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Kultur: Dem Philosoph ist nichts zu doof

Eine Rarität aus der Weltverbesserungsanstalt: „Immanuel Kant“ von Thomas Bernhard am Berliner Ensemble

„Die Presse ist durchgefallen, nicht wir. Der übliche Unsinn“. Das schrieb Claus Peymann seinem Freund Thomas Bernhard 1978 in einem Telegramm, nachdem die Uraufführung der irrlichternden Philosophenfarce „Immanuel Kant“ am Stuttgarter Staatsschauspiel von der Kritik nicht eben gnädig aufgenommen worden war. An übermäßigen Selbstzweifeln litt Peymann also damals schon nicht, das Stück allerdings ist, im Gegensatz zu anderen Werken des großen österreichischen Weltverächters, in der Folge recht selten gespielt worden, erst Anfang 2009 entdeckte es Matthias Hartmann, damals noch Intendant in Zürich, mit prominenter Besetzung wieder.

Thomas Bernhard schickt in dieser mal galligen, mal kalauerseligen Narretei einen Philosophen namens Kant auf die Schiffspassage nach Amerika, wo er sich den grünen Star operieren lassen will. Dem Vernunftmenschen schwindet das Augenlicht, will heißen, die Aufklärung fällt in den Schatten zurück. Begleitet wird der hochfahrende, gerne mal tyrannisch polternde Freigeist dabei von einem Papagei namens Friedrich, den er mit seinen gesammelten Erkenntnissen füttert und der unter der Käfigdecke „Imperativ! Imperativ! Imperativ“ krächzt, fernerhin von seiner treusorgenden Frau und dem devoten Bruder Ernst Ludwig. Dass Kant tatsächlich Königsberg nie verlassen hat, nicht im 20. Jahrhundert lebte, weder verheiratet war noch einen Bruder hatte, ist der überdeutliche Ausweis, dass es hier nicht um die Biografie eines Philosophen, sondern eher um die Selbstbespiegelung eines Autors geht, der sich mit der Figur eines blind und irre werdenden Denkers das ironische Zerrbild schrieb. Als tatsächliche Gemeinsamkeit bleibt festzuhalten, dass Bernhard wie Kant an einem 12. Februar verstarb.

Regisseur Philip Tiedemann jedenfalls lässt in seiner „Immanuel Kant“-Inszenierung an Peymanns Berliner Ensemble den Hauptdarsteller Norbert Stöß, mit dunkler Brille, rotem Schal und Resthaar, als Wiedergänger des grantelnden AlpenBecketts auftreten, als einen, der am Geschwätz um ihn herum zu würgen hat - geschlagen mit einer Schiffsbesatzung voller Popanze und Pappkameraden, vom dröhnenden Admiral (Detlef Lutz), über den opportunistischen Kardinal (Gerd Kunath) bis hin zum schaumschlagenden Kunstsammler (Roman Kaminski). Und den Vogel im sinnleeren Gezwitscher an Deck schießt eine versoffene Millionärin ab, die hier mit Gruß an Nestroy nur „Millionärrin“ genannt wird, sich der Bergung der Titanic verschrieben hat und mit grässlichen Krankengeschichten hausieren geht; eine Abräumer-Rolle, für die Carmen-Maja Antoni entsprechend bejubelt wurde.

Aber gut, auch der Kant des Stücks („Ich bringe Amerika die Vernunft, Amerika gibt mir mein Augenlicht!“) ist – so wie er die Gattin (Ursula Höpfner-Tabori) und den Bruder (Martin Schneider) unter der Knute hält – nicht eben Sympathieträger, sondern eher Musterbeispiel der menschlich versagenden Geistesgröße. Für ihn hat das Stück eine böse Pointe parat. In Amerika erwarten ihn nicht etwa die Honoratioren der Columbia-Universität, sondern die Irrenwärter mit der Zwangsjacke.

Ein Motiv, das Tiedemann beim Schopf packt. Statt eines naturalistischen Überseekreuzers mit Vorder-, Hinter- und Mitteldeck hat er sich von seinem Bühnenbildner Paul Lerchbaumer ein kippbares Podest auf einen mit weißem Flokati ausgeschlagenen Traumgrund setzen lassen. Das gesamte Stück liest er als Wahnspiel, bietet einen Bühnenhimmel voller Lampions, eine aus der Decke ragende Schiffs-Dampfpfeife, somnambule Tiefseetaucher, schwungvolle Akrobaten und Phantasten auf – ein Zirkus der überschießenden Schaupracht. Das Personal dieses Narrenschiffs ist dabei, vom Philosophen bis zum Steward, weiß gewandet, wie in einer Anstalt, in der sich zwischen Ärzten und Insassen nicht mehr unterscheiden lässt. Kant ist nicht unterwegs in den Wahn, sondern längst des Wahnsinns genialische Beute, einer, der sich für einen berühmten Philosophen hält, so wie andere Geistesverwirrte an ihrem Jesus- oder Napoleon-Komplex laborieren.

Freilich bleibt die Frage: Was ist damit gewonnen? Ob Thomas Bernhards Stück bei aller irrwitzigen Oberfläche nicht doch einen tieftragischen Grund habe, ob es nicht eigentlich von der markerschütternden Angst vor dem Abstieg in Verfall und Vergessen erzähle, darüber wurde schon anlässlich der Uraufführung debattiert. Tiedemann aber will den Scherz ohne Schrecken.

Wieder am 22. Dezember und am

7. Januar.

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