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Flächendeckende Beschallung. Szene mit Lajos Talamonti Foto: David Baltzer/Zenit

© David Baltzer/ZENIT

Kultur: Das Volk war empfänglich

Zwangsarbeit für die Nazis: Hans-Werner Kroesingers „Wellenartillerie Telefunken“ im Berliner HAU.

Es gab damals viele gute Gründe, sich ein Rundfunkgerät zuzulegen. Neid zum Beispiel: „Öfter bei Bekannten Radio gehört – man dachte, es ist doch eigentlich menschenunwürdig, dass wir kein Radio haben.“ Auch Furcht vor zu viel Stille konnte den Ausschlag geben: „Durch Heirat der Tochter Fortfall der Hausmusik“. Oder, das mit Abstand einleuchtendste Argument für den Erstkauf des Empfängers: „Durch die Benutzung des eigenen Geräts die Geräte der Nachbarn unhörbar zu machen“. Es sind Stimmen aus den späten 20er Jahren, die da zitierterweise sprechen. Aus den seligen Tagen also, als man noch nicht in die Röhre schaute, sondern ihr nur lauschte. Der Rundfunk in Deutschland hatte in den fünf Jahren seines Bestehens nahezu die gleiche Verbreitung gefunden wie vormals der Fernsprecher im Laufe von 50 Jahren. Der Blitzsiegeszug eines Massenmediums. Und als Werbeslogan mit Ohrwurmqualität schwang über den Äther mit: „Wer Rundfunk hört, hört Telefunken.“

Dokumentartheater-Regisseur Hans- Werner Kroesinger durchleuchtet in seiner Produktion „Wellenartillerie Telefunken“ mit der ihm eigenen Akribie die Geschichte dieses deutschen Unternehmens fern jeder jazzigen „Radio Days“- Nostalgie. Seine drei Spieler, Nicola Schößler, Lajos Talamonti und Verena Unbehaun, laden zwischen Vitrinen und Overhead-Projektor zur leistungsstolzen Führung durch die Werkshistorie. Auf zwei Hälften eines geteilten Raums hat Kroesinger das Publikum platziert, die Darsteller wechseln dazwischen, oft erlebt man sie nur als Stimme – mit Sendungsbewusstsein. Gepriesen sei der Erfindergeist: „Der Mensch braucht, um aufbauen zu können, die Überlieferung“, so heißt es eingangs. Man könnte auch sagen: die Übertragung. Telefunken, 1903 auf Betreiben des Kaisers von AEG und Siemens gegründet, macht sich einen weltweit klingenden Namen als Pionierfirma der drahtlosen Kommunikation. Daneben wächst Telefunken zu einem der bedeutendsten deutschen Rüstungsunternehmen. Im Repertoire der Berliner Technikgenies: Zielfluggeräte für Flugzeuge, Radar- und Warngeräte.

Vor allem aber wird das Unternehmen zu Hitlers Sprachrohr. Durch die Massenproduktion des Volksempfängers, der sein Kürzel „VE 301“ dem 30. Januar verdankt, dem Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Und durch die Entwicklung von Großlautsprecher-Anlagen für Freiluft-Reden. Ein Slogan der Zeit: „Elektrizität spricht zum Volk“.

Es ist die Geschichte hinter einem Markennamen, der noch bis 2005 überdauern konnte. Kroesinger macht den Kriegsdonner hörbar hinter den Wagner-Klängen, die aus dem Radio schallen. Der Regisseur und seine Mitstreiter haben sich, wie man es von ihnen gewohnt ist, tief in die Archive gegraben, Staunenswertes zutage gefördert und aus Quellenmaterial Texte mit Gegenwartsbezug montiert.

Die nachgerade informationswütige Erzählung rückt nahe, auch geografisch. Hauptsitz und Forschungsabteilung von Telefunken waren bis 1919 am Tempelhofer Ufer 9 ansässig. In unmittelbarer Nähe des HAU 3 also, wo Kroesingers Inszenierung stattfindet. Wie andere Unternehmen der Nazizeit beschäftigte auch Telefunken in großer Zahl sogenannte Fremdarbeiter. „Zwei Häuser neben dem HAU 2“, heißt es, „war eine der Fabrikationsstätten von Telefunken. Eine Belgierin, die an inneren Blutungen starb, wohnte unter dieser Adresse.“ Das Prinzip Stolperstein: Sichtbar machen, was hinter übermalten Fassaden verblasst ist.

Immer mehr verdichtet sich „Wellenartillerie Telefunken“ zur Geschichte dieser Ausgebeuteten. Gewinnt hinter der politischen eine menschliche Dimension und lässt Schaudern – vor allem ob des Technokraten-Jargons, in dem die Geschicke der Arbeiter verhandelt werden. Das Gewerbeaufsichtsamt legt „7 cbm Luftraum“ pro Mensch fest, das Verbot des Geschlechtsverkehrs mit deutschen Frauen unter Androhung der Todesstrafe ist ebenso geregelt wie die Verpflegung mit wässriger Kohlsuppe drei Mal am Tag. Diese Schilderungen brennen sich ein. Wer Telefunken hört, hört Zwangsarbeit.

Am Ende steht eine Erklärung von Bundespräsident Johannes Rau aus dem Jahr 1999. Er lobt die Unternehmen, die sich ihrer Verantwortung zu stellen und für die Entschädigung der Zwangsarbeiter zu zahlen bereit sind. Und er bittet im Namen des Volkes um Vergebung. Was unausgesprochen bleibt: dass die Firmen mehrheitlich nicht aus Einsicht zahlten. Sondern weil das saubere Label „Made in Germany“ in Verruf zu geraten drohte.

Wieder am 7. sowie vom 9.–11.Januar., jeweils 20 Uhr, HAU 3

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