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© Markus Lieberenz

Dea Lohers "Diebe": Vom Geheimnis der Farce

Andreas Kriegenburg nutzt bei der Uraufführung von Dea Lohers „Diebe“ im Deutschen Theater die Gunst der Komödie

Darauf hat man doch lange gewartet. Auf den Durchbruch für die so tastend und zäh gestartete Intendanz von Ulrich Khuon am Deutschen Theater Berlin. Es ist, als sei mit einem jüngsten Pollesch-Solo in der Volksbühne und nun dieser Uraufführung von Dea Lohers großem Figurenreigen „Diebe“ das Hauptstadttheater mitten im Frost überhaupt erst auf Betriebstemperatur gekommen.

Dea Loher, die 45-jährige, inzwischen vielfach preisgekrönte Autorin, wurde bislang eher in Hamburg oder Rio als an ihrem Wohnort Berlin gespielt. Sie gilt als poetisch-politisch wache Beobachterin. Soziale Randgruppen, Schatten der NS-Zeit, der Balkankrieg oder Konflikte in kriminell explosiven Großstädten prägen ihre Szenarien. Geben ihr den Ruf einer Seismographin heutiger Tragödien und oft herber, auch zarter Melancholien. Jetzt aber „Diebe“ – da war’s mindestens bis zur Pause knapp über der Mitte des beinahe vierstündigen Abends ganz überraschend komisch. Manchmal sogar saukomisch. Lohers Lieblingsregisseur Andreas Kriegenburg und das fulminante zwölfköpfige Ensemble wagten immer wieder die grelle Farce.

Da reagierten in Pausengesprächen einige eben noch bestens amüsierte Besucher ein wenig wie der große Fritz Kortner, als er mit dem so komödiantischen Curt Bois einen Molière inszenierte und nach der Probe nicht recht zufrieden war. Aber Herr Kortner, sagte Bois, Sie haben doch die ganze Zeit gelacht! „Ja“, erwiderte der Regisseur, „aber unter meinem Niveau.“ Kriegenburg spielt indes auf vielen, unterschiedlichen Ebenen. Und Dea Loher hat ohnehin Niveau.

Bisweilen auch das eines modernen Molière. Sie hat für „Diebe“ 37 locker verbundene Szenen geschrieben, in denen das spielende Dutzend, je sechs Frauen und Männer, wie in einem Film von Robert Altman oder dem eben verstorbenen Eric Rohmer sich erst allmählich und scheinbar zufällig begegnen, sich in ihren Geschichten kreuzen, verweben. Einander liebend anziehen, tödlich abstoßen.

Das Ehepaar Schmitt beispielsweise fühlt sich durch sonderbare Spuren in seinem Vorgarten bedroht. Ein geheimnisvolles Tier, doch das entpuppt sich viele Szenen später als Mensch: als älterer Mann, der als Leichenbestatter eine kompliziert komische, makabre Beziehung zu einer von ihm schwangeren Minderjährigen pflegt, die ihrerseits von einem anonymen Samenspender im Reagenzglas gezeugt wurde. Nun sucht der werdende Vater für Mutter und Kind den Vater und Großvater – und gerät in das Leben der entsetzten Schmitts und des von seinem studentischen Vorleben im Labor eingeholten Hausherrn. Dieser Eindringling namens Josef Erbarmen (als wunderbarmender Melankomiker gespielt von Helmut Mooshammer) gleicht, apropos Molière, einem Tartuffe von heute – ähnlich einer anderen Loher-Type, die sich in Gestalt des durch Perücke und Brille toll veränderten Bernd Stempel vom Softie und verklemmten Liebhaber zum nie durchschaubaren Heiratsschwindler, Erbschleicher und Frauenwürger wandelt. Ein Unglückswurm, in dem der Drache steckt.

Oder auch nicht. Dea Loher spielt mit vielen raffinierten, mitunter auch etwas konstruierten Unschärferelationen. Die freilich einer aberwitzigen Logik folgen. Und weil sich in dieser gegen jede plane Nacherzählung gefeiten, abgründigen Untiefenhandlung die Menschen ihrerseits immer fremder werden, setzen Kriegenburg und seine Akteure noch einiges drauf. Mit Lust und einer selbst im Traurigen unterschwelligen Lustigkeit spielen sie in den von Dea Loher eingestreuten Passagen episch-indirekter Rede ihre eigenen Regieanweisungen gleich mit. Ist von einem Kinderauto, einer Kaffeetasse oder einer Kopfwendung die Rede, rucken die Hälse und man hat die Requisiten wie im brechtischen Kasperletheater gleich zur Hand. Das wirkt manchmal subtil und manchmal nur forciert: Zucker für den Affen.

