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Kultur: Denk ich an Genua

Bruno Cathomas hinterfragt Fausto Paravidinos „Peanuts“ am Berliner Gorki-Theater

Irgendwann ist der Ausgang versperrt. Die roten Coca-Cola-Kästen, bis dahin mäßig bequeme Sitzgelegenheiten, stapeln sich vor der Tür, die Verdunkelung fährt herunter, das Licht geht aus. Da nützt es auch nichts, dass das Animations-Trio zu Beginn erklärt hatte: „Sicherheitshinweis: Die Türen sind rechts, die Fenster links.“ Der zweite Teil von „Peanuts“ ist nichts für Klaustrophobiker. Ab jetzt wird es unangenehm: „Ausziehen“, brüllt eine Stimme, und schnell liegen vier Menschen am Boden. Körper klatschen an die Wand, ein Stempel nur trennt, ähnlich wie in Oliver Hirschbiegels Film „Das Experiment“, „Täter“ von „Opfern“, und als dann auch noch Menschenkörper in Plastikfolie gerollt werden, bis über Mund und Nase, wird nicht nur ein Arzt im Publikum unruhig.

Der Schauspieler Bruno Cathomas nimmt in seiner Inszenierung des jüngsten Stücks von Fausto Paravidino im Gorki Studio den Zuschauer als Geisel – nicht erst am Schluss, wenn der grau-gefährliche Senior (Tim Hoffmann) 80 Lampen zum Aufhängen bestellt. Schon zu Beginn wird die Grenze zwischen Bühne und Publikum systematisch überschritten: Man sitzt, auf eben jenen Cola-Kästen, verteilt im Raum, und nach und nach stehen Einzelne auf, mischen sich ins Gespräch, flirten auch mal mit der hübschen Zuschauerin nebenan. Während einer noch schnell Getränke-Nachschub holt, driftet alles in allgemeines Partygespräch ab, Schauspieler und Zuschauer durcheinander. Was allerdings, zumindest am Premierenabend, nicht weiter schwierig ist: Cathomas hat seine Inszenierung mit Schauspielstudenten der Berliner Universität der Künste besetzt, und die Fangemeinde im Publikum ist groß.

Etwas von einer Workshop-Inszenierung hat der Abend – im besten Sinne. Ein Spiel mit Ausdrucks-Möglichkeiten, auf silberbeschlagener Probebühne. Man erkennt Cathomas’ exaltierte, körperbetonte Spielweise, dieses Bis-an-die-Grenzen-Gehen, auch bei der Regie, die stark auf Ensemble-Spiel setzt. Viel Zeit für Charakterisierungen bleibt ohnehin nicht, wenn in 70 Minuten zehn Figuren durch den Raum toben, die auch noch auswechselbare Namen wie Silly, Cindy, Snappy, Buddy, Piggy und Minus tragen. Da müssen klare Erkennungsmerkmale her: einer (Karim Cherif) flirtet hemmungslos mit jeder Frau im Raum, ein anderer (Sebastian Achilles) nebelt sich und alle um ihn herum mit Deodorant ein, ein Dritter (Jan Thümer) geht als fieser Arrogantling auf Verweigerungshaltung, während der letzte (Hauke Heumann) virtuos mit einer Redehemmung kämpft. Auch auf Frauenseite ist von hysterischem Mauerblümchen (Franziska Dick) über albern kichernde Teenies (Katja Götz, Anna Schmidt) bis zur Vandalin (Anna Eger) und der stimmgewaltigen Anführerin (Lisa Scheibner) alles vertreten. Plus ein schaurig-schönes Background-Trio (Jana Gwosdek, Olivia Gräser und Jonathan Loosli).

Das Experimentelle jedoch liegt nicht nur in der Bühnensituation: Fausto Paravidino, Italiens 1976 geborenes Theater-Wunderkind und seit „Genova 01“ an der Schaubühne auch in Berlin bekannt – ein weiteres Stück, „Geflügelschere“ von 1996, wurde am Sonnabend dort szenisch gelesen – ist ein Meister klaustrophobischer Extremsituationen. Er liebt es, gesellschaftliche Normalfälle – da hütet einer eine Wohnung, und nach und nach kommen immer mehr Freunde – sehr spielerisch bis zur Ausweglosigkeit zuzuspitzen. Doch spätestens, wenn das Programmheft aus den Erinnerungen eines Globalisierungsgegners an den G8-Gipfel 2001 in Genua und die folgenden Haftwochen in italienischen Gefängnissen zitiert, wird klar, dass die krassen Folterszenen im Stück keineswegs nur ein fiktives Rollenspiel sind. Etwas von dieser realen Beklemmung vermittelt der Abend auch dem amüsierwilligen Publikum – keine schöne Erfahrung.

Wieder am 6., 7., 19. und 20. März

Christina Tilmann

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