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Kultur: Das verflixte zweite Mal

In Worms sind Moritz Rinkes Nibelungen wieder auferstanden

Eine Ritterrüstung hat Gewicht: Der Brustpanzer wiegt an die drei, das Schwert ungefähr zwei Kilo. Alles zusammen entspricht ungefähr fünf Flaschen Grauburgunder. Mario Adorf hat das ausgerechnet. Die Rolle muss schwer auf seinen Schultern gelastet haben, obwohl ein Theaterpanzer ganz so gewichtig wohl doch nicht ist. Im vergangenen Jahr, bei der Uraufführung, spielte der Kinoroutinier in Worms einen sehr staatsmännischen Hagen, einen Strategen und Planspieler, der alles unter das Primat der Politik stellt. Mario Adorf, wie man ihn kennt, mit sonorer Stimme, gradlinig, ein Macher ohne kompliziertes Innenleben.

In diesem August, dem heißesten seit vielen Jahren, tritt Mario Adorf in Worms im leichten Sommeranzug an, den Brustpanzer hält er locker in der Hand. Eigentlich sollte er einen Prolog sprechen – doch Adorf hält eine sehr persönliche Ansprache, huldigt dem Dom, der als einziger die wahre Geschichte der Nibelungen kennt, weil seine Grundmauern sie vor über 1500 Jahren miterlebt haben. Das Sommerjackett trage er lieber, bekennt Mario Adorf und eröffnet die Nibelungenfestspiele in Worms, indem er davoneilt, um den Brustpanzer seinem Nachfolger zu überreichen: Manfred Zapatka.

Schon bei Zapatkas erstem Auftritt wird deutlich: Sein Hagen ist zurückhaltender, charmanter, hintergründiger als der, den Mario Adorf im vergangenen Jahr dargestellt hat. Später wird er gebrechlicher wirken, nicht mehr der Fels in der Brandung sein, den Adorf gegeben hatte, dafür aber auch hinterhältiger, facettenreicher, mieser. Manfred Zapatka spielt seine Kollegen nicht an die Wand. Hagen ist im zweiten Anlauf auf den Wormser Festspielen eine schillernde Figur im Ensemble, keineswegs mehr die, um die sich alles dreht.

Vielleicht hat Mario Adorf das gespürt und deswegen den Hagen nicht noch einmal gespielt. Der Inszenierung tut der Verzicht gut. Vieles kommt leichthändiger daher, das Spiel erscheint beiläufiger, die Komik ist subtiler ausgelotet. Im vergangenen Jahr wirkte Moritz Rinkes Stück noch etwas unentschlossen – zwischen Nibelungen-Comic und Kritik an einer verfetteten bundesdeutschen Gesellschaft im mittelalterlichen Kostüm. Regisseur Dieter Wedel wiederum hatte die Angelegenheit sehr ernst genommen und unglaublich viel hineingepackt – von brüllender Situationskomik bis hin zu kostümierten Weltkriegsveteranen, die er mit klaffenden Theaterwunden aufmarschieren ließ, wohl damit nur ja keiner auf die Idee kommen könnte, man würde sich in Worms über das Thema Krieg lustig machen. Und Wedel musste wohl auch zu erkennen geben, dass er, der Regisseur, sehr wohl wusste, dass die Nibelungen im Theater eine komplizierte Rezeptionsgeschichte haben. Auch wenn der Dramatiker Moritz Rinke versucht hatte, Wagner und die Nationalsozialisten gründlich vergessen zu machen.

Die Veteranen haben auch in diesem Jahr ihren Auftritt, und nach Kriemhilds Gemetzel an Etzels Hof hat Dieter Wedel auch diesmal nicht mit Kanonendonner, echtem Feuerwerk und Kriegsbildern auf Video gespart. Ein bisschen erinnern diese Passagen immer noch an den Versuch, Hollywood mit den Mitteln des Fernsehspiels erreichen zu wollen. Obwohl Moritz Rinke seinen Text gekürzt hat, dauert die Aufführung immer noch knapp vier Stunden. Aber: Die Neuauflage wirkt insgesamt runder, stimmiger. Dieter Wedel kostet die Komik des Textes von Moritz Rinke subtiler, liebevoller und gelassener aus. Er lässt etwa den Burgunderkönig hilflos am Baum baumeln, als seine enttäuschte Brünhild ihn in der Hochzeitsnacht einfach aufgehängt hat, während Hagen ungerührt über die Staatsräson philosophiert und sich nicht anschickt, seinen König zu befreien. Das war im letzten Jahr auch schon so – und doch empfindet man es im zweiten Anlauf als feiner, hintergründiger: Die Figuren lassen hinter der Komik auch persönliche Deformationen erkennen. Einen großen Auftritt hat Brünhild, die jetzt von der Hamburger Schauspielerin Wibke Puls dargestellt wird, eine unterkühlte, rätselhafte Schönheit und konsequente Gegenspielerin zur Kriemhild der Maria Schrader, die wieder sehr bewusst als motziges, verwöhntes Gör auftritt.

Wagemut und Kleingeist

Die Premiere 2002 war ein Medienspektakel, das seinesgleichen suchte – mit Prominentenauftrieb und jeder Menge Ärger. Es gab Probleme, unter anderem mit der Akustik. Beinahe hätte der Regisseur das Handtuch geworfen, der Festspielleiter quittierte während des Festivals seinen Job. In diesem Jahr war der Sound sehr viel besser, wenngleich noch nicht perfekt. Worms steht ohnehin für eine merkwürdige Mischung aus Wagemut und Kleingeistigkeit: Eine neue Version der Nibelungensage in Auftrag zu geben, zeugt von Pioniergeist, dem Freiburger Stadttheater im letzten Jahr jedoch per Gericht verbieten zu wollen, dort eine Kammerspielfassung der Nibelungen zu spielen, vom Gegenteil. Die Stadt Worms, der das Spektakel zunächst viel zu teuer und zu groß zu werden drohte, scheint sich nun doch in die Rolle eines Festspielorts zu finden. 2005 sollen die nächsten Nibelungenspiele stattfinden, eventuell mit einem anderen Regisseur. Wie der Oberbürgermeister versichert, will die Stadt „in kommunalpolitisch schwerster Zeit ein Signal kulturpolitischer Ernsthaftigkeit setzen.“ Ermöglicht haben das vor allem Sponsoren, die Stadt selbst hat ihre Zuschüsse zurückgefahren.

Das zweite Mal sei immer das schwerste, hat Mario Adorf in seiner Eröffnungsrede gesagt, die zweite Vorstellung, die zweite Rolle, das zweite Jahr. Es geht voran mit den Nibelungen und der Festspielstadt Worms.

Ursula May

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