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Kultur: Das zweite Wunder von Bern

In der Schweizer Hauptstadt hat Renzo Piano eine Kultstätte für den Maler Paul Klee gebaut

Sie liegt mit ihren mittelalterlichen Giebeln, dem Münster und dem trutzigen Kuppelbau des Bundeshauses wie eine Feste steil über dem Aare-Fluss, die Schweizer Hauptstadt Bern. Dort ruhte sie lange in sich. Die kulturelle und wirtschaftliche Ausstrahlung der Schweiz verkörperten immer Zürich, Basel oder Genf. In diesem Jahr aber möchte die politische Kapitale aus dem Schatten der weltläufigen Konkurrentinnen treten – als feierten die Berner ihren Aufbruch in eine zweite oder dritte Moderne. So öffnet morgen das von Renzo Piano gebaute Zentrum Paul Klee als neuer Museums-Magnet seine Tore fürs Publikum. Letzte Woche hatte in der Stadt, in der vor 100 Jahren die Relativitätstheorie erdacht wurde, eine spektakuläre Einstein-Schau des Historischen Museums Premiere; und nachdem das legendäre Weltmeisterschaftsstadion von 1954 abgerissen wurde, wird nächsten Monat in Bern-Wankdorf das von Herzog de Meuron entworfene, auf seinem Dach vom größten Sonnenkraftwerk der Welt gespeiste Stade de Suisse eingeweiht.

Die stärkste Strahlkraft wird freilich das Zentrum Paul Klee entfalten. Ein neues Spotlight der internationalen Museumsszene, das mehr sein will als ein traditioneller Ausstellungsort. Renzo Piano sagt bei einer ersten Führung durchs Haus: „Das ist eigentlich kein Museum!“ Tatsächlich hat sich der 67-jährige Genueser Großbaumeister von der Landschaft anregen lassen und von Klees oft topografischen Zeichen und Zeichnungen. Er versteht seine Architektur für Bern als „Monument im Fruchtland“, so der Titel eines auch zur Eröffnung gezeigten Klee-Aquarells von 1929.

Das für 110 Millionen Franken, rund 70 Millionen Euro, erbaute Zentrum liegt – dies ist die erste Pointe – in der Peripherie. Im Osten der Stadt, in Schöngrün nahe Wankdorf und oberhalb der Autobahn auf freiem Feld, wo der Blick zwischen Bauernhöfen und Neubausiedlungen über die Hügelketten bis zu den Alpen geht. Hier hat Piano drei Wellen aus Stahl, Glas und Beton in einen Hang gesetzt. Sie wachsen mit ihren mal 27, mal 36 von Aluminium umkleideten Stahlbögen sanft aus der abfallenden Wiese und gleichen eher den silbrigen Buckeln emportauchender Wale oder enormer Gürteltiere. Die zugleich monumentale wie graziöse Wirkung verdankt sich einem Kunstgriff: Renzo Piano hat die drei mit transparenten Gängen verbundenen Bogenhallen derart in die Tiefe des Hangs versenkt, dass nur die verglasten Schau- und Eingangsseiten aus dem Gelände hervorragen. Durch die Absenkung gibt es von innen keine Ablenkung: Die nahe Autobahn verschwindet unter dem Horizont, man sieht aus der innen kühl eleganten Architektur hinaus in die scheinbar fast unberührte Natur. Das erinnert im Effekt an das kleinere, gewiss anders konstruierte, doch ähnlich behutsam in eine ländlich vorstädtische Umgebung eingeschmiegte Museum, das Renzo Piano bereits für die Fondation Beyerle in Riehen bei Basel entworfen hat.

Nur der mittlere Bogenbau dient nun der Präsentation der Sammlung und den Wechselausstellungen des Klee-Zentrums. Zwar besitzt man, vor allem dank der Familien-Stiftung des 1879 bei Bern geborenen und dort 1940 begrabenen Künstlers, mit über 4000 Werken nahezu die Hälfte des weltweit bekannten Klee-Œuvres. Doch soll das Zentrum nach den Worten des Enkels Alexander Klee vor allem die „interdisziplinären Visionen“ seines Großvaters widerspiegeln und weiterspielen: Paul Klees Verbindungen zur Musik, zum Tanz, zu Theater und Literatur – und auch seine Lehrtätigkeit am Bauhaus. Deshalb gibt es im größten der drei Gebäudeteile, dem „Nordhügel“, ein feuerrotes Auditorium für etwa 350 Zuschauer, bespielbar als Konzertsaal, Theater oder Kongresshalle. Benachbart ist diesem Ort von Spiel und Theorie in den teils transparenten Vorräumen das interaktive Kindermuseum „Creativa“: eine Kunstschule für die Kleinen, denen der intellektuelle Feinkünstler Klee den vermeintlich kinderleichten Strich so spielerisch raffiniert vorzeichnete.

