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Kultur: Demokratie à la Big Brother

fühlt sich im Kino plötzlich alt Nicht nur die Wirtschaft muss wachsen, dass es qualmt. Auch die ganze Kreativität, die tagtäglich aus den Hirnen der Kulturschaffenden sprudelt, muss irgendwo untergebracht werden.

fühlt sich im Kino plötzlich alt Nicht nur die Wirtschaft muss wachsen, dass es qualmt. Auch die ganze Kreativität, die tagtäglich aus den Hirnen der Kulturschaffenden sprudelt, muss irgendwo untergebracht werden. Wohin also mit dem ganzen verderblichen Stoff? Werbung oder Fernsehserien sind schnell versendet. Eine Installation kann man einfach im Museum abstellen. Ein Film aber benötigt Investition von Lebenszeit und Sitzfleisch, und der Mehrwert ist trotzdem ungewiss.

Für ein kurzes Menschenleben ist das viel zu riskant. Deshalb hat der Weltgeist den Kurzfilm erfunden, wahrscheinlich nach einem Doppelprogramm von Griffith’ „Intolerance“ und „Vom Winde verweht“. Im Kurzfilm streut sich das Langeweilerisiko statistisch: Auch die jungen kurzen Low-Budget-Produktionen, die von heute Abend bis Sonntag im Rahmen des Contra-Vision-Festivals im Kino der Brotfabrik zu entdecken sind, sind naturgemäß von unterschiedlichster Art und Qualität: Allein heute stehen unter anderem ein „Experimentalfilm mit Spielfilmspannung“ („Fünf Punkte“ von Wanda Traeger), ein Trash-Krimi („In den Fängen der Organmafia“ von Guido Böhm), ein Musikvideo („Marihuana“ von Katrin Scharneweski und Constanze Paust) und eine „Ethnogroteske“ („Dönerkebabuja“ von M. Gürkan Önal und Johanna Straub) auf dem Programm. Dokumentarisches kommt noch dazu: „Boskopismus“ von Witja Frank dokumentiert das Wirken der Nationalen Front Deutscher Äpfel in Sachsen, hoffentlich mit kritischer Perspektive. Sonst jedenfalls gibt es bei den Contra-Visionen Demokratie pur, fast wie bei Big Brother. Die Auswahljury tagt öffentlich, und täglich werden vom Publikum Tagessieger gekürt.

Aus solch volkstümlichem Geist entsprungen sein könnte auch Bernhard Kochs Film Heimler , der mit seinen 94 Minuten aber den formalen Rahmen eines Kurzfilmtreffen sprengen würde. So läuft die liebevoll selbst gebastelte und etwas verschrobene Satire auf eine mindestens so verschrobene und oft geschmähte Volksgruppe und ihr musikalisches Brauchtum ganz normal im Eiszeit . Neben einem sympathetischen Porträt schwäbischer Primärtugenden bietet der Film dabei auch erschütternde Einblicke in die Abgründe des Voksmusikbusinesslebens. Die schwäbischsten Sentenzen sind Hochdeutsch untertitelt. Gesungen wird auch, aber nicht schön und auch nicht ergreifend.

Da fühlen sich die „city lights“ plötzlich sehr alt und sehnen sich nach einem richtigen fröstelnden Gefühlsschauer. Das Schönste und Traurigste ist doch immer ein Wiedersehen mit alten Bekannten, denken sie sich. Und setzen sich ins Zeughaus , um sich zum fünfzigsten Mal John Hustons The Maltese Falcon und Billy Wilders Double Indemnity (beide Freitag und Sonntag) anzusehen. Der steht hier zwar als „Frau ohne Gewissen“ im Programm, läuft aber trotzdem mit Barbara Stanwycks echter Stimme. Und auch Bogart und – wichtiger – Peter Lorre bekommen wir im Original. Und während es vorne auf der Leinwand immer schwärzer wird, geht in unserem Herzen ein tröstendes Licht auf. Wir denken, egal, ob nun Angela oder Merkel Kanzlerin wird. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass Peter Lorre bleibt.

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