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DENKEN: Europas Nomaden

Für den Philosophen Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun?

Für den Philosophen Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und: Was ist der Mensch? Wir beantworten sie mit dem Hinweis auf eine empfehlenswerte Veranstaltung im Lesungs- und Debattendickicht Berlins.



Was kann ich wissen?

Um die häufig als „Zigeuner“ bezeichneten Roma ranken sich einerseits geheimnisvolle Mythen und verführerische Bilder nomadischen Lebens, andererseits wird ihnen mit Abscheu begegnet. In der aktuellen Debatte um die Armutseinwanderung aus osteuropäischen Ländern – namentlich Rumänien und Bulgarien – aktualisieren sich auch jene Vorurteile, die der Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal jüngst in seinem Werk „Europa erfindet die Zigeuner“ analysierte. In einem Interview erklärte er die Diskriminierungsgeschichte der Roma als Bekämpfung einer durch die Mehrheitsgesellschaft geschaffenen Vorstellung: „Zu den Roma gibt es kulturell keine Bezugspunkte, deshalb muss man ihnen erst einmal eine Gestalt geben, eine Gestalt des Fremden, Nichteuropäischen. Bei den Juden weiß man, was man ausgrenzen will, bei den Rom-Völkern erfindet man es.“ Der Konstruktion der „Zigeuner“ leistete Vorschub, dass man Herkunft, Sprache und Gebräuche der Fremden nicht kannte: Die Chroniken des 15. Jahrhunderts verzeichnen das plötzliche Auftauchen der „Cigäwnär“, die „meniglichen seltzam“ seien. Rätselhaft bleiben diese Gruppen nicht nur, weil man ihre Sprache nicht versteht, sondern vor allem, weil es keine schriftlichen Zeugnisse ihrer Kulturen gibt – da liegt die Idee eines „Naturvolkes“ schnell nahe. Bis heute haben sich die kulturhistorischen Bilderwelten des Unzivilisierten, Betrügerischen und Exotischen gehalten. Höchste Zeit also, sich mit Innenansichten der Roma-Kulturen vertraut zu machen.

Was soll ich tun?

Am Dienstag, um 20 Uhr, die Veranstaltung „Was haben Roma-Autoren zu erzählen?“ im Literaturhaus besuchen, in der Gusztáv Nagy, Eva Danišová und Maroš Balog ihre Lebenswelten vorstellen (Fasanenstr. 23).



Was darf ich hoffen?

Nicht hoffen, sondern mit Kolumnenchef Kant fordern: „Eine Meinung, die einmal im Besitze des Ansehens, und sogar des Vorurteils ist, muss man ohne Ende verfolgen, und aus allen Schlupfwinkeln heraus jagen.“

Was ist der Mensch?

Meniglichen seltzam. Elke Brüns

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