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Als Berlin zu Groß-Berlin wurde. Der Potsdamer Platz 1919, auf einer Luftaufnahme der Fluggesellschaft Aero Lloyd.

© Stadtmuseum Berlin

Debatte über Berliner Städtebau: Das Glück des richtigen Moments

So schnell schießen die Preußen besser nicht: Eine Diskussion über die Zukunft Berlins mit Norbert Lammert und Paul Spies.

Sachen gibt’s! Da fragt die sehr bürgerliche Stiftung Zukunft Berlin genauso bildungsbürgerliche Gäste nach dem „Wohin“ für unsere Stadt und bekommt eine Antwort, die niemand erwartet hat. Keine Abrechnung mit der sich selbst genügenden Verwaltung dieser Metropole, kein Schimpfen auf politisches Sektierertum einer selbstverliebten Koalition, sondern ein Lob der Langsamkeit. Frei nach der Devise: Wer nichts tut, macht schon nichts falsch.

Was da in der baden-württembergischen Landesvertretung ablief, war nicht etwa Kabarett, sondern ernsthaftes und durchaus emphatisches Bekenntnis zu dieser Stadt. Das „Wohin geht’s, Berlin?“ legten Stiftungsvorstand Volker Hassemer und der ehemalige Senatssprecher der Ära Wowereit, Richard Meng, als Thema sowohl Paul Spies, dem Museumsdirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, als auch Norbert Lammert vor, heute Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und von 2005 bis 2017 Präsident des Deutschen Bundestages.

Angst vor Großdeutschland

Der wehrte sich vehement gegen die Frage, ob und wie sich sein Berlinbild in den mehr als 20 Jahren verändert habe, seit der Bundestag in Berlin tagt. Nein, nicht er, die Stadt habe sich verändert. Sein Bild Berlins sei, gibt er freimütig zu, von der Historie geprägt worden, was ihn letztlich auch dazu bewegt habe, bei der Parlamentsabstimmung über die künftige Hauptstadt für Bonn zu stimmen.

Eine große Sorge sei es gewesen, die ihn getrieben habe – die Sorge, die Hauptstadt Berlin könne bei Partnern auf der ganzen Welt Assoziationen wecken zum furchterregenden Großdeutschland von einst, Erinnerungen an Bismarck und Adolf Hitler. Glücklicherweise habe sich nichts davon bewahrheitet. Dass gerade wegen der im Ausland oft als wenig zimperlich empfundenen deutschen Europapolitik der letzten zehn Jahre genau das aber, etwa in Griechenland oder Italien, beschworen wurde, blieb auf dem Podium dann freilich ungesagt.

Weltstadt? Das will keiner hören

Lammert wollte Berlin gerecht werden und ließ sich nicht durch die provokative Frage Hassemers, ob Berlin denn unter seinen Möglichkeiten bliebe, von dieser Linie abbringen. Die jüngere Geschichte dieser Stadt sei doch völlig anders verlaufen als die etwa Londons, die von Paris oder Rom. Berlin sei im Rückstand gewesen, vom Start an. Die späte Hauptstadt einer verspäteten Nation, muss man wohl anfügen.

Der Amsterdamer Paul Spies, vor sieben Jahren als Leiter des Stadtmuseums berufen, sagt, von seiner Heimatstadt aus betrachtet sei Berlin eine Weltstadt. Aber das wolle hier niemand hören. Als er für eine bevorstehende Ausstellung über Berlin das Motto präsentierte, wurde sein Vorschlag glatt beiseitegeschoben. Der lautete: „Welt.Stadt.Berlin.“. Das wollte niemand hören. Jetzt wird die Ausstellung im Stadtmuseum am 26. August eröffnet. Und sie heißt: „Chaos und Aufbruch“. Das gefiel besser.

