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Mickey Guyton war als erste Afroamerikanerin in einer Country-Kategorie für einen Grammy nominiert.

© imago images/ZUMA Wire

Der afroamerikanische Einfluss auf den Country: Dieses Land ist unser Land

Country-Musik hat ein Rassismus-Problem. Trotzdem wird sie seit jeher auch von Schwarzen gespielt. Und langsam verändert sich etwas in diesem Genre.

„Hard times/ come again no more“ verkündet – oder fleht – Miko Marks auf ihrem neuen Album „Our Country“. Sie weiß, wovon sie singt: als afroamerikanische Frau im Country-Genre sind harte Zeiten der Soundtrack ihres Lebens. Aus dieser spezifischen Erfahrung macht sie, an Gospel geschult, einen Song, in dem Platz für alle ist – so wie Country sein könnte.

Doch das Genre hat eigene Gesetze, und eines lautet, dass die Zeiten nie zu schwer sein dürfen, egal wie kaputt die Welt ist. Noch im Februar 2020 war einer der meistgespielten Songs im amerikanischen Country-Radio „I Wish Grandpas Never Died“ von Riley Green. Opas sollen nicht sterben, unsere Jungs sollen heil nach Hause kommen, das Bier soll nie alle sein: Green trägt diese republikanischen Kindergartenwünsche mit so viel entwaffnender Naivität vor, dass er kurz vergessen lässt, dass Entwaffnung sicher nicht auf seinem Wunschzettel steht.

Wenig später schien Opas Tod für viele Menschen dann doch verhandelbar zu sein, wenn er der Preis für „Freiheit“ (also offene Bars und Fitnesscenter) ist. Mitten im Corona-Sommer spielten Country-Musiker vor tausenden Fans in Hallen ohne Maske und Abstand, Riley Green selbst trat so noch Ende November in Jacksonville, Alabama auf. Zwei Wochen später schnellten die Zahlen dort in die Höhe.

Nicht nur Covid-19 entzweite das ohnehin zutiefst gespaltene Country-Genre in den vergangenen Monaten noch weiter. Rassismus, Südstaatenerbe, Sexismus, Ästhetik und Moral: All diese Themen fahren in riesigen Trucks gegeneinander Rennen, während die Industrie sich die Ohren zuhält und den Lärm mit netten Worten über den blauen weiten Himmel, unter dem wir alle leben, übertönen will.

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Die Lage ist so dramatisch, dass die CMA Awards im November explizit ankündigen mussten, eine „no drama zone“ zu sein. Der wichtigste Country-Preis wollte zeigen, dass das Genre absolut null rassistisch ist, weil schließlich zwei seiner erfolgreichsten Künstler*innen Schwarz sind.

Darius Rucker, früher bei Hootie & the Blowfish und seit langem im Country aktiv, führte zusammen mit Reba McEntire durch die Veranstaltung und sang mit ihr „In The Ghetto“. Charley Pride, seit den Sechzigern der erfolgreichste Schwarze Country-Sänger, erhielt den Preis für sein Lebenswerk. (Einen Monat später starb der fünffache Großvater mit 86 Jahren an Covid-19.)

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Ein Genre, das sich von Rassismus freisprechen will, indem es seine zwei einzigen wirklich erfolgreichen Schwarzen Künstler auf die Bühne stellt und einen von ihnen einen Song von Elvis singen lässt, beweist natürlich erst recht sein Rassismusproblem.

Die Reaktion auf diese Einsicht ist außerhalb des Genres, außerhalb der USA sowieso, kichernd-spöttisch: Country ist halt Redneck-Musik, der Soundtrack von Trump und Bigotterie. Aber wer Country auf diese Weise abtut, verpasst nicht nur tiefe Musik über gesellschaftliche Bruchstellen und große Kämpfe, sondern ignoriert gerade die mutigen Künstler*innen, die das Genre lieben und deswegen verändern wollen.

Denn auch wenn es jenseits von Rucker und Pride schwer wird, Schwarze Stars im Genre zu finden: Country war nie nur weiß. Schon die „Anthology of American Folk Music“ erzählte, wie nah sich Delta-Blues, Cowboy-Balladen und Songs über Flüsse und Berge als originär amerikanisches Liedgut waren, bevor die entstehende Musikindustrie segregierte Genrelabels wie „hillbilly music“ und „race records“ erfand.

In den Sechzigern coverte Ray Charles Country-Songs und zeigte, wie viel R’n’B in ihnen steckte, in den Siebzigern fanden Southern Soul und Outlaw-Country immer wieder zusammen. Die Revolution aber blieb aus: Dafür waren Land und Country doch zu segregiert. Grenzen bleiben bestehen, Türen verschlossen.

