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Kultur: Debatten statt Bücher

Ein

von Gerrit Bartels

Schaut man sich am Ende dieses Jahres in seinem Büro um, meldet sich sofort das schlechte Gewissen: So viele Bücher, die in so vielen Regalen und Kartons stehen und liegen und nicht gelesen und besprochen wurden, nicht im Frühjahr, nicht im Herbst, obwohl sie es unbedingt verdient hätten! Und so viele Bücher aus dem Frühjahrsprogramm 2007, die – das weiß man schon jetzt (Zeitmangel! Platzmangel!) – vergeblich darauf warten, gelesen und besprochen zu werden. Aber selbst die Bücher, die in diesem Jahr ihre 15 Minuten Zeitungsruhm bekamen, hatten es sehr schwer.

Denn 2006 hatten Literaturbetrieb und Kritik andere Probleme, als sich über Bücher zu ereifern, die einfach nur gut oder schlecht waren. Es hieß, Debatten und nichts als Debatten zu führen. Das begann mitVolker Weidermanns kleiner, schneller Literaturgeschichte „Lichtjahre“. Nachdem sich alle Literaturkritiker gegenseitig versichert hatten, genauso leidenschaftlich wie nüchtern analytisch Literatur zu behandeln, ging diese Debatte nahtlos über in die Neuauflage der Jugoslawien-Debatte um Peter Handke, als dieser den Heinrich-Heine- Preis erhalten sollte. Diese Debatte wiederum ließ aus Gründen der zeitlichen Überschneidung eine andere gar nicht richtig zum Zug kommen: die Plagiatsdebatte um Feridun Zaimoglu. Ihm wurde vorgeworfen, sich für seinen Roman „Leyla“ etwas zu schamlos bei Emine Sevgi Özdamar bedient zu haben. Kaum war das alles überstanden, folgenlos für die Literaturkritik, rufschädigend für Handke und den Heine-Preis, ohne größeren Ansehensverlust für Zaimoglu und Özdamar, schlug es dreizehn für Günter Grass: Sein Waffen-SS-Bekenntnis hielt das Land wochenlang auf Trab. Dass man keine falsche Müdigkeit vortäuschen wollte, bewies zuletzt die neueste Folge der Seifenoper um den Suhrkamp Verlag, in den sich zwei Hamburger Geschäftsleute eingekauft haben.

Nun fragte man sich manchmal, ob die Heftigkeit der Debatten in einem richtigen Verhältnis zu ihrem Anlass stand? Ob es überhaupt um Bücher und Literatur ging und nicht um pure Meinungshoheit, um die Aufregung als solche, um Unterhaltung? Sicher ist, gerade weil auch die nächsten Debatten nicht lange auf sich warten lassen dürften: Wie ungelesene, unrezensierte Bücher werden auch Debatten schlagartig vergessen. Nur das schlechte Gewissen, das meldet sich in diesem Fall nicht.

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