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Kultur: Demokrit und Heraklit

Vor 200 Jahren wurde das Berliner Bankhaus J. & A. Mendelssohn gegründet

Dass alle Menschen Brüder werden (wie Schiller 1785 dichtete): Den frommen Wunsch haben die Kinder des Berliner Aufklärers Moses Mendelssohn wohl eher skeptisch beurteilt. Ihre Brüder Joseph und Abraham gründeten zwar am 1. Januar 1804 das Bankhaus J. & A. Mendelssohn. Doch gut verstanden haben sich die zwei Kaufleute selten. Joseph Mendelssohn bleibt Jude, Abraham wird Christ. Joseph investiert vorsichtig; Abraham riskiert und verliert. Joseph profiliert sich als Partner preußischer Finanzpolitik, Abraham als unbesoldeter Stadtrat. Joseph gründet ein populäres Theater; Abraham liebt die E-Musik, erzieht zwei Wunderkinder. Joseph ehrt als Biograph seinen berühmten Vater; Abraham nimmt den Namen Bartholdy an und sucht, den Namen Mendelssohn loszuwerden. Joseph ist heiter, Abraham oft düster umwölkt. Von ihren Geschwistern werden die beiden Demokrit und Heraklit genannt. Nach jenem Philosophenpaar, das in barocken Pendantmotiven lachend/weinend dargestellt wird: Der frohe Demokrit sieht in den ewigen Atomen bleibende Kerne des Kosmos, während der triste Heraklit („Alles fließt“) die Welt als Kampfplatz der Kontraste erkennt.

Dennoch wird aus der Firmengründung ungleicher Brüder eine Erfolgsgeschichte. 17 Jahre lang haben beide Mendelssohns in Berlin, Hamburg, Paris gemeinsam Geschäfte getrieben. Ende 1821 verläßt Abraham die Societät mit dem älteren Bruder, aber sein Sohn Paul steigt ein gutes Jahrzehnt später wieder in das Institut des Onkels ein: Nun wird Mendelssohn & Comp. – bis zur durch die Nationalsozialisten betriebenen Liquidation 1938 – von beiden Familienzweigen getragen, von Nachkommen Joseph Mendelssohns und Abraham Mendelssohn Bartholdys.

Das Unternehmen expandiert zur größten Berliner Privatbank. Man wickelt französische Reparationszahlungen ab. Später finanzieren die Mendelssohns russische Eisenbahnen, ja den Zaren persönlich. Bankiers beider Familienzweige treten als Mäzene und Stifter von Sozialwerken hervor. Sie werden geadelt. Der als „Kaiserjude“ geschmähte Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, Mitglied des Preußischen Herrenhauses, gilt als reichster Berliner. Die Verbindung von Kultur und Kommerz bleibt typisch für den Stil des Bankhauses, für den ganzen Familienverband aus Bankiers, Künstlern, Gelehrten, der Preußens Wirtschafts- und Kulturgeschichte prägt. In der fruchtbaren Spannung zwischen Mendelssohns und Mendelssohn-Bartholdys lassen sich Konflikte um unterschiedliche Wege der Integration erkennen, obwohl seit der vierten Generation kein Familienmitglied mehr der Synagoge angehört. Letzter Familienchef von Mendelssohn & Comp. ist – gemeinsam mit seinem Cousin Paul von Mendelssohn-Bartholdy – der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages Franz von Mendelsohn, ein international anerkannter Wirtschaftsführer der Weimarer Republik. Beide sterben 1935.

In der Jägerstraße am Gendarmenmarkt besaßen die Mendelssohns sechs Wohn- und Geschäftshäuser. Hier gaben sie Gesellschaften für Freunde und Verwandte, pflegten Hausmusik mit befreundeten Virtuosen, knüpften das Netzwerk ihres bürgerlichen Engagements. Deshalb hat die Berliner Mendelssohn-Gesellschaft unter der Schirmherrschaft Kultursenator Thomas Flierls den Arbeitskreis Geschichtsmeile Jägerstraße initiiert, dem neben engagierten Bürgern zehn Berliner Firmen und Institutionen angehören. Nachdem im Herbst eine Informationstafel „Geschichtsmeile Jägerstraße“ vor der Belgischen Botschaft Jägerstraße 52/53 errichtet wurde, soll am 21.Januar nun anläßlich des 200. Gründungstages am Stammhaus der Mendelssohn-Bank Nr. 51 eine Gedenktafel enthüllt werden. Der Entwurf der Berliner Bildhauerin Annelies Rudolph zeigt neben einer Schrift zur Historie des Bankhauses das Emblem der Mendelssohns: den Kranich mit einem Stein in der Kralle unter dem Spruch „Ich wach“.

Alles bleibt, alles fließt: Zu den Sponsoren der Tafel gehören eine Privatbank jüdischen Ursprungs, ein Urururenkel Abraham Mendelssohn Bartholdys, die heutige Besitzerin des Hauses 51, die restaurierende Baufirma, die Nachfolgeinstitution des vormals wichtigsten staatlichen Partners von Mendelssohn & Comp. sowie Berliner Bürgerinnen. Das utopische Motto dieser Erinnerungs-Topographie könnte wohl „Alle Menschen werden Bürger“ heißen (passend zur Strukturkrise der Republik). Die Geschichte des Bankhauses Mendelssohn, das seinerzeit von der Deutschen Bank „freundschaftlich arisiert“ (Julius H. Schoeps) wurde, ist ein Lehrstück über die so genannte deutsch-jüdische Symbiose – und über gesellschaftliche Verantwortung, in mageren wie in fetten Zeiten.

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