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Gleichmäßig oder ungleichmäßig? Zwischen Stottern und Sprechen.

© praxisvita.de

David Mitchells Essay über das Stottern: Das Geschenk des Fluchs

Stottern als linguistisches Kreativitätstraining: Der englische Romancier David Mitchell erzählt, wie er mit dem Sprechen umzugehen lernte.

Von Gregor Dotzauer

Auf der Liste der Behinderungen, die den Zugang zum gesellschaftlichen Leben erschweren, rangiert das Stottern auf den hinteren Plätzen. Es mag Karrieren frühzeitig zerstört und Liebesglück im Keim erstickt haben, doch es gilt auch denen, die darunter leiden, als Herausforderung, die gerade durch ihre Launen weniger kalkulierbar ist als etwa Blindheit. David Mitchell, 1969 in Southport, Lancaster, geboren, ist Englands berühmtester Stotterer.  In seinem halb autobiografischen Roman „Der dreizehnte Monat“, zwei Jahre nach seinem Welterfolg „Der Wolkenatlas“ (2004), blickte er darauf zurück, was es für einen 13-Jährigen heißt, sich in den Kampf mit der eigenen Sprechflüssigkeit zu stürzen.

In einer Rede auf dem Weltkongress der International Stuttering Association 2013 verdichtet er seine Erfahrungen noch einmal zu einem Essay, der nun, reich illustriert und in orangefarbenes Leinen gebunden, in geradezu anthropologische Dimensionen vorstößt. Vom „Fluch“ zum „Geschenk“, vom Schamgefühl des Kindes zum Stolz des Erwachsenen, der sich als „nicht-stotternden Stotterer“ begreift, nachdem er es endlich aufgegeben hat, sein Problem als „Krebsgeschwür“ anzusehen, „das mit einer Chemotherapie namens Willenskraft bombardiert“ werden muss, zeichnet er seinen Weg zu einem neuen Selbstbewusstsein nach. Die 13 Stationen orientieren sich an den Abschnitten von Wallace Stevens’ berühmtem Gedicht „Thirteen Ways of Looking at a Blackbird“. Dieser Weg verläuft linear und zyklisch zugleich.

Immer wieder führt er an den Ausgangspunkt zurück, mit allen Aussprachetricks, eingeübten Ersatzwörtern und Ad-hoc-Synonymen, die ihm zusehends eleganter über die Barriere helfen, sobald sie in Erscheinung tritt. Stottern als linguistisches Kreativitätstraining. Mitchell übertreibt auch nicht, wenn er im neurologischen Mysterium einen Empathiemotor entdeckt und etwas Verbindendes zwischen Menschen, die einander sonst nie begegnet wären. Eine hinreißende Handreichung für Stotterer und – man kann es nicht anders sagen – für alle, die es nun werden wollen.

David Mitchell: Dreizehn Arten das Stottern zu betrachten. Aus dem Englischen von Stefan Hoffmann. Zweisprachige Ausgabe. Illustriert von Marion Stelter. Demosthenes Verlag, Köln 2016. 101 S., 15,50 €.

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