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Kultur: „Dass mir nichts einfällt, das gibt es nicht“

Regisseur Andreas Kriegenburg über Stil und Erfolgsdruck, Geduld und Geld – und seine Rückkehr nach Berlin

Herr Kriegenburg, hätten Sie eigentlich Lust, mal mit Jutta Lampe zu arbeiten?

Ich frage mich ja eher, wie viel Lust und Vergnügen sie an der Arbeit mit mir hätte. Was den Probenprozess betrifft, sind das, glaube ich, doch zu ferne Planeten.

Zu Beginn Ihrer Münchner „Drei Schwestern“, die jetzt zum Theatertreffen eingeladen sind, parodieren Sie eine reale Begegnung zwischen Jean-Pierre Cornu und Jutta Lampe. Cornu erzählt Lampe, dass er mit Ihnen probt, sie ruft entsetzt: Ach Gott, ach Gott!

Aber die Aufführung, die sich an diese Prologszene anschließt, nähert sich Tschechow ja mit einer großen Vorsicht, Zärtlichkeit und Hochachtung. Insofern ist das vielmehr als Reminiszenz an eine andere, ganz wesentliche Tschechow-Aufführung gemeint …

Peter Steins „Drei Schwestern“ an der Schaubühne vor bald 25 Jahren …

… von der wir uns gar nicht spöttelnd abgrenzen wollen. Ich spiele eher mit den Klischees über meine Person: Welche Gewalt wird dem Tschechow angetan, wenn Kriegenburg ihm das erste Mal begegnet? Also: mehr Verbeugung als Kraftmeierei.

Dem gängigen Tschechow-Naturalismus setzen Sie ein surreales Traumspiel entgegen, oft tragen die Schauspieler etwa riesige Puppenköpfe – ist die Wirklichkeit bei Tschechow nicht auszuhalten?

Erst mal muss man akzeptieren, dass die Wirklichkeit, die Tschechow beschreibt, eine uns völlig fremde ist. Ich habe auch in den Proben ketzerisch gesagt: Es ist völlig unnötig, Tschechow zu spielen, weil er mit dem, was uns heute umgibt, nichts mehr zu tun hat. Letztlich betreibt man da reine Erinnerungsarbeit. Das Theater gestattet sich die Anmaßung, ein Zeitloch zu schaffen. Und dadurch auf Menschen zu schauen, die mit einer anderen Sprache und Empfindsamkeit sowohl beschenkt als auch bestraft sind. Daher mein Zugriff, Tschechow zum einen in seiner Zeit zu belassen und zum anderen das Motiv des Sich-Erinnerns vielfältig einzuschreiben.

Sie gelten seit jeher als großer Melancholiker und Verlierer-Sympathisant. Wieso sind Sie eigentlich erst jetzt bei Tschechow angekommen?

Das war pure Angst, letztendlich auch vernünftige Angst. Ich habe während des Arbeitens gemerkt, dass es wirklich das Schwierigste ist, was man sich als Regisseur auferlegen kann: Tschechow zu inszenieren. Weil die Szenen in einer psychologischen Prägnanz geschrieben sind, dass ich beim Lesen immer denke: Ja, was soll ich den Schauspielern noch sagen? Jeder Regiezugriff ist da eigentlich überflüssig, und ich hab lange davor zurückgeschreckt, Tschechow zu machen, weil ich nicht wusste, ob ich an einen Punkt komme, wo ich sagen muss: Ich kann’s tatsächlich nicht.

Ist ja gut gegangen!

Ja, es war aber auch ein Glücksfall, dass ich sehr beschützt wurde von dem Ensemble. Ich hab auch deshalb so lange gezögert, Tschechow zu machen, weil ich glaube, man muss ihn auf eine ganz bestimmte, für deutsche Schauspieler untypische Weise spielen. Indem man nämlich das Bedürfnis, mit den eigenen Fertigkeiten sichtbar zu werden, zurücknimmt.

Mit einem wesensverschiedenen Stück sind Sie ebenfalls zum Theatertreffen eingeladen, Sartres „Schmutzigen Händen“, das Castorf vor Jahren als Balkantravestie inszeniert hat. Was haben Sie darin erkannt?

Ich glaube, wir können uns glücklich schätzen, dass wir zurzeit die Rückkehr der Politik in den Alltag erleben, was sicherlich mit der großen Koalition zusammenhängt. Ich sehe gerade auch bei jungen Leuten eine tiefe Sehnsucht, sich wieder politisch definieren zu können. Und diese Sehnsucht nach dem Wiederkehren politischer Utopien, wie verworren auch immer, ist in dem Stück ganz stark beschrieben. Der Wunsch einerseits, von der Nivellierung sämtlicher Werte wegzukommen, und andererseits, sich zu radikalisieren, um ein Selbsterlebnis zu haben.

Generell haben Sie sich nie auf einen unverwechselbaren Regiestil festgelegt. Lebt sich’s als Label nicht leichter, siehe Thalheimer?

Vielleicht. Ich versuche aber gar nicht, immer wieder zwanghaft Neues zu erfinden, sondern ich benutze das Theater ja auch, um einfach zu überleben.

Das meinen Sie jetzt nicht nur finanziell.

Im Gegenteil. Am wenigsten finanziell. Ich muss mit Menschen umgeben sein, die erträglich sind. Die mich ertragen und die ich ertrage und mit denen ich viel Lebenszeit verbringe. Und in diesem Überleben versuche ich einfach, mich nicht zu langweilen. Da entsteht eine Sorgsamkeit, zu sagen: Wir wollen uns auch nicht in die Übersättigung labeln.

