und thematisiert die bis heute anhaltende Frauenfeindlichkeit der (westlichen) Kultur. Auch die Kirchenväter nimmt Androulakis aufs Korn, gleichzeitig würdigt er Jesus als den ersten, der die Frauen wirklich liebte. Die Sprache von "M hoch N" ist oft derb, ordinär, ironisierend und polemisch.

Bei Erscheinen des Buchs Ende vergangenen Jahres hatte es viele lobende Kritiken und noch mehr Verrisse geerntet. Erst jetzt, da der Autor sein Werk in Thessaloniki vorstellt, erhebt sich militanter Protest - und das ist kein Zufall. Denn in der "Metropole des Balkans", der byzantinischen Stadt Griechenlands schlechthin, übt die Kirche einen stärkeren Einfluss aus als anderswo. Der Geist des nahe gelegenen heiligen Berges Athos ist spürbar. Dennoch provozierten die Bilder von der Bücherverbrennung eine Welle der Entrüstung bei Politikern aller Parteien, Intellektuellen und Verbänden. Sogar der Erzbischof distanzierte sich von den, wie er sagte, christlichen "Eiferern".

Den Bann verhängt

Sechs Wochen später, am 9. März, werden in der griechischen Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Ereignisse diskutiert: Ministerpräsident Kostas Simitis stellt offiziell den Antrag zur Aufnahme des Landes in die Europäische Währungsunion. Am gleichen Tag veröffentlicht die Heilige Synode der Griechisch-Orthodoxen Kirche ihre einstimmig verabschiedete Stellungnahme zu "M hoch N". Sie verurteilt das Buch als blasphemisch und verabscheuenswürdig, zeigt Verständnis für die "hitzigen" Reaktionen der Gläubigen, deren Gefühle verletzt worden seien, und verhängt über den Autor Androulakis den Bann, das "Anathema". Am selben Tag sollte das Landgericht über den oben erwähnten Strafantrag entscheiden. Ein Zufall? Gewiss nicht.

Im Gericht beschimpfen und bedrohen die zahlreich anwesenden Christen Makis Trikkoukis, den Verteidiger von Androulakis. Das Landgericht unterbricht die Verhandlung und stimmt dem Vorschlag der Verteidigung zu, aufgrund der anstehenden Wahlen die Verhandlungen auf den 16. Mai zu verlegen. Die Gegenseite stimmt nur unter der Bedingung zu, dass vorläufige Maßnahmen gegen das Buch getroffen werden. Am nächsten Tag gibt das Gericht bekannt, dass der Verkauf in den fünf Präfekturen Zentralmakedoniens untersagt wird. Das demokratische Griechenland verurteilt auch diese Entscheidung, in den Zeitungen weisen nicht wenige Kommentatoren auf die Bücherverbrennung der deutschen Nazis hin. Politiker jeglicher Richtung üben ebenfalls scharfe Kritik an dem Urteil, und der griechische Verlegerverband kündigt an, das Buch erneut zu publizieren, falls es definitiv verboten werde - ähnlich, wie die "Satanischen Verse" von Salman Rushdie in Deutschland verlegt wurden.

Der Erzbischof hingegen schweigt zum Verbot, das auch der Pressesprecher der Heiligen Synode erst unter dem Druck der Öffentlichkeit kommentiert: "Es ist die Entscheidung eines säkularen Gerichtes, und dieses wurde nicht von der offiziellen Kirche angerufen, sondern von gläubigen Bürgern." Mit Sorge vernimmt die Staatskirche Griechenlands derweil die immer zahlreicheren Stimmen, welche die Trennung vom Staat fordern. Seit Jahren schwindet ihre Autorität. Sie will ihren Status als Staatskirche, welcher in der Präambel der griechischen Verfassung verankert ist, nicht kampflos aufgeben, und versucht ihn nun mit allen Glaubens- und Machtmitteln zu verteidigen.

Nur nicht Ausland

Es geht also nicht primär um ein Buch, sondern um einen Machtkampf zwischen dem griechischen Staat und der Griechisch-Orthodoxen Kirche. Ein Kampf zwischen Traditionalisten und Modernisierern, der derzeit auch um die Streichung der Religionszugehörigkeit auf dem neuen europäischen Personalausweis geführt wird. So sagte etwa der Metropolit von Kosani, ohne den Namen seines Kontrahenten, des Außenministers Georgios Papandreou, zu nennen: "Wir wollen unseren Glauben auch dokumentieren. Wir wollen nicht den Vorschlägen jener folgen, die im Ausland geboren und aufgewachsen sind." Darauf kommentierte Mimis Androulakis: "Es ist beschämend ,so etwas zu hören. Aber noch wichtiger ist es, dass der Metropolit verschweigt, weshalb der Minister im Ausland aufgewachsen ist! Seine Familie wurde von den Obristen verjagt. Die Kirche hat zu diesen und vielen anderen Geschehnissen dieser Zeit geschwiegen - bis heute!"

Noch ist keine "Fatwa" ausgesprochen worden, obschon die Entscheidung des Gerichts gefallen ist. Und Mimis Androulakis ist kein griechischer Salman Rushdie. Aber der Druck der kirchlichen Kreise wird im Zuge des Wahlkampfs nicht abnehmen. Makis Trikkoukis, Verteidiger des Autors, sagte gegenüber dem Tagesspiegel: "Die vorläufige Entscheidung des Landgerichts, den Verkauf des Buches in Zentralmakedonien zu verbieten, ist verfassungswidrig und politisch besorgniserregend. Ginge es der Kirche wirklich um ihre Gläubigen, hätte sie ihnen von Anfang an geraten, das Buch aufgrund des blasphemischen Inhaltes nicht zu lesen."

Was nun ansteht, ist eine offene Debatte über die Frage, ob die griechische Gesellschaft eine säkulare, demokratische Gesellschaft sein möchte, in der die Unabhängigkeit der demokratischen Institutionen, etwa der Gerichte, gewahrt und gestärkt werden soll. Demokratie kann ohne die Freiheit des Wortes nicht existieren. Demokratie ohne Toleranz ebensowenig: eine Toleranz aber, die auch die Religionsfreiheit beinhaltet.

Janna Titoki

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