Während die Depots mitsamt Tiefgaragen unter der grünen Wiese im Rücken der geschwungenen Piano-Bauten verschwinden und die Verwaltung des Zentrums den südlichen, kleinsten „Hügel“ bezieht, haben die beiden ersten Ausstellungen im Mittelbau das Motiv des Theatralisch-Spielerischen aufgenommen. Die ständige Sammlung, die immer nur einen Bruchteil ihrer 4000 Werke zeigen kann, präsentiert zunächst einen Querschnitt durch alle Klee-Phasen. Der erste Blickfang, die Ouvertüre, ist der „Übermut“, ein 1939 wie als Gegenzeichen wider den Kriegsbeginn draußen und den eigenen nahenden Tod in Bern gemaltes Ölbild eines vom Absturz bedrohten Seiltänzers, vital, voller Witz und leuchtend. Merkwürdigerweise ist der wirkliche Beginn des jungen Klees viel düsterer, melancholischer, ob in den dunkel begrünten Berner Aare-Landschaften oder einem noch spätimpressionistischen weiblichen Rückenakt, wo aus Grau und Schwarz nur röntgengleich weiß das Rückgrat durchscheint.

Zwischen die Bilder und Objekte aus Klees Atelier und Naturaliensammlung sind jene Handpuppen platziert, die der Künstler immer wieder für seinen Sohn Felix fertigte: eitle Mimen oder komische Gespenster aus Stoff, Gips und Holz. Sie dekorieren auch die erste Sonderausstellung im Untergeschoss des Mittelbaus, überschrieben „Kein Tag ohne Linie (Nulla dies sine linea)“. Diesen Satz aus der „Historia Naturalis“ des Plinius hatte Klee 1938 unter eine kleine Federskizze mit dem Titel „Süchtig“ notiert.

Knapp 200 Zeichnungen aus den letzten Jahren 1938 bis 1940 spiegeln das Gesamtwerk nochmals in nuce, darunter die weltweit als Weihnachtskarten gehandelten, zum Lachen menschlichen Engel. Erstmals zusammen ausgestellt sind die beiden Farbfeld-Aquarelle „Gelbes Haus I“ und „II“, unmittelbar vor Klees Tod im Juni 1940 entstanden. Als letzte Tagesnummern in Klees Verzeichnis markieren sie zufällig die Stücke 365 und 366 – als wäre die Uhr im Schaltjahr 1940 schon Ende Juni mit Klees Sterben abgelaufen.

Das Eröffnungsjahr versteht das von Andreas Marti geleitete Klee-Zentrum noch als Probelauf. Man wird noch überlegen müssen, wie man die mit heller Eiche ausgelegte, durch Bodenlüftungen klimatisierte und nur durch weiße Stellwände und segeltuchähnliche Abhängungen der Hallendecke strukturierte Ausstellungsfläche künftig auch optisch etwas variabler und damit suggestiver gestaltet. Noch wirkt alles frisch, kühl, sehr nüchtern. 2006 soll es neben Theateraufführungen und einem möglichen Auftragswerk des Klee-Liebhabers Pierre Boulez erstmals eine internationale Sommerakademie geben, ab 30. März ist eine Wechselausstellung Max Beckmann und dem „Traum des Lebens“ in Korrespondenz zu Klee gewidmet, im Herbst 2006 folgt als nächster Gast Andy Warhol, wieder mit einem Theatertitel: „Sein oder Nichtsein“.

Seine eigene Existenz verdankt das Klee-Zentrum allerdings neben den Gaben der Erben vor allem einem Mäzen. Der zu internationalem Ruhm gekommene Berner Orthopäde Maurice Müller hat mit 70 Millionen Franken rund zwei Drittel der Bausumme gestiftet. Und hat geholfen, einen jahrelangen Streit mit dem Kunstmuseum in der Berner Altstadt zu schlichten, wo Teile der früheren Klee-Stiftung deponiert waren.

Inzwischen gilt das Klee-Zentrum als multikulturelles Institut nicht mehr als direkte Museums-Konkurrenz. Zudem landete das Berner Museum just vor der Eröffnung des Piano-Baus einen eigenen Coup: Letzte Woche präsentierte man mit dem Mäzen Hansjörg Wyss einen Spender von 20 Millionen Franken für einen Anbau für die Gegenwartskunst – von solche Gesten privaten kulturbürgerlichen Engagements kann die große deutsche Hauptstadt nur träumen.

Zentrum Paul Klee, Bern, Monument im Fruchtland 3. Eröffnungsausstellung bis 5.März2006. Weitere Informationen unter www.paulkleezentrum.ch

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