Solche Betonungen mögen ein Nothalt sein bei der Uraufführung eines so schwebend offenen Stücks. Kriegenburg, der zugleich sein eigener Bühnenbildner ist, schafft für den ständigen Szenenwechsel und die verschiedenen Spielebenen auch ein gleichsam verdoppelndes, auf den ersten Anhieb imposantes Bild. Die gesamte Bühne des Deutschen Theaters beherrscht ein riesiges rotierendes Mühlrad, das die (riskant balancierenden) Akteure immer wieder von hoch oben heranschippt, sie ins und aus dem Leben kippt und nach unten, nach hinten wieder abräumt. Mahlwerk der Zeit, Hamsterrad der Existenz. So weit klar.

Kriegenburg hat Kafka zuletzt in München (und beim Berliner Theatertreffen 2009 bejubelt) auf ein senkrechtes Weltscheiben-Auge gepinnt und Lohers voriges Stück „Das letzte Feuer“ in Hamburg auf einer unaufhörlichen Drehbühne ablaufen lassen. Große Effekte – aber jetzt wirkt die Inszenierung wie ihre Figuren auch gefangen in dieser allmählich erschöpfenden, vorhersehbar unabänderlichen Mühlradmechanik.

Dagegen spielt die Aufführung spürbar an. Und bleibt trotz einiger Überdehnungen und der nach der Pause verstärkten Melodramatik leicht. Bleibt kopfhell und sich ihrer Gefährdungen bewusst. So erscheinen die Szenen im Hause Schmitt, die unsichtbare Bedrohung einer engen Bürgerwelt, zunächst nur als übertrieben karikiert. Katrin Klein markiert ein zickiges TV-Soap-Hausweibchen und Bernd Moss ist der stiere Storch im essigsauren Salat seines Lebens. Aber man sehe später, wie die laokoonartige Verschlingung mit dem eingedrungen Herrn Erbarmen sich ohne die im neueren deutschen Theater sonst allfälligen Körperkrämpfe löst, zum Tanz wird – und im Mord endet. Plötzlich wird klar, dass die Farce nur eine Falle war und die Klamotte die Mutter der Tragödie.

„Diebe“: Wer stiehlt da wem und sich das Leben? Dea Loher hat ein existentielles Zeitstück geschrieben, das in einer namenlosen deutschen Provinz spielt, wo man draußen wieder erste Wölfe sieht, wo Supermärkte letzte Liebesmärkte sind und eine abgewrackte Therme der Quell einer erhofften künftigen WildparkBiosphäre. Das ist von heute und doch ort- und zeitlos. Die hierbei an den frühen Botho Strauß erinnernde Gegenwartsautorin vermeidet in ihren oftmals brillanten, selten eine Spur zu gewollt kunstvollen Dialogen jede direkte Anspielung. Kein Wort von Finanzkrise oder Terrorismus, selbst das Handy ist nur noch „das Schnurlose“.

Das könnte eskapistisch wirken, es öffnet aber auch so etwas wie überzeitgeistige Echoräume. Wenn hier einer bei der Agentur „Löwe & Lamm“ Versicherungsvertreter für die Schadensspezialität „Höhere Gewalt“ war, dann hat das mehr als nur Witz. Und den tieferen Sinn verkörpert das Ensemble virtuos.

Jörg Pose darf zwar nur ein lebensmüder Oblomov sein, dagegen sind Markwart Müller-Elmau und Judith Hoffmann in einer anrührenden Vater-Tochter-Geschichte voller Scherz und Schmerz wunderbar lebenswach, ebenso wie die wunderbar minimalistische Heidrun Perdelwitz als Frau, die nach 43 Jahren das Verschwinden ihres Mannes bei der Polizei meldet. Oder eine zweite Anzeige bei der Obrigkeit, die Susanne Wolff mit berlinernder Röhre zu einem grandiosen eigenen Dramolett mit einer genial-verrückten Schlusspointe macht: zusammen mit dem jungen Daniel Hoevels, der als Hugh-Grant-Galan aus der Provinz später noch sehr privat zur Dienstwaffe greift. Viele Geschichten, viele Gesichter, am Ende Jubel für alle.

Nächste Vorstellungen 23., 24. 1., 8. 2.

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