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Kultur: David und Goya

Ivan Nagels Mosse-Lecture an der Humboldt-Universität

Es sind zwei sehr ungleiche Bilder, die dort im abgedunkelten Senatssaal der Humboldt-Universität als Projektionen nebeneinander zu sehen sind. Jacques-Louis Davids „Der Schwur der Horatier“ neben Francisco de Goyas „Y no hai remedio“ („Und keine Rettung“): Das eine ein monumentales Gemälde in Öl aus dem Jahr 1784 , das andere ein Kupferstich aus dem Zyklus „Desastres de la Guerra“, entstanden 1810-13, Originalgröße 15 mal 20 cm.

Ivan Nagel, Ex-Theaterintendant, Essayist und Ästhetik-Professor, unternimmt eine parallele Deutung beider Werke, oder vielmehr: Er lässt sie in einen „Streitdialog“ treten: „Ist das Wesen des Krieges heroische Automie oder mörderische Fremdbestimmung? Anders gefragt: Wer macht den Krieg?“ Sein Vortrag „Krieg in der Kunst. David und Goya“ im Rahmen der „Mosse-Lectures“ an der Humboldt-Universität schließt die Vortragsreihe „Kunst im Krieg“ ab.

Opfer für die Staatsidee

Nagel, der vor einigen Jahren ein Buch über Goya veröffentlicht hat („Der Künstler als Kuppler“, Hanser Verlag), zeichnet in seiner Lecture nach, was die Bilder erzählen. Bei David ist es der Kampf zwischen Rom und Alba um die Herrschaft in Italien, der als Bruderkampf entschieden werden soll. Nicht „mörderischer Staatenkrieg“, sondern „ruhmwürdiger Bürgerkrieg“: Das Zentrum des Gemäldes bilden drei Schwerter, die der Horatier-Vater in die Höhe hält, den ausgestreckten Armen seiner drei Söhne entgegen. Der Vater, die „tragische Hauptfigur“, opfert sich, indem er die Söhne dem „Höheren einer Staatsidee“ opfert. David spitze, so Nagel, den Konflikt zu und beende ihn zugleich. Die „Kampfarme“ werden zu „Schwurarmen“, der „Zusammenstoß“ zur „Einigungstat“. Das Opfer ist schon vor dem Kampf erbracht: kein Erleiden, sondern Akt der Selbstopferung, keine verstümmelten Leiber, sondern das „Nur-Lebendige als Nebensache“ der Idee.

Bei Goya ragen die Gewehrläufe von außen in das Bild hinein. Die Handelnden bleiben für den Betrachter unsichtbar – ebenso unsichtbar wie für die Opfer selbst, denen die Augen verbunden oder ausgestochen sind. Das Geschehen setzt sich zweimal in der Tiefe des Bildes fort, erneut die Erschießung, und nochmals: Die Opfer, das sind „alle Gefangenen des Bürgerkriegs“.

David, der „den Krieg nie gesehen hat“, malt die Idee, um deretwillen er geführt wird: „Er trug den Bürgerkrieg in die Malerei, bevor seine Gemälde den Bürgerkrieg in die Wirklichkeit tragen halfen.“ Goya hingegen „notiert“ den Krieg, den er gesehen hat: nicht den Helden, sondern die Kreatur, die sich unversehens in ihm findet. Er klagt „im spanischen Bürgerkrieg jeden gewesenen und kommenden Krieg an.“

Die „Gräuel des Krieges“ zielen auf „Fragment und Kontingenz, kurz: auf Wirklichkeit“. Goya emanzipiert die Kunst von der Literatur. Seine Grafik, so Nagel, sei „nichterzählend und nichtdramatisch“. Was in ihr geschieht, ist ein anderes: der „ Anfang der Moderne“.

Katrin Kruse

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