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Kultur: Das Wagnis der Öffentlichkeit

Das Literaturhaus Berlin widmet Hannah Arendt zum 100. Geburtstag eine Ausstellung

Wenn Hannah Arendt in ihren Schriften den Bedingungen politischen Handelns nachspürt, dann schlängeln sich vor allem zwei Begriffe durch die Zeilen: der „öffentliche“ und der „private Raum“. Wie sich diese beiden Sphären zueinander verhalten, wie sehr sie umdefiniert, eingeschränkt oder erweitert werden von der antiken Polis über die Revolutionsgesellschaften Amerikas und Frankreichs bis in die Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts, daraus leitet Arendt den Grad der Freiheit und Unterdrückung ab, der in den jeweiligen Ordnungen herrschte. Doch die Resolutheit, die aus solchen Großuntersuchungen spricht, und der souveräne Habitus, mit dem Arendt ihre Formulierungen immer zu pointieren wusste, verdecken zuweilen, dass ihr Denken nie primär auf Resultate zielte, sondern in ein unabschließbares Gespräch.

Der Entwurf eines solchen vielstimmigen Gesprächs, das sie seit den vierziger Jahren vor allem mit Literaten führte und stetig erweiterte, ist nun in vorsichtigen Ausläufern in einer Ausstellung im Literaturhaus Berlin zu sehen. Ausgiebige Zitatblöcke aus ihrem Buch „Vita activa“, in dem sie die erwähnten Handlungsräume zwischen öffentlich und privat am klarsten ausbalanciert, schmücken große Stellwände. Handgeschriebene Postkarten, Briefe und Notizzettelchen von amerikanischen Dichterfreunden an Hannah, aufgeschlagene Bücher mit flüchtigen Bleistiftunterstreichungen oder herzlichen Widmungen ruhen daneben und verwandeln die beiden Ausstellungsräume in eine ganz eigene, sinnreiche Variante jenes öffentlich-privaten Spannungsfelds.

Im Foyer läuft noch einmal das legendäre Gaus-Interview von 1964 mit viel zu lautem Ton, so dass die energische, rauchtiefe Stimme der Arendt das tonlose Gespräch, das die Briefe an sie eigentlich entspinnen sollen, kaum durchdringt. „Das Wagnis der Öffentlichkeit“, hört man sie sagen, bedeute, die eigene Person mit zu exponieren im Tun. Das ist keine Egozentrik, sondern Verantwortung. Und genau dieses Durchtränktsein von der intensiven Person Hannah Arendt erzählt jedes Dokument. Besonders die Inszenierung des Ausstellungsortes als ein eigenartiger, öffentlich-privater Zwischenraum, in dem sich diese Handlung spiegelt, ist den beiden Kuratorinnen Barbara Hahn und Marie Luise Knott durchaus gelungen. Zwei großformatige, herrliche Schwarz-Weiß-Fotos, die aus unterschiedlichen Perspektiven den Blick aus einem Hochhausfenster auf eine regennasse Straße werfen, die sich an einem Park entlangschlängelt, hängen wie Trompe-l’oeils an der Hinterwand.

Es sind Fotos aus der New Yorker Wohnung des Ehepaars Arendt/Blücher, die mit dem Eindruck spielen, als betrete man durch all die Briefe und persönlichen Widmungen fast das Wohnzimmer der Adressaten selbst. Die ausgehängten Gedichte aber steuern souverän in die Öffentlichkeit zurück: „A Living Room“ steht in großen Lettern neben den Fotos, das dazugehörige Gedicht hängt drei Papierbahnen lang daneben. Der Publizist Theodore Weiss schrieb sich dem Paar damit ins Gedächtnis und meint darin viel mehr als ein „Wohnzimmer“ den „lebenden Raum“.

Lebendig aus all den Vitrinen aber steigt in erster Linie Arendt als die praktische Gesprächspartnerin auf, nicht die dichterisch Denkende, wie die Kuratorinnen es gerne hätten. Uwe Johnson entschuldigt sich wortreich für ihre unabgesprochene Namensnennung im Vorabdruck seiner „Jahrestage“, Hilde Domin, deren Brief erst kürzlich entdeckt wurde, würdigt beider Nähe zu Karl Jaspers und verfasst sogleich das Gedicht „Fremder“ darauf, und Ingeborg Bachmann verklausuliert ein salomonisches Lob: „Ich habe nie daran gezweifelt, dass es jemand geben müsse, der ist, wie Sie sind, aber nun gibt es Sie wirklich“. Man tauscht Höflichkeiten aus, schickt sich Abschriften von Gedichten oder Bücher (vor allem Rilke).

„Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit“, jener Titel, aus dem „Denktagebuch“ entnommen, verlangt allerdings sehr viel mehr als nur das Zitieren, Tradieren, Illustrieren von Versen, um einen literarischen Grundzug in Arendts Denken zu zeigen. „Lieber Benjamin“, beginnt sie eine neckische Karte, „chère amie“, antwortet er französisch. Der Rest ist unlesbar. Generell wäre eine Übertragung der Handschriften in eine Druckfassung nötig. So bleiben die Hälfte der Exponate rätselhafte Schriftbilder – immerhin auch darin etwas von ihrer Person.

Literaturhaus, Fasanenstr. 23, bis 11. Februar, täglich 11-20 Uh r. Katalog (Matthes & Seitz Verlag) 18,80 Euro.

Doris Meierhenrich

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