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Die georgische Schriftstellerin und Therapeutin Tamar Tandaschwili, 45.

© Ira Kurmaeva/Nino Isakadze, CloudStudio/Verlag

Debütroman von Tamar Tandaschwili: Himmlische Hallelujas

Tamar Tandaschwilis wütender Roman „Löwenzahnwirbelsturm in Orange“ erzählt von den traumatisierten Klienten einer georgischen Therapeutin.

Das Leben ist eine Form von Humor, strenger als Ironie, aber weicher als Sarkasmus. Wäre die argentinische Mauleselin Camilla noch am Leben, würde sie mir zustimmen.“ So endet der Roman der 1973 in Tblissi geborenen Literaturwissenschaftlerin und Therapeutin Tamar Tandaschwili mit dem irrlichternden Titel „Löwenzahnwirbelsturm in Orange“. Was es mit Camilla auf sich hat und dem grünen Nilpferd-Baby Baggy, das sich nachts auf einem Kindergrab in grüner Farbe wälzt, wie eine Gazelle auf die Autobahn springt und einen schwarzen Toyota Prado, hinter dessen Steuer ein prominenter Politiker sitzt, aus der Spur reißt, ist eine der Geschichten, die Tandaschwili in einer Tonlage zwischen Ironie und Sarkasmus erzählt.

Doch zumeist ist das, was Eka berichtet – sie ist, wie die Autorin, Therapeutin von Beruf – , nicht lustig, sondern verstörend und voll wütender Anklage. Ekas Klienten sind allesamt traumatisiert, und was ihnen angetan wurde, ist in Georgien kein Thema. Stundenlang blickt die Mittvierzigerin in klaffende Wunden und versehrte Seelen. „Ich habe ein Misshandlungsopfer, einen jungen Mann“, erklärt sie ihrer Kollegin, mit der sie sich regelmäßig in einem Lokal trifft.

Es handelt sich bei dem jungen Mann um Sandro, unter den „Natsebi“, der Vereinten Nationalen Bewegung, kaufmännischer Leiter einer Plastikfabrik, der im Gldani-Gefängnis landet, dort mit einem Kautschukknüppel vergewaltigt wird, während man seinen Sohn verschleppt. Schon als Kind ist er Demütigungen ausgesetzt, Mitschüler nennen ihn einen Schwulen, klauen ihm Fahrrad und Handy.

Die Protagonistin ist offen lesbisch

Giorgi Mepisaschwili wiederum, Spitzname Mserosa, der der Fraktion „Georgischer Traum“ vorsitzt, eine kurvenreiche kriminelle Vergangenheit hinter sich hat und am Ende den besagten Toyota steuert, ist einer jener für die Exzesse verantwortlichen „Prinzipientreuen“. In seiner Jugend wird er von der schönen, klugen Elena abgewiesen, weil diese sich mehr für Frauen interessiert. Darum veranstaltet er mit seinen Schulkumpanen eine Party, auf der er Elena auf dem OP-Tisch seiner Tierarzt-Mutter seinen Freunden offeriert, „Höhepunkt des Rituals der kollektiven Verehrung der georgischen Frau“.

Diese Massenvergewaltigung ist eine der härtesten Szenen dieses locker gefugten Romans, der eher splitterhaft Eindrücke der gesellschaftlichen Realität Georgiens wiedergibt. Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch sind die Regel und werden verschwiegen: „Wenn die Regierung aufhört, Leute im Gefängnis zu foltern, wirst du noch vor Hunger umkommen“, kommentiert Tea, mit der Eka offen lesbisch zusammenlebt. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit in diesem Staat am Fuße des Kaukasus.

Tandaschwili hat in den USA gelebt und in Ungarn promoviert

Manche Szenen wirken aber etwas abgenutzt wie der umständliche Sargtransport in einem der „Sowjetwohnblocks, die für die Arbeiterklasse und Lehrerschaft errichtet“ worden sind; anderes liest sich rührend, etwa wenn Eka eine angefahrene Hündin von den Straßen Tblissis aufliest, das Tier aufpäppelt und mit amputiertem Bein nach Deutschland adoptieren lässt, weil es „das stabilste Land in Europa ist. Dort gibt es weder Wirtschaftskrisen noch Naturkatastrophen, die dich bedrohen, zumindest solange Putin keine Atombombe fallen lässt.“

Besonders kompromisslos geht Tandaschwili, die in den USA gelebt und in Ungarn promoviert hat, mit der orthodoxen Kirche ihres Landes ins Gericht. Ihr wirft sie vor, mit korrupten Politikern unter einer Decke zu stecken und Kriminellen wie Mserosa Unterschlupf zu bieten. „Wer es nicht schaffte, der Jagd auf die organisierte Kriminalität nach Russland zu entkommen, flüchtete in den Corpus Christi“, wo das „himmlische Halleluja mit den übelsten Flüchen“ harmonierte.

Der Löwenzahnwirbelsturm hat Tandaschwilis Roman auch formal etwas „verwirbelt“. Er wirkt schnell zusammengeschrieben, durchaus stark in seiner mutigen Haltung, aber zerbrechlich in Arrangement und sprachlicher Ausführung. Amüsante Vergleiche stehen neben ironisch Verdrechseltem oder sprachlich Schiefem, was auch an der Übersetzung liegen mag. Etwa wenn es heißt, dass „Widerstand nichts Gutes bedeutet“, aber meint, dass er „zwecklos ist“. Wie fremd uns dieses Land ist, von dem die Autorin eine kleine Innenansicht gewährt, zeigt das kleine Glossar im Anhang, das durchaus ausführlicher hätte sein dürfen.

Tamar Tandaschwili: Löwenzahnwirbelsturm in Orange. Roman. Übersetzt von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Residenz-Verlag, Salzburg 2018. 135 S., 18 €.

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