Ablehnung und Ignoranz in Nashville

Die Karriere von Miko Marks zeigt, wie sich der Country-Mainstream von hinten gegen diese Türen stemmt. Auf dem Cover ihres Debütalbums „Freeway Bound“ von 2005 strahlte sie mit dunklem Cowboyhut in die Kamera, ihre Songs handelten von Alltag und Freiheit, Mutterschaft und Sehnsucht: echter Country eben. Kurz wurde sie in Nashville als neuer Star gehandelt. Und dann wachte die Maschine auf und jagte Marks mit kalter Apathie aus der Stadt, und erschütterte mit meist unausgesprochener Ablehnung ihr Selbstbild nachhaltig.

14 Jahre hat Marks kein Album herausgebracht. Am Freitag erscheint jetzt ihr neues Werk mit dem Titel „Our Country“, der sich stolz, melancholisch oder trotzig lesen lässt. Heute, so erzählte sie der „New York Times“, gibt es keine Songs über Traktoren, sondern über Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Es ist ein Album über Gegenwart, Geschichte und Zukunft, die in Amerika ein fast unentrinnbares Gewirr aus Gewalt, Lügen und Hoffnung bilden.

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„I wish the price of gas was low and the cotton was high“ wünscht sich hingegen Riley Green und zeigt, wie gerade im harmonischsten Country-Bild Gift stecken kann. Der Südstaatenmythos gehört zum Genre, selbst der oft als progressiver Rebell missverstandene Johnny Cash hat noch in den Achtzigern einen Tribut-Song an den Konföderiertengeneral Robert E. Lee aufgenommen. Dessen Statuen wurden zusammen mit denen anderer Sezessionisten und Kriegsverbrecher bei den Black-Lives-Matter-Protesten im vergangenen Sommer gestürzt.

Der Glaube an die amerikanischen Mythen ist dahin

Diese Sockelstürze waren mehr als nur Kampf für historische Wahrheit: Schwarze Aktivist*innen haben ihre Heimat, die Südstaaten, damit etwas lebbarer gemacht. Sängerin Adia Victoria, die Country und Blues zusammenführt, hat mit dem Song „South Gotta Change“ den Soundtrack dazu geschrieben: Weil ich dich liebe werde ich dich nie verlassen, aber du musst dich verändern, singt sie wie jemand in einer noch nicht unheilbar toxischen Beziehung. Miko Marks hat nicht mehr so viel Hoffnung: „Goodnight America, your dream has died“ verabschiedet sie sich und und lässt doch anklingen, wie wichtig es wäre, an die amerikanischen Mythen glauben zu können.

Marks lebt in Oakland, Victoria in Nashville, aber vom Mainstream halten sich beide fern, inhaltlich wie musikalisch. Die Sängerin Mickey Guyton hingegen versucht mit ihrer EP „Bridges“ ein letztes Mal, die Türen aufzustoßen. Die Songs sind mit großen Produktionen, mitreißenden Hooks und dramatischem Gesang im besten Sinne radiotauglich. Dafür war Guyton bei den Grammys als erste Schwarze Künstlerin überhaupt in einer Country-Kategorie nominiert.

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Doch Guyton ist sich gar nicht sicher, ob sie wirklich ins Herz der Industrie vorstoßen will, und ob sie es verantworten kann, andere Schwarze Künstler*innen dazu zu inspirieren, es im Mainstream zu versuchen, wenn der immer noch von rassistischen Strukturen und aggressiver whiteness geprägt ist. Für diese Strukturen steht derzeit niemand so sehr wie Morgan Wallen, der über N-Wort-Skandale und Corona- Dummheit immer weiter nach oben stolpert und fünfte und sechste Chancen bekommt.

Trotzdem gibt es aber auch andere Weiße im Country, wie das dirt kid Tyler Childers aus Kentucky, der Black Lives Matter unterstützt oder den verschrobenen Sturgill Simpson, der Donald Trump 2017 ein „Faschistenschwein“ nannte. Die Supergroup Highwomen um Brandi Carlile will das Genre weiblicher machen und hat dabei sogar die Fallstricke von weißem Feminismus im Auge.

Natürlich werden sie alle kaum oder gar nicht im marktbestimmenden Radio gespielt. Auch Mickey Guyton musste „Black Like Me“ erst bei den Grammys singen, bevor er in den Playlists auftauchte. Es wird sich zeigen, ob daraus etwas Positives folgt oder, ob sich die Geschichte von Miko Marks wiederholt.

Es ist diese Angst, die Guytons EP ein ganz zerbrechliches Pathos geben: eine Schwarze Künstlerin, die trotz aller Enttäuschungen und Verletzungen noch an Country glaubt, fleht das Genre an, sie zu lieben. Entgegen aller Marktlogik sträubt sich die Industrie, sich ihr und der Zukunft zu öffnen, egal, wie eingängig die Songs und versöhnlich die Botschaften sind. Country ist weiß, das ist die Lüge, die nicht nur Country-Verächter erzählen, sondern auch die Industrie selbst – bei Strafe ihres Untergangs. Aber ewig wird sie die Türen nicht versperren können.

Fabian Wolff

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