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Kultur: Denkmalpflege in Berlin: Großbürgertum, Jahrgang 1928

Wie verschieden die Geschmäcker und Vorstellungen von zeitgenössischer Architektur in einer Epoche sein können, zeigt sich an den Grunewalder Villen der zwanziger Jahre des nun schon vergangenen Jahrhunderts. Mal romantisch barockisierend, mal moderat modern, stehen sie durchaus harmonisch beieinander.

Wie verschieden die Geschmäcker und Vorstellungen von zeitgenössischer Architektur in einer Epoche sein können, zeigt sich an den Grunewalder Villen der zwanziger Jahre des nun schon vergangenen Jahrhunderts. Mal romantisch barockisierend, mal moderat modern, stehen sie durchaus harmonisch beieinander. Sie alle eint, dass ihre Bauherren über das nötige Kleingeld verfügen, um hier im Grünen wohnen zu können. Um 1900 stieg das ehemalige Waldgebiet zum stillen Zentrum der deutschen Geistes- und Finanzwelt auf. Hier wohnten die prominenten Vertreter von Wirtschaft, Politik und Kultur Tür an Tür. Das änderte sich auch nach 1918 nicht. Der Grunewald blieb, wie er war: idyllisch und teuer. Erst 1933 zerbrach diese Tradition einer großbürgerlichen Welt. Die jüdischen Bewohner mussten fliehen, viele wurden deportiert und ermordet. West-Berlin konnte sich von diesem Aderlass nie erholen.

Und so sah auch der Umgang mit den großen alten Häusern aus: Etliche verfielen nach jahrelangem Leerstand, andere mussten Apartmenthäusern Platz machen. Erst seit der Wiedervereinigung ist Besserung in Sicht. Das liegt nicht zuletzt an den ausländischen Vertretungen, die den Charme des Grunewaldes und die Qualität der großen Villen für sich entdeckt haben.

So residiert die Botschaft von Kuwait heute in der Griegstraße in einer repräsentativen Villa, die die beiden konservativen Architekten Alfred Breslauer (1866-1954) und Paul Salinger (1872-1942, in Theresienstadt ermordet) entworfen haben. Wer das Haus von außen betrachtet, der fühlt sich eher an ein märkisches Gutshaus des 17. Jahrhunderts erinnert, als an eine städtische Villa des 20. Jahrhunderts - doch das Haus entstand 1928. Bauherr war das Textilunternehmerehepaar Siegfried und Martha Heidemann, deren Geschäft sich am nahen Kurfürstendamm befand. 1935 vertrieben die Nationalsozialisten die jüdische Familie und ihre drei Kinder aus ihrem Haus, die Eltern starben im Konzentrationslager. In der Nachkriegszeit diente die Villa als Altenheim, später dem Wissenschaftskolleg.

Vor allem unter den wenig sensiblen Umbauten für das Altenheim hat das Haus stark gelitten. Bei der aktuellen Herrichtung ist es den Architekten Peter Kroos und Sybille Zittlau gelungen, möglichst viel vom einstigen Charakter und der hohen Qualität der Villa zurückzugewinnen und dennoch den Ansprüchen des neuen Nutzers gerecht zu werden. Etwa im ehemaligen Damenzimmer, das heute als Sekretariat des Botschafters dient. Wallende Festons, winzige Käfer und bauschende Kleider im Stil der Antike huschen als Malereien über die bezaubernden Einbauschränke, die in den zwanziger Jahren von einer ehemaligen Hoftischlerei angefertigt wurden. Sorgsam restauriert, stellen sie noch heute den verspielten Charakter und gediegene Materialität einer konservativen Gestaltung zur Schau. Neue Einbauten haben die Architekten deutlich aber harmonisch gegenüber dem historischen Bestand abgesetzt und so dafür gesorgt, dass die Nutzungsschichten im Gebäude ablesbar bleiben.

Dem konservativen Stil von Breslauer und Salinger stand die Architektur des Schweizers Otto Rudolf Salvisberg (1882-1940) gegenüber, der zu den stark beschäftigten Architekten der zwanziger Jahre in Berlin gehörte. 1928 verwirklichte er in der Douglasstraße eine Villa für den Juristen Julius Flechtheim (1876-1940), einen der führenden Vertreter der deutschen Wirtschaft in der Weimarer Republik. Obwohl beide Villen im selben Jahr entstanden, könnte der Unterschied zwischen ihnen nicht größer sein: Dort märkisch-barocker Historismus, hier die bewusste Auseinandersetzung mit den Stilformen der Moderne und des Bauhauses. Nicht umsonst gilt Salvisberg als einer der wichtigsten Vertreter einer moderaten Moderne. Seine Villen, die er für großbürgerliche Auftraggeber verwirklichte, bewältigen spielend den Spagat zwischen traditioneller Repräsentation und moderner Funktionalität.

Die Grundrisse der Gebäude sind so konsequent gestaltet, dass sie im Fall des "Haus Flechtheim" heute ohne größere Eingriffe für die neue Nutzung als Residenz des irischen Botschafters weitergenutzt werden können. Die elegant geschwungene Treppe, die erhaltenen Einbaumöbel oder der schwere Kamin aus hellem Travertin im ehemaligen "Herrenzimmer" zeigen deutlich, wie eng Salvisberg nicht nur der Moderne, sondern auch dem seit Mitte der zwanziger Jahre beliebten Art Deco verpflichtet war.

Die Herrichtung des Gebäudes war für den Architekten Ivan Krusnik und Partner eine Herausforderung. Seit Beginn der neunziger Jahre stand das "Haus Flechtheim" leer, die Substanz des Baudenkmals war stark in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch haben sich auch zahlreiche Ausstattungsdetails erhalten, wie die dunklen Nussbaum Schiebetüren oder die Verkleidungen der Heizkörper. Die Farben der Wände und Türgewände wurden nach restauratorischem Befund wiedergewonnen. Eine neue Facette hat der irische Designer Michael Bell der Residenz des irischen Botschafters hinzugefügt: Mit seinen Möbelentwürfen hat er es verstanden, die Art-Deco-Tradition Salvisbergs aufzugreifen und in eine zeitgenössisch Formensprache zu übersetzen. Für den Grunewald bietet die neue Nutzung der alten Villen durch diplomatische Vertretungen und Residenzen die Chance, etwas von jener Weltoffenheit und Weltgewandtheit - vielleicht auch von jener großbürgerlichen Kultur - für die deutsche Hauptstadt zurückzugewinnen, die schon die Generation der Bauherrn vor über siebzig Jahren auszeichnete.

Jürgen Tietz

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