Als Spies seine Nominierung mitgeteilt wurde, bekam er eine Finanzierungszusage für den Umbau von Stadtmuseum und Marinehaus. 65 Millionen seien ihm versprochen, Realisierung ab 2023. Alles zu langsam? Aber nein, sagt der 60-Jährige souverän, „slow is the new fast“. Langsam ist das neue Schnell? Paul Spies meint das ernst. Vielleicht stecke in der langsamen Berliner Behördenstruktur doch eine große Chance, denn Berlin habe Zeit, sich entwickeln zu können zu der wirklichen Weltmetropole. Schließlich sei New York kaputt, London ausverkauft und Paris einfach zu teuer.

Der Wert des Wenigen

Da hat er auch gleich ein schönes Beispiel aus seiner Heimatstadt für den Vorteil der Langsamkeit: In der Blüte des 17. Jahrhunderts sei Amsterdams architektonische Schönheit gewachsen; im 18. Jahrhundert seien Politik und Wirtschaft zu gelähmt gewesen, der Stadt zu schaden, im 19. Jahrhundert aber sei das Bewusstsein für die Schönheit der Stadt gereift, der Wille da gewesen, das auch zu erhalten. Die Lehre für Berlin? Das Wenige, das Wert hat, erhalten. Ach, möchte man dazwischenrufen: Hätten das doch die West-Berliner Stadtplaner auch gewusst, bevor sie in den 60er Jahren begannen, die Stadt autogerecht ihres baulichen Erbes zu berauben.

Norbert Lammert ist die Formel „schnell oder langsam“ zu einfach, wenn auch nicht unzutreffend. Richtig oder falsch, das sei wichtiger, hat aber dann auch gleich Beispiele bereit, die eigentlich Paul Spies bestätigen: In Dresden, Weimar und Meißen habe die Kraft des Sozialismus nicht einmal für den Abriss ausgereicht. Welches Glück für das architektonische Erbe. Die Gründung Groß-Berlins vor 100 Jahren sei ein gutes Beispiel für das „Richtig“, befand er. Denn wäre das 1920 nicht gelungen, sähe Berlin heute aus wie das Ruhrgebiet, wo man Anfang und Ende der einzelnen Städte kaum mehr erkennen könne.

Alte Mitte, neue Mitte

Das ist der Punkt, an dem der Niederländer Paul Spies und der Bochumer Norbert Lammert ganz nahe beieinander argumentieren. Lammert erinnert sich, dass für ihn, den Westdeutschen, 40 Jahre lang die Umgebung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche die Mitte Berlins gewesen sei. Heute aber sei ganz selbstverständlich die alte Mitte auch wieder die neue Mitte. Diese liege eben nicht in West-Berlin, sondern da, wo die kulturelle Mitte der Stadt immer gewesen sei. Eben die Museumsinsel und das historisch-zivilisatorische Erbe zwischen dem Brandenburger Tor und dem Ort, an dem das Schloss stand. Da, wo jetzt das Humboldt-Forum in der Hülle des Schlosses entsteht, Weltkulturerbe und nicht politischer Anspruch.

Paul Spies ist mit der Gestaltung der Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum beschäftigt. Und er ist begeistert, dass ein Land den allerbesten Platz in seiner Hauptstadt nicht für sich – nicht für ein Verfassungsorgan, fügt Lammert hinzu – beansprucht, sondern für das kulturelle Erbe der Welt reserviert.

Langsam ist das neue Schnell

Wohin geht’s, Berlin? Vielleicht dahin: Als Wilhelm von Boddien zwischen dem Sommer 1993 und dem Herbst 1994 mit der auf Leinwand gedruckten Schlossfassade in Originalgröße den Boden für den Wiederaufbau des Schlosses bereitete, war völlig unklar, zu welchem Zwecke. Diesen Sinn stiftete erst Klaus-Dieter Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im Jahr 2000 mit der Idee, hier den außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem einen neuen Platz zu geben. Und wenn schon 1992 jemand diese Idee gehabt hätte? Dann wäre nie was draus geworden, sagt Norbert Lammert. Manchmal ist eben doch langsam das neue Schnell. und 2000 war richtig, was acht Jahre zuvor falsch gewesen wäre.

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