Ihre Arbeiten polarisieren verlässlich. Können Verrisse Sie noch verletzen?

Was mich immer noch verletzt, ist Oberflächlichkeit in der Auseinandersetzung mit meinen Arbeiten. Wenn Kritiken einer Aufführung die Ernsthaftigkeit absprechen. Oder wenn, wie jetzt bei der „Hexenjagd“, die ich in Hamburg inszeniert habe, geschrieben wird: Ihm ist nichts mehr eingefallen. Das ist ein so grundsätzliches und blödes Missverständnis, weil’s unterstellt, dass es überhaupt um Einfälle geht. Einfälle kann ich tausende produzieren. Die Situation, dass mir nichts mehr einfällt, die wird’s nie geben.

Sie sind ja gleich mit ihrer ersten Berliner Inszenierung, dem Volksbühnen-„Woyzeck“ 1991, zum Theatertreffen eingeladen worden – kam das zu früh?

Die Erfahrung hat mich sicher sehr geprägt. Allerdings weniger die Einladung zum Theatertreffen als vielmehr die unglaublich vehemente Resonanz auf diese Aufführung. In beide Richtungen, Ablehnung und Zustimmung. Ob das zu früh kam, weiß ich nicht, weil alles, was ich danach gemacht habe, auch darauf aufbaute, dass ich von Anfang an gute Möglichkeiten hatte.

Sie haben sich nicht selbst unter Erwartungsdruck gesetzt?

Ich habe an der Volksbühne sehr früh unter einem hohen Druck gearbeitet. Da musste ich Fertigkeiten nachweisen, die ich erst dabei war, mir zu erarbeiten. Aber daraus habe ich ja die Konsequenzen gezogen und entschieden, von Berlin nach Hannover zu gehen. Ich musste raus aus der Maschinerie, auch aus dieser Marktbeschleunigungsmaschinerie, und wieder zurück in die Provinz.

Was bedeuten Ihnen die Einladungen zum Theatertreffen heute?

Was die Wahrnehmung von Qualitäten und Eigenartigkeiten einer Arbeit betrifft – da ist die Einladung zum Theatertreffen schon ein wichtiger Erfolg, wenn man’s so nennen will. Auch für das Haus und das Ensemble ist es eine Vergewisserung, dass man sichtbar gemacht, was man zeigen wollte.

Müsste das Festival nicht mehr Entdeckungen machen?

Es wird ja jeder Jury die Kompetenz abgesprochen. Ich weiß nicht, wie viel ihr durch die Lappen geht, ich glaube aber, dass sich kein echtes Talent über mehrere Jahre hinweg so verstecken kann, dass es Geheimtipp bleibt. Ich mag auch dieses Gemeckere einfach nicht. Die Auswahl ist genauso subjektiv, wie die Aufführungen subjektiv sind – und es gibt nicht viel gutes Theater. Das ist einfach so.

Verfolgen Sie das Berliner Theatergeschehen noch?

Im Moment gar nicht.

Die Volksbühne haben Sie schon vor zehn Jahren als „berühmt und tot“ bezeichnet – da gehen Sie auch nicht mehr hin?

Schon ewig nicht mehr. Ich weiß gar nicht, ob das eine Hemmung ist. Ich habe – mit großem Vergnügen – meine „Nibelungen“ beim Theatertreffen da gezeigt und war selbst überrascht, wie intensiv das Erlebnis war, zurückzukehren in meine Schule. Natürlich war die Volksbühne für vieles, was meine Arbeit ausmacht, die prägende Zeit.

Berlin haben Sie immer als „Beschleunigungskessel“ beschrieben, im ruhigen Wien sind Sie aber auch nicht glücklich geworden. Was für ein Umfeld brauchen Sie?

Wien ist gar nicht ruhig, Wien ist zutiefst reaktionär. Und Theater ist dort ein rein gesellschaftliches Ereignis, das sich in der Aufgabe, erzählend oder berührend zu sein, völlig auflöst. Was ich brauche, ist ein Haus, das es schafft, ein Ensemble und auch Regiehandschriften in einer Stadt zu etablieren. Und es muss die Mittel haben, mich zu ermöglichen. Ich mache leider Gottes kein billiges Theater, auch wenn es mitunter arm wirkt.

Sie sind schon lange mit dem Intendanten Ulrich Khuon verbunden. Werden Sie ihm 2009 als Oberspielleiter ans Deutsche Theater Berlin folgen?

Ich gehe auf jeden Fall dorthin mit. Alles weitere wird sich zeigen.

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

Mit zwei Stücken ist Andreas Kriegenburg beim Berliner Theatertreffen (5. bis 20. Mai) vertreten: mit Sartres „Schmutzigen Händen“ vom Thalia-Theater Hamburg und den „Drei Schwestern“ von Tschechow (Münchner Kammerspiele).

Kriegenburg, geboren 1963 in Magdeburg, gehörte Anfang der Neunziger zu Frank Castorfs neuer Volksbühnen - truppe. Von dort ging er nach Hannover, München und Wien und ist seit 2001 Oberspielleiter am Thalia-Theater. Er war mehrfach zum Theatertreffen eingeladen, u. a. mit Hebbels „Nibelungen“ . Zehn Inszenierungen sind für das „tt 07“ nominiert, aus Berlin Michael Thalheimers „Orestie“ vom Deutschen Theater und Jan Bosses „Werther“ vom Maxim-Gorki-Theater. Auch Bosse ist zweimal dabei – außerdem mit „Viel Lärm um nichts“ aus Wien.

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