zum Hauptinhalt
Gefangen. Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) steht unter Terrorverdacht. Foto: Universal

© dapd

Dennis Gansels Polit-Thriller "Die vierte Macht": Moskauer Nächte sind krank

Dennis Gansel hat Sinn für griffige Filmstoffe. Und Erfolg. Sein Thriller „Die vierte Macht“ über Tschetschenien und den russischen Geheimdienst ist besonders ehrgeizig geraten - mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle.

Die Medien als vierte Macht, gar als vierte Gewalt im Staate zu bezeichnen, mag geläufig geworden sein, ist allerdings sogar innerhalb der Medien umstritten. Zum Sauerstoff funktionierender Demokratien gehört es, dass die staatlichen Einrichtungen Legislative, Exekutive und Judikative sich stets kritischer Begutachtung aussetzen – von außen. Wozu passt, dass die meisten Medien privatwirtschaftlichen Interessen dienen; das System der öffentlichrechtlichen Medien, die inhaltlich nach kompliziertem Parteien- und Institutionenproporz gesteuert werden, steht dazu nur bedingt im Widerspruch.

Insofern geht es grundsätzlich fehl, einen Medien-Thriller mit „Die vierte Macht“ zu überschreiben. Spielt er im heutigen Russland, wirkt der Titel zudem naiv. In dem seit 2000 vom einstigen Inlandsgeheimdienstchef Wladimir Putin geprägten Riesenstaat gibt es zwar, neben den Regierungsbehörden, Parlament und Gerichte – aber sie exekutieren vor allem den Willen der von Putin gelenkten Exekutive. Zudem gehört es zu den Gesetzmäßigkeiten autokratischer Systeme, dass gerade die Medien sich in ihnen nicht frei entfalten dürfen. Versuchen sie es dennoch, wird es verhindert. Mit Macht. Oder auch: mit Gewalt.

Dennis Gansels erster gezielt für den Weltmarkt gedrehte Film (Originaltitel: „The Fourth State“) versucht, dieses Terrain für einen Polit-Thriller dienstbar zu machen, der im heutigen Moskau siedelt, mit dem Dauerkonflikt um Tschetschenien im Hintergrund. Dass soeben bei der Präsidentschaftswahl ausgerechnet in dieser kriegsversehrten „autonomen Republik“ 99,8 Prozent für Putin gestimmt haben sollen, lässt sich als bittere Pointe vielleicht noch in den Abspann einfügen. Das Kernereignis des Films allerdings steckt in seiner Rückblende zu Beginn – den Anschlägen auf zwei Moskauer Wohnhochhäuser im September 1999, bei denen über 200 Menschen umkamen. Waren die Täter, so die offizielle Version, tschetschenische Terroristen – oder steckte dahinter der Inlandsgeheimdienst, dessen Chef Putin soeben von Präsident Jelzin zum Ministerpräsidenten gemacht worden war? Und der keine sechs Monate später selber zum Präsidenten aufstieg, vom Volk bejubelt für den neuerlichen Einmarsch in Tschetschenien und seine Politik der harten Hand?

Dieser Thriller steht, mit signifikanten offenen Fragen, längst in den Zeitgeschichtsbüchern. Dennis Gansel fasziniert daran vor allem das Plakative. So lässt „Die vierte Macht“ sich zunächst viel Zeit, eine Art „Zettl“ à la russe zu entwickeln: Der deutsche Klatschreporter Paul Jensen (Moritz Bleibtreu), Sohn eines vor Jahren bei einem Autounfall umgekommenen Investigativjournalisten, kommt – ohne Russischkenntnisse! – nach Moskau, um dort die Auflage eines Boulevardmagazins zu pushen. Und ab geht’s, unter Assistenz eines örtlichen Fotografen (Max Riemelt), nicht nur in die undurchsichtig staatsvernetzte Medienszene, sondern in die bekanntlich vibrierenden Moskauer Clubnächte. Der entscheidende Pluspunkt gegenüber Helmut Dietls deutscher Hauptstadt-Kolportage:

Kein „New Berliner“ macht sich da plump über den so gänzlich in einer anderen Liga spielenden „New Yorker“ lustig, sondern der „Moscow Match“ passt durchaus zu seinem Pariser Vorbild.

Bald aber lernt Jensen die oppositionelle Jungautorin Katja (Kasia Smutniak) kennen und lieben, wird Zeuge eines politisch motivierten Journalistenmords, rückt einen leidenschaftlichen Nachruf ins Blatt – und findet sich als Terrorverdächtiger im Geheimdienstgefängnis wieder. Nur knapp ist er einem Anschlag in der Metro entgangen, bei dem Katja sich offenbar in die Luft gesprengt hat. Der Rest ist Knast- und Fluchtdrama: Im Gefängnis teilt er mit Dutzenden Tschetschenen eine finstere Gemeinschaftszelle, bevor er durch Fürsprache des väterlichen „Moscow Match“-Herausgebers (Rada Serbedzija) zur Ausreise freikommt. Glaubt er zumindest. Einen spannenden Augenblick lang.

Immer wieder blitzt in „Die vierte Macht“ die Chance zu einem für deutsche Verhältnisse doppelt innovativen Film auf: als Genrestück mit einem brisant politischen Stoff, aus dem die Fans von Spannung und von realitätsnahem Kino gleichermaßen Gewinn ziehen. Dann aber gibt der 38-jährige Gansel, der bereits mit „Napola“ (2004) und „Die Welle“ (2008) erfolgreich die Massenwirksamkeit polithistorischer Stoffe erprobt hat, doch bloß der Lust am Vordergrund nach. Klischees häufen sich, die Story schlingert – mitunter verblüffend schwerfällig – von Actionszenerie zu Actionszenerie, und die ordentlich agierenden Schauspieler werden bald zu Statisten inszenatorischer Beweisführungsbedürfnisse, bis sich knirschend der Kreis schließt. Und dass Pauls Vater ausgerechnet bei einem DDR-Gewerkschaftsorgan journalistische Wahrheitswut gelernt haben soll, hat dann nur mehr unfreiwillig komische Züge.

Bei der Berliner „Welturaufführung“ letzte Woche bewiesen die Produzenten des Films insofern schwarzen Humor, als sie Putin dankten, dass er seine Wiederwahl zum Kinostart angesetzt habe. Ob der umgekehrte Impuls sich lange auszahlt? Das tiefere Problem haben sie gleich selber benannt: „Die vierte Macht“ sei der „Film zu den Tagesthemen“. Pech nur, dass nicht nur die Nachrichtensendungen hier im Zweifel aufregender sind. Gruselig auch der Blick etwa auf die Todesliste jener Mitglieder des russischen Parlaments, die einst die Moskauer Anschläge untersuchten und nicht zu regierungskonformen Schlüssen kamen. Der russische Thriller heißt Wirklichkeit.

Ab Donnerstag in 15 Berliner Kinos

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false