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Kultur: Das Werk ruft

Bajuwarisch-bodenständig: Der Dirigent Wolfgang Sawallisch wird heute 80

Von Christine Lemke-Matwey

Wer Achtzigerjahre sagt und Bayerische Staatsoper, der ahnt wohl, was jetzt kommt. Auf der Bühne nämlich mochten sich mal mehr, mal weniger aufregende Inszenierungen von Günther Rennert oder Jean-Pierre Ponnelle zutragen, von Kurt Horres oder Otto Schenk – Generalmusikdirektor Sawallisch saß in seiner Loge. Das heißt: Wenn er nicht selbst am Pult stand, was in den 22 Jahren seines Münchner Wirkens exakt 1165 Mal der Fall gewesen ist. Die Bühnenuntermaschinerie mochte streiken, ein böser Virus in der hydraulischen Flüssigkeit, der das Haus über Jahre lahmlegte – Generalmusikdirektor Sawallisch saß in seiner Loge. Vor und hinter den Kulissen mochte es hoch hergehen, Querelen mit August „dem Starken“ Everding bis hin zu gegenseitigen Rücktrittsdrohungen, Querelen mit dem Bayerischen Rechnungshof – Sawallisch saß abends in seiner Loge. Freundlich lächelnd. Eisern.

In der Loge freilich war er nie allein. Mechthild, seine Frau, saß immer neben ihm. Nein, recht eigentlich saß sie vor ihm, vom Saal aus gesehen. Sein Schutzschild, sein Panzer. Wolfgang Sawallisch, der geborene Münchner, der Ende der Vierzigerjahre unter anderem bei Hans Rosbaud und Igor Markevitch studierte, schien das zu brauchen – auch und gerade weil die Branche seinem gediegenen, fast buchhalterischen Äußeren keine größeren Empfindsamkeiten, nichts Verletzliches unterstellte. Ein Missverständnis, wenn man den Pianisten Sawallisch kennt (an der Seite von Margaret Price oder Hermann Prey oder auch als enthusiastischer Kammermusiker); eine Voreiligkeit, wenn man weiß, wie sehr er in Sängerkreisen geschätzt wird, seines Atems, seiner klugen Wachheit wegen; und ein Klischee, wenn man bedenkt, dass Sawallisch nach seinem eher unseligen Abschied aus München 1992 nirgendwo auf der Welt je wieder einen Orchestergraben betreten hat. 45 Jahre Oper zwischen Augsburg und der Mailänder Scala seien genug, so sein listig-schmallippiger Kommentar.

Sprach’s und brach auf in die Neue Welt, nach Amerika zum Philadelphia Orchestra, und nach Japan, wo man ihn seit jeher stürmisch geliebt und gefeiert hat. Gleichwohl war Wolfgang Sawallisch – der „Kapellmeister“ – nie genialisch. Kein Ikarus wie Carlos Kleiber, kein begnadeter Jet-Setter wie der Kollege Karajan. Doch einer, der alles dirigieren könne. Fleiß, Ernst, Handwerklichkeit, Solidität und ein bodenständiges Gemüt, das sind typische Sawallisch-Tugenden. Dem Münchner Nationaltheater bescherten diese zwei weithin beachtete Zyklen seiner beiden „Hausgötter“ (neben Mozart): den ganzen Wagner für 1982/83, den ganzen Strauss für die Opernfestspiele 1988.

In Amerika wie bei seinen regelmäßigen Gastauftritten in der Berliner Philharmonie hat Sawallisch sich in letzter Zeit vornehmlich mit Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner beschäftigt: das klassisch-romantische Repertoire also, das Herzstück seiner Musikanschauung. Auch hier wollte Sawallisch nie Grenzgänger sein. Neue Musik jenseits von Henze oder Hindemith hat ihn ebensowenig interessiert wie die Auswüchse des Regietheaters. Freunde sagen, der Tod seiner Frau schmerze ihn tief, und er habe gesundheitliche Probleme. Die alten Münchner Wunden aber sind vernarbt: Ende September ehrt die Bayerische Staatsoper Wolfgang Sawallisch im Cuvilliéstheater mit einem Festakt. Anlass ist der 80. Geburtstag, den der Musiker heute feiert. Wir gratulieren.

Christine Lemke-Matwey

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