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Kultur: „Das wird der Sozialismus des 21. Jahrhunderts“

Was Europa und Bushs Amerika trennt und was die Globalisierungskritiker eint – ein Gespräch mit dem US-Soziologen Norman Birnbaum

Herr Birnbaum, Bagdad ist gefallen. Der IrakKrieg geht offenbar schneller zu Ende, als viele glaubten. Ist das ein Hoffnungsschimmer für die transatlantischen Beziehungen?

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die US-Regierung irgendwelche Kompetenzen an die UN abgeben wird. Und das heißt, es gibt weiter Anlass für die Europäer, sich zu beschweren. Langfristig kommt die Haltung von Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Länder zum Irak–Krieg einer Art Unabhängigkeitserklärung gleich. Aber die USA brauchen kulturell und ökonomisch auch einen Partner. Wenn etwa China die Alternative heißt, ist ein demokratisches Europa ganz sicher der bessere Partner.

Die „Falken“ in der Bush-Administration aber halten das Zerwürfnis zwischen Amerika und Europa für mehr als nur einen Familienstreit.

Es ist gravierend. Man kann die aktuelle Lage jedoch auf unterschiedliche Weise deuten: Entweder stellt die gegenwärtige amerikanische Politik einen Richtungswechsel dar, der nicht repräsentativ ist. Dann kommen die Demokraten mit ihrer multilateralen Einstellung wieder an die Regierung. Oder aber, Bushs Politik steht in der Logik einer Weltmacht und wird somit auch die Tagesordnung der Demokraten bestimmen. Leider führen die Demokraten mit wenigen Ausnahmen keine Debatte über den Krieg. Die Mehrheit ist in ein schwarzes Loch gefallen. Von den Clintons hört man gar nichts.

Woran liegt das?

An den Plänen, Hillary Clinton 2008 ins Weiße Haus zu bekommen. Sie ist Senatorin von New York, und in New York ist die Israel-Lobby sehr stark. Und die unterstützt diesen Krieg. Deshalb ist von Hillary, aber auch von Bill Clinton nichts zu hören.

Bedeutet dieser Krieg einen grundlegende Politikwechsel oder eine vorübergehende Machtdemonstration?

Der Feldzug gegen den Irak war die Idee einer kleinen außenpolitischen Elite. Warum singen nun alle unsere Experten mit im Chor? Einige, weil sie Karrieristen sind. Andere folgen einfach blind ihrem Präsidenten.

Und wie konnte es eine kleine Gruppe schaffen, den Krieg gegen die große Mehrheit der Welt durchzusetzen?

Es gab unterschiedliche Motive. Vizeverteidigungsminister Wolfowitz ist wie Vizepräsident Cheney ein ideologischer Unilateralist. Die glauben, sie könnten die Karte des Nahen Osten neu entwerfen. Das schließt auch Syrien und den Iran ein. Diese Gruppe wollte den Krieg gleich nach dem 11.September. Einige sagen, der britische Premier Blair habe Bush damals davon abgehalten. Unterstützung bekommt der US-Präsident außerdem von christlichen Fundamentalisten, die von einem tiefen Sendungsbewusstsein erfüllt sind, einer Art Weltrettungsbewusstsein. Hinzu kommt, dass Bush das Verwundbarkeitsgefühl der Amerikaner nach den Anschlägen von New York und Washington ausgenutzt hat.

Die Welt retten die Amerikaner im Irak wohl nicht, aber ein unterdrücktes Volk.

Ich habe kein besonderes Vertrauen in die amerikanische Mannschaft, die den Irak nach dem Krieg regieren soll.

Aber Bush betont doch immer wieder den humanitären Aspekt des Krieges.

Dieses Sendungsbewusstsein, das auch Linke teilen, ist sehr amerikanisch. Nur muss man bedenken: In Deutschland ist 1945 eine „New-Deal“-Armee einmarschiert, und es gab eine demok Findet Innenpolitik in Amerika zurzeit überhaupt noch statt?

Gerade hat der Kongress Bushs großes Steuergeschenk für die Reichen halbiert. Wir haben auch zwei Millionen Arbeitslose mehr als am Ende von Clintons Amtsperiode. Bushs innenpolitisches Credo lautet: totale Deregulierung, alle Freiheiten für den Markt. Daraus folgt eine außenpolitische Expansion: billiges Öl, globale Ausweitung amerikanischer Dienstleistungen. Wer hat denn Kirch gekauft? Ein Mann aus Hollywood!

Ist Amerikas lose Arbeitsmarktstruktur nicht ein Vorbild, dem bald alle folgen werden?

In Deutschland sagen alle, die Gewerkschaften haben eine Bunkermentalität. Aber wenigstens haben diese Leute eine Vorstellung von ihren eigenen Interessen. Früher war ein Drittel der US-Arbeitnehmer organisiert, heute sind es nur noch zwölf Prozent. In Deutschland gibt es dagegen eine starke sozial-christliche Tradition. Die Idee, dass eine Gesellschaft kein Markt ist, ist tief verankert.

Trotzdem können wir uns den Sozialstaat in der bisherigen Form nicht mehr leisten.

Das hängt mit der demographischen Entwicklung zusammen. Aber es gibt eben auch einen Investitionsstreik von Seiten des Kapitals. Das Kapital investiert nur da, wo die Arbeitskräfte billig sind. Viele der amerikanischen Unternehmen sind im Grenzgebiet zu Mexiko zu finden oder in Asien. Das ist ein weltweites Phänomen, da hilft nur ein regulierter Prozess von Globalisierung.

Regulierte Globalisierung – ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Nein. Wenn die Internationale Arbeitsorganisation so wichtig wäre wie die Internationale Handelsorganisation WTO, dann wäre das möglich. Wenn die internationale Wirtschaftsordnung auch eine Schutzpflicht für die eigene Bevölkerung und eine Entwicklungspflicht für die Länder einschließt, in die man investiert. Das ist das Feld für eine neue Politik. Deshalb sind Ereignisse wie die Treffen der Globalisierungsgegner in Seattle oder in Porto Alegre so interessant.

Glauben Sie wirklich, dass der Aufstand von ein paar Globalisierungsgegnern den Siegeszug des Neoliberalismus stoppen kann?

Ein feiner Siegeszug: mit steigenden Arbeitslosenzahlen in Westeuropa und in Amerika. Die Bewegung, da haben Sie Recht, steht noch an ihrem Anfang. Aber schauen sie sich die Demonstrationen an: Das ist keine Angelegenheit mehr von Berufsradikalen. Das sind durchaus bürgerliche Leute, die eine Verantwortung für die Dritte Welt und die Umwelt empfinden. Ein solche Bewegung kann ich mir als Sozialbewegung oder gar als Sozialismus des 21.Jahrhunderts vorstellen. Das Subjekt dieser Bewegung ist natürlich nicht mehr der globale Arbeiter.

Sie zielen auf multilaterale Institutionen. Doch die scheinen gerade ins Abseits geraten.

Es ist natürlich Unsinn zu sagen, der Nationalstaat wäre tot. Dennoch muss es einen Weg geben, in einer geordneten Weltgemeinschaft vieles neu zu gestalten. Ohne Konflikte wird das allerdings nicht gehen – zwischen denen, die von der heutigen Situation profitieren, und denen, die darunter leiden.

Das Gespräch führten Christian Böhme und Moritz Schuller.

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