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Widerständig. Wieland Förster, hier auf einer undatierten Aufnahme aus DDR-Zeiten, enthüllte 2008 vor dem Bautzener Gefängnis seine Gedenkskulptur „Marsyas – Eine Jahrhundertbilanz“.

© Hinstorff Verlag

DDR-Künstler: Der Briefwechsel zwischen Franz Fühmann und Wieland Förster

Sie sind Künstlerfreunde. Franz Fühmann und Wieland Förster. Zwei, die damals im Osten bleiben. 16 Jahre schreiben sie sich Briefe über Literatur, Kunst - und alles dazwischen. Nun liegen sie vor.

Unter dem Titel „Zuhause im Exil“ hat Jürgen Serke eine „tragische“ Literaturgeschichte der DDR geschrieben: eine Würdigung der an der Staatsmacht gescheiterten und von ihr zugrunde gerichteten „Dichter, die eigenmächtig blieben in der DDR“. Seine Auswahl von 15 Autorinnen und Autoren – von Inge Müller bis Horst Drescher – ist unanfechtbar und doch einseitig im Hinblick auf Autoren, die ihren Platz in der DDR-Gesellschaft fanden, obwohl sie ihr Werk nicht weniger eigenmächtig gegen die herrschende Kulturpolitik behaupteten.

Das schlagendste Beispiel ist Franz Fühmann, der sich als ehemaliger Nationalsozialist und auf einer sowjetischen Antifa-Schule „umerzogener“ Aktivist zum Sozialismus der DDR bekannte und ihr als Funktionär der Nationaldemokratischen Blockpartei NDPD diente, bevor er mit der Staatsmacht brach und sich mit dem Aufbruch einer systemkritischen Opposition verband. Obwohl Nationalpreisträger und Mitglied der Akademie der Künste, war er Erstunterzeichner des Protests gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung und Fürsprecher der jüngsten Avantgarde vom Prenzlauer Berg. Einer von ihnen, Uwe Kolbe, den er mit einem „Ecce Poeta“ begrüßt hatte, hat ihm 1984 die Grabrede gehalten.

Fühmanns Werk ist ein Klassiker der "eigenmächtigen" DDR-Literatur

In seinem Testament bekannte Fühmann ein Jahr vor seinem Tod, „gescheitert zu sein, in der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie einmal erträumten.“ Das verdient, was die Literatur angeht, energischen Widerspruch. Fühmanns Haupt- und Spätwerke wie das Budapester Tagebuch („Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“), das Trakl-Buch „Vor Feuerschlünden“, und selbst das von ihm und seinem Künstlerfreund Wieland Förster ungeliebte Lieblingsbuch seiner jungen DDR-Leser „Säiäns Fiktschen“ gehören zum bleibenden Bestand der „eigenmächtigen“ DDR-Literatur. Sein Sprachspielbuch „Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel“ ist ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur.

Wer sie nicht kennt, darf den Titel des Briefwechsels Fühmann-Förster auch auf sich beziehen: „Nun lesen Sie mal schön!“ Eine erste Auswahl von Fühmann-Briefen erschien 1994 bei Hinstorff, die Korrespondenz mit Christa Wolf 1995 bei Aufbau, und die mit Grieshaber und Margarete Hannsmann bei Hinstorff 2000. Für sein Werk- und Kunstverständnis ist diejenige mit dem acht Jahre jüngeren Bildhauer Wieland Förster am aufschlussreichsten. Ihr Herausgeber, der Berliner Germanist Roland Berbig, berichtet von den regelmäßigen Silvestertreffen der beiden, bei denen im Atelier des Künstlers eine Bilanz gezogen wurde, die nicht öffentlich ausgesprochen werden konnte. Dazu gehörten nicht nur Fühmanns Alkohol- und Eheprobleme oder das für beide werkrelevante Thema Erotik und Sexualität, sondern auch, so Fühmann an Silvester 1978, „unser alter Disput“, ob man sich „systemimmanent“ verhalten solle oder aktiv oppositionell.

