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Debütroman: Boten der Hölle

Ivana Bodrozics beschreibt in ihrem autobiografischen Debütroman „Hotel Nirgendwo“ eine kroatische Flüchtlingskindheit.

Vukovar war eine der umkämpftesten Städte des serbisch-kroatischen Krieges. Drei Monate belagerten serbische Freischärler und die Jugoslawische Volksarmee 1991 die ostkroatische Donaustadt, die dabei fast völlig zerstört wurde. Über 1700 Menschen starben, rund 22 000 wurden vertrieben.

Zu den Flüchtlingen zählte auch die 1982 geborene Ivana Bodrozic, die mit ihrer Mutter und ihrem Bruder mehrere Jahre in einem Flüchtlingslager lebte. Über diese Zeit hat Bodrozic 2010 ihren autobiografischen Debütroman geschrieben, der nun auch auf Deutsch erschienen ist: „Hotel Nirgendwo“. Dieses „Hotel“ ist eine ehemalige Kaderschule in Titos Geburtsort Kumrovec, wo einst die Polit-Elite ausgebildet wurde. Die neunjährige Ivana, ihr 16-jähriger Bruder und die Mutter bewohnen dort ein winziges Zimmer im dritten Stock. Die Wohnsituation belastet die Familie. Schlimmer aber ist, dass niemand etwas über das Schicksal des Vaters weiß. Er war in Vukovar geblieben und in Gefangenschaft geraten. Jahrelang wartet die Familie auf den „verschollenen Vaterlandsverteidiger“.

Es ist glaubwürdig, wie sich die Icherzählerin zurück in die Perspektive der Heranwachsenden versetzt. So gelingt es ihr, im mitunter abrupten Wechsel zwischen Präsens und Imperfekt, ein eindrucksvolles Bild vom Kriegsalltag der Vertriebenen zu skizzieren. Sie schildert, wie Ivana sich mit den anderen Flüchtlingskindern arrangiert und die örtliche Dorfjugend verachtet. Typische Teenager-Themen wie Identitätsfindung, Dazugehören-Wollen und Ausgrenzung werden politisch potenziert. Über Ivanas Schwarm Igor heißt es: „Sein einziger Fehler war, dass er in Zagorac geboren war, doch sein Vater kam aus Slawonien, und als wir das herausgefunden hatten, stand unserer Liebe nichts mehr im Wege.“ Der Jugoslawien-Hass wirkt irritierend, ebenso die kroatisch-nationalistischen Töne. Authentisch sind sie allemal.

Das stille Leiden der Mutter, die nur dunkle Kleidung trägt und nie lacht, bildet den düsteren Hintergrund des Buches. Man ahnt stets, wie sehr sie sich quält, ohne dass Ivana Bodrozic das ausschweifend beschreibt. Detailliert imaginiert sie hingegen die Ermordung des Vaters. Dreieinhalb atemberaubende Seiten, die das Folter- und Exekutionsszenario fast exemplarisch verdichten: „Sie sind die Boten der Hölle, sie ähneln den Menschen nur bis zu einem gewissen Grad, sie haben zwar Hände und Beine, aber sie benutzen diese nur, um zu töten, um Menschenkehlen durchzuschneiden, um zu vergewaltigen. Man weiß nicht, woher sie kommen, manche von ihnen ähneln einstigen Nachbarn, Leuten, die uns einst zu ihren Festen einluden.“ Heute feiert in Vukovar niemand mehr mit den Nachbarn aus der anderen Volksgruppe. Serbische und kroatische Kinder besuchen getrennte Klassen, man geht sich aus dem Weg. Ivana Bodrozic wohnt inzwischen in Zagreb.

Ivana Bodrozic: Hotel Nirgendwo. Roman. Aus dem Kroatischen von Marica Bodrozic. Paul Zsolany Verlag, Wien 2012.

221 Seiten, 18,90 €.

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