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Rote Taste gegen rote Tücher? Die gibt es auch in öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nicht.

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Debatte über öffentlich-rechtliche Sender: Worum es in der Kritik an ARD, ZDF und Co wirklich geht

Eine Trollarmee zieht gegen die öffentlich-rechtlichen Sender zu Felde. Sie schwadroniert von „Gleichschaltung“ – ein absurder Vorwurf. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Öffentlich-rechtliche Sender sind für Leute vom rechten Randgebiet und deren sich mehrende Sympathisanten aus der „Mitte der Gesellschaft“ ein rotes Tuch. Sie haben das Akronym ÖR als Kürzel für ihre Feinde übernommen, und sie rennen gegen ÖR an, so erbost wie zugleich magnetisch davon angezogen. Hört her, der ÖR! Da wird zensiert, manipuliert, beschönigt, bagatellisiert! So wütet und klagt es seit ein paar Jahren. Den längst geläufigen Trollen gesellen sich inzwischen auch Trollbürger hinzu, die äußerlich achtbar wirken, sich jedoch an die gesellschaftliche Borderline begeben.

Ende 2018 hatte der Schriftsteller Uwe Tellkamp in Sachsen ganz generell von einer „Kulturdiktatur“ der Medien geraunt, von „Maßregelung und Zurechtweisung“ derer, die nicht dem „Meinungskorridor“ eines vermuteten klandestinen Bündnisses gegen rechts angehörten. In leichter Abwandlung ortet nun Ulf Poschardt, der Chefredakteur der „Welt“, einen „hermetischen Werte- und Wahrnehmungskorridor“ der öffentlich-rechtlichen Medien, in denen sich „beamtenähnliche Journalistenexistenzen“, etwa bei den „Tagesthemen“, zu einem „konformistischen Haltungskollektiv“ verschworen hätten.

Der Vorwurf: statt Nachrichten nur Fake News mit Zuckerguss

Am beliebtesten sind Themen wie die vermeintlich geschönten Statistiken zu kriminellen Clans oder Straftaten, die Asylsuchende gegen deutsche Frauen begehen. Zu alldem kämen in den Nachrichten eher Fake News mit Zuckerguss. Doch das ÖR-Bashing ist nicht wählerisch. Aktuell nutzt es gern den Fall des freien Journalisten Richard Gutjahr.

Dieser hatte, allem Anschein nach, vergebens um Unterstützung durch die Spitze des Bayerischen Rundfunks (BR) gebeten, als er im Internet von Neonazis und Islamisten bedroht und beschimpft wurde. Gutjahr verdient offenbar durchaus Solidarität. Klar hatte er in seinem Offenen Brief allerdings auch gesagt: „Der BR ist eine einzigartige Institution! Wer sich in der internationalen Medien-Welt umschaut, weiß zu schätzen, was wir am öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland haben.“

Das ignorieren die trollenden Trittbrettfahrer, und um Solidarität mit Gutjahr geht es ihrem Chorgeschrei gegen die „Zwangsgebühren“ und deren Nutznießer ohnehin nicht. Sogar Gutjahrs Website wird für Weg-mit-Parolen genutzt, wie diese: „Die ÖR insgesamt gehören abgeschafft, ohne Wenn und Aber, sie sind im Laufe der Jahre zu unverschämten Abzockanstalten mutiert. Einen seriösen und neutralen Informationsauftrag erledigen sie schon lange nicht mehr.“

Erstaunlich, so heterogenen Programmen Gleichschaltung zu unterstellen

Bereits auf den ersten Bericht zu Gutjahr in der „Welt“ reagierte eine Troll-Gemeinde – auf die Poschardt vermutlich hereingefallen ist, als sein opportunistischer Kommentar deren Echo wiedergab – mit Häme bis Hass, wider Gutjahr wie den Sender. Da wurde zum Beispiel auf „die finanzielle Amputation des ÖR in seiner jetzigen Form“ gehofft und über Gutjahr gesagt: „Ich bin ehrlich, mein Mitleid hält sich in Grenzen!“

Angesichts der politisch wie kulturell heterogenen Programme und Formate öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehsender, von Nachrichten und Dokumentationen über Debatten, Krimis, Spielfilmen und Hörspielen bis zu Popkonzerten und Opern, ist es erstaunlich, ARD und ZDF geheime Gleichschaltung zu unterstellen.

In der Regel bezieht sich die rechte Missbilligung vor allem auf die Präsentation von Fakten beziehungsweise deren vermeintliche Entstellung. Hochrangigster Kritiker war unlängst der frühere Verfassungschef Hans Georg-Maaßen in seiner schon berühmten Diskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit dem wacker argumentierenden Markus Lanz. Maaßen empörte sich über verzerrende Darstellungen von Flüchtlingen – „das sind Migranten, keine Flüchtlinge!“ – , wo statt der jungen Männer die großäugigen Mädchen gezeigt würden, und ereiferte sich über Rettungsschiffe als „Shuttle-Service“. Das Problem sei, „dass die Leute den Medien mehr und mehr nicht mehr glauben“.

Die Regierung kontrolliert die Sender nicht

Solche Stimmen erklären tatsächlich für „die Leute“, respektive „das Volk“, gegen „die Medien“ zu sprechen. „Das Niveau unserer Staatssender ist schon lange unterirdisch“, schreibt ein weiterer auf Gutjahrs Website, es würden „regierungsfreundliche Funk-Funktionäre finanziert“, es gebe „Filz hoch 3“, die Sender seien „wie der ,Schwarze Kanal‘ der DDR“.

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Tatsächlich berichten öffentlich-rechtliche Medien nicht nur kritisch über Regierung, Kabinett, Politik- und Wirtschaftsskandale und historische Tatsachen, etwa zur NS-Zeit. Sie werden keineswegs von der Regierung kontrolliert und dürfen selber jederzeit offen von jedem kritisiert werden. Und müssen das auch, wenn es um kritikwürdiges Verhalten geht.

Im Rundfunkstaatsvertrag heißt es zum grundgesetzkonformen „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“, dessen Angebote sollten „als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ wirken und dadurch „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ erfüllen.

Die Trollarmee offenbart ihre demokratiegefährdenden Wünsche

Sie sollen einen „Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen“ geben, die „europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern“ durch „Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung“ fördern.

Wo eine im Kern völkisch gesonnene Trollarmee gegen die Sender zu Felde zieht und vom „Schwarzen Kanal“ oder von „Gleichschaltung“ und „Umvolkung“ schwadroniert, offenbart sie indirekt dahinterliegende Wünsche. Unerträglich scheint den ÖR-Kritikern eine Haltung, der es, wie im Auftrag begründet, um Artikel 1 des Grundgesetzes geht, um die Würde des Menschen und zu deren Schutz um die Erhaltung der Demokratie.

Notwendig sind öffentliche Debatten und unterschiedliche Perspektiven

Medial gebraucht wird dafür freilich das differenzierte Trennen von Fakten und Meinung. Notwendig sind öffentliche Dialoge und Debatten auch zu kontroversen Inhalten, unverzichtbar ist das Betrachten von Themen aus unterschiedlichen Perspektiven – und für all das steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

In Wahrheit träumen viele Protest-Trolle und deren nicht mehr klammheimliche, trollbürgerliche Begleiter selber von Gleichschaltung, von „Volk“, Volksempfängern und Volksliedsängern, die alle anderen Stimmen übertönen – eine für die Demokratie überaus gefährliche Fantasie.

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