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Auf den Spuren von "Herz der Finsternis": Denis Johnsons Afrika-Roman "Die lachenden Ungeheuer"

© picture-alliance/ dpa

Denis Johnsons „Die lachenden Ungeheuer“: Alles Lüge und Gerücht

Ein Buch wie ein Roadmovie. In Denis Johnsons Roman „Die lachenden Ungeheuer“ machen sich Geheimagent und Abenteurer auf den Weg von Sierra Leone nach Ostafrika.

Als der amerikanische Schriftsteller Denis Johnson 1990 von der Zeitschrift „Esquire“ erstmals nach Westafrika geschickt wird, ins bürgerkriegsgeplagte Liberia, und hier dem durchgeknallten Rebellenführer Prince Johnson begegnet, beschließt er seine Reportage mit den Worten: „Die Frage ist: Wo liegt Liberia? Kümmert es irgendwen da draußen?“

Zumindest nach der Ebola-Epidemie vor zwei Jahren weiß das inzwischen die ganze Welt. Trotzdem ist die Sorge um Liberia und seine Nachbarstaaten erneut der üblichen Gleichgültigkeit gewichen. Aufgemerkt wird wieder nur mehr, wenn in Gabun der Afrika-Cup stattfindet oder in Gambia ein Autokrat abdanken muss, nachdem mehrere afrikanische Länder sich zu einer gemeinsamen Intervention in dem Land entschlossen haben.

Denis Johnson aber, der nach 1990 noch mehrmals in Afrika unterwegs war, in Somalia und abermals in Liberia, scheint der Kontinent nie losgelassen zu haben – für seinen neuen Roman „Die lachenden Ungeheuer“ war er unter anderem vier Wochen in Uganda. Der Roman beginnt jedoch zunächst im westlich von Liberia gelegenen Sierra Leone, in dessen Hauptstadt Freetown. Hier landet im Jahr 2013 Roland Nair, ein Amerikaner mit dänischen Wurzeln, der für den Geheimdienst der Nato (NIIA) tätig ist, um einen alten Kumpel aufzuspüren und diesen zu treffen: den aus Uganda stammenden US-Army-Angehörigen und Abenteurer Michael Adriko. Warum genau, bleibt gezielt undurchsichtig, wie so vieles in diesem Roman. Das lässt sich schön an einer Unterhaltung von Nair und Adriko ablesen, die genau den Grund ihrer Begegnung klären soll: „Michael, langsam wird es Zeit für eine Erklärung. Du kontaktierst mich, du holst mich hierher ...“, sagt Nair. Woraufhin Adriko entgegnet: „Du hast mich kontaktiert! Du wolltest so wissen, was so läuft, da habe ich gesagt, komm nach SL, und ich zeig dir einen Plan.“ Und wiederum Nair: „Zeig mir den Plan nicht. Erklär ihn mir.“

Mitunter etwas irrlichternd und comichaft

Roland Nair ist der Ich-Erzähler und zeitweilige Brief- und Mailschreiber des Romans, und er scheint eine noch unzuverlässigere Figur als sein Freund Adriko zu sein. Nair versucht, Karten vom Glasfasernetz der US-Army in Westafrika und die Verstecke von NIIA-Technologie für viel Geld zu verkaufen; er gibt zu, das Chaos zu lieben, die Anarchie, den Irrsinn. Andererseits hält er seinen Dienst über Adrikos Aktivitäten auf dem Laufenden; und irgendwann lässt er sich von Adriko dafür einspannen, dem israelischen Geheimdienst spaltbares Material, Uran 235, unterzujubeln, was allerdings gefakt ist – wohl wissend, dass ihm nun nicht mehr nur die US-Army, sondern auch der Mossad auf der Spur sein dürfte. Michael Adriko wiederum hat eine schöne Frau an seiner Seite, Davidia St. Claire, die Tochter eines Vorgesetzten, die er in seinem früheren Dorf an der Grenze Ugandas zur Demokratischen Republik Kongo mit seiner Sippe bekannt machen und heiraten will.

Also begeben sich die drei bald auf den beschwerlichen Weg von Sierra Leone nach Ostafrika, erst mit dem Flugzeug und dann mit dem Auto auf überbevölkerten, schlecht zu befahrenden Straßen, unterbrochen von Aufenthalten in kleinen Dörfern mit nur wenigen Hütten oder Gefangenenlagern kongolesischer Rebellen oder von der US-Armee. Einmal Sierra Leone–DR Kongo und zurück – und am Ende vielleicht „zurück nach Ghana“, wo Adriko mal tätig war. „Vielleicht nach Senegal. Und es gibt immer noch Kamerun.“ Denis Johnsons Agentenroman trägt Züge eines Roadmovie und wirkt mitunter etwas irrlichternd, comichaft, so wie seine Figuren. Die Atmosphäre in den jeweiligen Ländern und unterwegs fängt Johnson gut ein. Es ist das Unberechenbare, das Kaputte, das Kranke, das ihn an Afrika fasziniert, das, was dann auch seinen Erzähler bei allen doppelten und dreifachen Geheimdienstspielereien aus dem Tritt bringt. Mal unter einem ordentlichen Alkoholdelir leidend, dann wieder unter Exsikkose, weiß er irgendwann nicht mehr genau, ob er die Briefe und Mails an seine Amsterdamer Freundin Tina oder die Geliebte von Michael Adriko schreibt.

Ahnungen an Conrads "Herz der Finsternis"

Natürlich kommen bei der Lektüre Ahnungen an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ oder Graham Greenes „Das Herz der Dinge“ und „Reise ohne Landkarten“ auf. Besonders am Ende, im kongolesisch-ugandischen Grenzgebiet, als sich Adriko und eine durchgeknallte Stammesvorsitzende mit dem Namen La Dolce darin überbieten, die Nachfolge von Conrads Colonel Kurtz anzutreten. Das muss wohl so sein, gut vorstellbar, dass Johnson bei dieser Art von Zitat-Pop seinen Spaß hatte. Seltsamer, unglaubwürdiger mutet es an, wenn in „Die lachenden Ungeheuer“ immer mal wieder die neue Weltordnung nach 9/11 aufgerufen wird. Da sagt einmal jemand, dass nun „die Jagd auf Mythen und Märchen in Afrika“ für die Geheimdienste noch lukrativer geworden sei, hier nun noch schlechtere, falschere Politik gemacht werde. Beruhigend ist, dass Nair das nicht interessiert, er einem seiner Gegenüber lieber entgegnet, in Afrika sei „alles Mythos und Legende, und Lüge und Gerücht.“

Falls Johnson seiner wahnwitzigen Agentengeschichte, seiner Parodie auf die Arbeit der Geheimdienste und ihrem ewigen Produzieren von alternativen Fakten einen ernsthaft politischen Subtext geben wollte, ist ihm das nicht besonders gelungen. Alles andere schon – man verfolgt das Treiben und lauscht den Gesprächen insbesondere seiner beiden Antihelden mit Vergnügen bis zum Schluss. Was sonst aber gerade in Afrika passiert, scheint selbst den Schriftsteller und Afrika-Reisenden Denis Johnson nicht groß zu kümmern.

Denis Johnson: Die lachenden Ungeheuer. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Arbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 268 Seiten. 22,95 €.

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