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Kultur: Demokratie als Bauherr

Anfangs heftig umstritten, inzwischen heiß geliebt: Hans Scharouns Berliner Philharmonie setzte neue Maßstäbe. Erinnerungen an die Eröffnung vor vierzig Jahren

Ein Ruf wie Donnerhall – so stellt sich dem Nachdenken die feierliche Eröffnung der Philharmonie am 15. Oktober 1963 dar. Welch ein Augenblick: Die Schlüsselübergabe des Architekten Hans Scharoun an den Intendanten Wolfgang Stresemann, Sohn des Reichskanzlers Gustav Stresemann. Ich durfte dabei sein, da meiner Mutter als Musikreferentin des Kultursenats die Aufsicht über das Berliner Philharmonische Orchester oblag.

Es ist tatsächlich das erste Eigenheim der Berliner Philharmoniker, weil die berühmte „alte Philharmonie“ in der Bernburger Straße, 1944 zerbombt, aus einer umgebauten Rollschuhbahn bestand. „Dies ist Ihr Tag, Hans Scharoun, Baumeister der Philharmonie, zusammen mit den Philharmonikern und mit Berlin!“ gratulierte Kultursenator Adolf Arndt in seiner Festansprache nach der zukunftsfreudigen Begrüßung durch den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt. Adolf Arndt (SPD) war zum Senator für Wissenschaft und Kunst gewählt worden, als die CDU und mit ihr der legendäre „Volksbildungs“-Senator Joachim Tiburtius 1963 aus der Berliner Stadtregierung ausgeschieden waren. Musisch unangefochten, aber politisch in Sachen Philharmonie nicht ohne – in der Standortfrage nötigen! – Gegenwind, hat Tiburtius gesät und gehegt, was sein Nachfolger nun als Ernte einbringen konnte. Schon Adolf Arndt freilich blieb nur ein knappes Jahr im Amt – wobei man damals freilich dachte man längerfristig, weil Tiburtius über drei Legislaturperioden das Kulturleben liebend gelenkt hatte.

An jenem festlichen Dienstagvormittag gab es wohl niemanden im neuen Auditorium der Philharmonie, der Arndts philosophische Rede nicht bewundert hätte. Sie gipfelte in dem Beziehungsdreiklang „Mensch, Musik, Raum“ und erläuterte“ „Hier ist Demokratie als Bauherr am Werke gewesen.“ Da also Kunst, Freiheit und Gesellschaft zum Thema wurden, trug Arndt-gemäß die soziologische Sicht einen Sieg davon. Ein Streichquartett der Philharmoniker Michel Schwalbé, Thomas Brandis, Heinz Kirchner und Eberhard Finke erprobte mit den Variationen auf die Melodie „Gott erhalte“ aus Haydns „Kaiserquartett“ erfolgreich die Akustik des großen Saals für 2200 Zuhörer bei kleiner Besetzung. Anders, grässlich zu allererst, verhielt es sich mit dem Orchesterklang, an dessen optimaler Präsenz noch lange getüftelt wurde. Herbert von Karajan, verliebt in die geniale Architektur Scharouns, dirigierte am Eröffnungstag morgens Beethoven (Ouvertüre Leonore III), wobei die Trompeten knallten, und abends Beethoven (die Neunte).

Um die Hochspannung vor dem Ungewohnten zu ermessen, speziell vor den räumlichen Entfernungen des Saals, ist zu bedenken, woher die damalige Philharmoniker-Generation kam. Nach Kriegsende diente der Steglitzer Titania-Palast, ein 1928 eingeweihtes Großkino, ihnen als vorläufige Heimstatt. Ich erinnere mich, dass mir das Provisorium ans Herz gewachsen war. Meine öffentlich-musikalische Kindheit hat sich dort abgespielt, seit in dem Filmpalast auch das RIAS-Symphonie-Orchester (heute: DSO) auftrat, in dem mein Vater als Solobratscher die Ära Ferenc Fricsay miterlebt hat. Noch immer beschleicht mich ein Gefühl der Entweihung, wenn ich den jetzigen Zustand des Bauwerks mit seiner Parzellierung in Kleinkinos und Läden erblicke.

Die Philharmoniker gaben ihr erstes Nachkriegskonzert im Titania-Palast bereits im Mai 1945 und schrieben dort ein Stück ihrer Berliner Musikgeschichte, die sich dann noch ein Jahrzehnt in dem nachhallarmen Konzertsaal der Hochschule für Musik fortsetzen musste. Karajans romantisches Klangideal, seine Klangerfindung, konnte sich erst in der Philharmonie entfalten.

Der allgemeinen Euphorie schwor der Tagesspiegel-Musikkritiker Werner Oehlmann nicht nur wegen der vorläufigen Mängel im Bereich der Akustik mit vehementen Bedenken ab: Die Philharmonie sei ein Bau diktatorischer Demokratie, der Hörer nicht mehr allein mit der Musik.. Die „Musik im Mittelpunkt“-Theorie bereitete ihm schweres Missvergnügen, da die Musik zur tönenden Staffage des Raumes geworden sei. Im Block B sitzend fühlte der Rezensent sich von dem Anblick anmutiger Hörerinnenbeine irritiert. Das wiederum erinnert daran, wie anders damals alles war, weil die Mode der Frauen den Hosenanzug noch nicht oder kaum kannte. Die Leserschaft des Tagesspiegel jedenfalls schrieb körbeweise Briefe zu dem Thema. Auch auf diesem Gebiet boomte die Kultur. Die meisten teilten Oehlmanns Ablehnung, sitzen aber vielleicht noch heute vergnügt auf ihren Abonnementsplätzen.

West-Berlin tanzte unter sich, zwei Jahre nach dem Bau der Mauer und der Wiedereröffnung der Charlottenburger Oper an der Bismarckstraße unter Gustav Rudolf Sellners Intendanz: als Deutsche Oper Berlin. „Jeder kennt jeden“, hieß der Slogan. Als Direktor der Hochschule für Musik und führendes Akademiemitglied besaß Boris Blacher, damals oft gespielt in Oper und Konzert, die genuine Autorität, den Philharmonikern die Eröffnungsfanfare zu komponieren. Wo ist heute Blachers Musik geblieben?

Der Mut war so groß und wohl auch ein bisschen von der Art lauten Singens im dunklen Wald. Jener Teil aus Adolf Arndts Preisrede auf die Philharmonie, ihre Architektur und die neuen philharmonischen Hausherren, der in den „Philharmonischen Blättern“ abgedruckt war, beschwört verräterische zwanzig Mal die Freiheitssehnsucht: Signal der Freiheit (Beethoven), freier Teil der deutschen Haupstadt in der freien Welt, Glaube an die Kraft der Freiheit, Freiheitsglocke.

„Stradivari aus Beton“: Unter diesem Titel sendet das RBB-Fernsehen am Mittwoch um 22.45 Uhr einen Film von Andreas Knaesche und Gisela Lerch über die Philharmonie.

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