Bestimmt hat Fühmann dabei auch um das Verständnis des Freundes geworben, dass er nach seinem großen Essay zu dessen Person und Werk öffentliche Würdigungen ablehnte, solange Försters Lagerhaft in Bautzen beschwiegen werden musste. Hier sah er den Schlüssel zu der obsessiven Auseinandersetzung des Bildhauers mit dem menschlichen Körper in Lust und Qual, die er als „Triumph des Lebens in den Frauengestalten“ und als „Zeugnis vom Menschen in den Körpern der Männern noch in der Vernichtung“ deutete. Darüber könne er nur schreiben, „wenn ich die Wurzeln Deiner Arbeit bloßlegen kann: die Zeit der Verhöre, die Jahre in Bautzen, ständig in Todesnähe. Solange man darüber nicht schreiben kann, wird man deine Arbeit missdeuten.“

Als Beispiel für eine grobe Missdeutung zitiert Berbig die Kritik des DDR- Kulturministers Klaus Gysi 1965 an Försters Plastik einer deformierten „Gelähmten“, der Künstler habe mit ihr „den sozialistischen Menschen beleidigt“. Worauf Förster zurückfragte, ob der Sozialismus eine nach Gesunden und Kranken „geteilte Humanität“ habe. Offizielle Anerkennung fand er eher als Porträtbildhauer mit Künstlerbildnissen von Fritz Cremer und Hanns Eisler bis zu Gret Palucca und Walter Felsenstein.

Kunst ist Arbeit

Dass er den Auftrag für ein Lenin-Bildnis ablehnte, quittierte der Hauptabteilungsleiter im Kulturministerium allerdings mit einer Drohung: „Das werden Sie bereuen. Wir werden Sie vernichten.“ Kein Wunder, dass Förster nicht überrascht war, als die DDR Wolf Biermann ausbürgerte und Fühmann zu den Erstunterzeichnern der Protesterklärung gehörte. Trotzdem war er, so Berbig, nicht gewillt, „das eigene Werk den Ereignissen des Tages zu opfern. Für ihn hatte der DDR-Staat jenen historischen und moralischen Kredit, den die Petenten bedroht sahen und einklagten, nie gehabt.“

Über den Vorrang des Werks vor allen Zweifeln blieben sich die beiden bis zuletzt einig. Mit Försters Worten: „Kunst ist Arbeit, jeden Tag zu leisten, ohne jede Attitüde.“ Dafür liefert der über 16 Jahre geführte Briefwechsel Belege aller Art, von Postkartengrüßen, Werkstattberichten und wechselseitigen Lektoraten (Förster trat auch als Autor hervor) bis zu Grundsatzfragen von Kunst und Literatur, wenn Fühmann fragt, ob man Kunst wie Natur behandeln können.

Seitenhiebe fallen auf aktuelle Tagespolitik

Er selbst habe sie als Mythos zu behandeln versucht, sei aber auf die Befürchtung der Künstler gestoßen, „dass ein literarisches Element in ihre Arbeit hineingelegt wird, das sie gerade vermeiden wollten.“ Seitenhiebe fallen auf aktuelle Tagespolitik: „Hager und Naumann – entsetzlich!“, „Ich glaube, wir werden von Wahnsinnigen regiert!“, und auf einer Jubiläumspostkarte der Nationalen Volksarmee: „Schön, gelle?“

Nur kurz währen Verstimmungen, wenn Förster Fühmann mit Johannes Bobrowski vergleicht und zur Antwort bekommt: „Wir sind einfach windschiefe Gerade ohne Schnittpunkt, und darum überhaupt nicht zu vergleichen.“ Oder wenn Fühmann Förster zur Kandidatur als Akademiepräsident drängt und sich damit den Vorwurf der „Verkennung meines Lebens und inneren Auftrags“ zuzieht. Am Ende heißt es doch immer wieder „Händedruck, Franz“ und „Herzlich, Wieland“, in Fühmanns letztem Brief am Vorabend der letalen Krebsoperation im Februar 1984 nur noch: „tschüß, Franz“.

Franz Fühmann, Wieland Förster: Nun lesen Sie mal schön! Briefwechsel 1968- 1984. Hinstorff Verlag, Rostock 2017. 344 S., 24 €.

Hannes Schwenger

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