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Kultur: Der alte Mann und das Blumenmeer

Max Liebermanns Villa ist renoviert. Ein Besuch in Berlins schönstem Künstlerhaus am Wannsee

Irgendwann werden sie im Garten vielleicht auch wieder das Kohlfeld anlegen, das Max Liebermann in den harten Zeiten des Ersten Weltkriegs hier pflanzte. Irgendwann vielleicht auch die Fassade wieder mit wildem Wein beranken, der mal grün, mal rot auf Liebermanns Bildern zu sehen ist. Schon strahlt das renovierte Haus in schönstem, gesäuberten Putz, sind die Räume im Inneren frisch gestrichen, ist die Eröffnungsausstellung gehängt. Doch im Garten wird noch fieberhaft gewerkelt, bis am Sonntag die ersten Besucher kommen: rote Geranien auf dem Blumenparterre gepflanzt, die Buchsbäume und Heckenpflanzen ausgepackt, der Kies und Sand gekehrt. Galerist Wolfgang Immenhausen, Vorstandsmitglied des Vereins, der für das Treiben verantwortlich ist, trägt einen Pappkarton herbei und entnimmt ihm Anton Gauls berühmten Fischotter, der einen Brunnen am Blumenparterre bekrönt.

Zwölf Jahre Kampf bilanziert Rolf Budde, Vorsitzender des Freundeskreises. Den letzten Kampf, den Versuch, Max Liebermanns sechseckigen Seepavillon, der fertig bereitsteht, wieder auf die Fundamente zu setzen, die leider 90 Zentimeter auf ein Nachbargrundstück reichen, hat man in dieser Woche vorerst verloren. Und so ist auch dieser Tag, der strahlende, lang ersehnte Eröffnungstag, nicht ohne Wermutstropfen: Die berühmten Heckengärten Max Liebermanns, die drei intimen grünen Räume am Rand des großen Rasenstücks, die er wieder und wieder gemalt hat, die Kastanie mit der weißen Bank, dem Lieblingsplatz von Tochter Käthe, werden sich vorerst nur zum Teil rekonstruieren lassen. Ein Zugangsweg für einen benachbarten Taucherclub, vom Bezirk Zehlendorf 1995 auf weitere 20 Jahre verpachtet, verhindert die vollständige Rekonstruktion. „Aber“, so Immenhausen, als Vorstandsmitglied der Liebermann-Gesellschaft Ärger mit dem Bezirk gewohnt, „wir sind optimistisch. Bis 2016 halten wir durch.“

Es dürfte auch nicht schwer fallen. Auf rund 1000 Mitglieder ist die Liebermann-Gesellschaft inzwischen angewachsen, die drei Millionen Euro zur Restaurierung von Haus und Garten hat man mithilfe privater Stifter und Spender aufgebracht. Die Mühe hat sich gelohnt: Wiederhergestellt sind Kamin und Entree, der Gartensalon erstrahlt in Hellgrün und Hellbraun, die Stuckdecke ist nach Befund als Holzimitat gestrichen, im Obergeschoss wurde das Atelier, vom Taucherclub einst als Kino genutzt, mit seinem aparten Tonnengewölbe restauriert. Und überall hängen Liebermann-Bilder, vierzig insgesamt. Eins zeigt den Maler in seinem Atelier und hängt genau an dem Platz, wo es gemalt wurde. Dazu ein Selbstporträt, die Freunde Otto Frenzel und Ferdinand Sauerbruch, das rege Treiben in den nahen Biergärten von Nikolskoe, und immer wieder der Garten, das berühmte, quer über den Gartenweg wachsende Birkenwäldchen, die Stauden- und Gemüsegärten vor dem Haus, der weite Rasen, die Hecken und Rabatten zum See hin. 200 Gartenbilder hat Liebermann hier gemalt. Einige kehren nun, als Leihgaben von Privatleuten und Museen, auf Dauer zurück.

In Wannsee war Liebermann Privatmann, nicht Staatskünstler. Nicht in Anzug mit Weste, sondern in Strohhut steht er im Garten und schneidet die Rosen. In der Eingangshalle, über dem Kamin, hängt ein Familienbild: Der Maler skizziert, Frau Martha liest der Enkelin Maria vor, Tochter Käthe steht mit Ehemann dabei. Enkelin Maria ist eines von Liebermanns Lieblings-Sujets in diesen Sommern am See. Er porträtiert sie wieder und wieder, als Baby an der Brust der Mutter, später im Sandkasten spielend, auf der Bank lesend, nähend am Tisch. Intime, zärtliche Kinderbilder, Augenblicksbeobachtungen des stolzen Großvaters, ohne repräsentativen Anspruch.

63 Jahre alt war Liebermann, als er die Villa 1910 bezog. „In zwei Jahren habe ich mir mit meinen zwei Händen das alles ermalt“, schreibt der Künstler stolz an seinen Freund Alfred Lichtwark – Liebermann-Bilder hatten schon damals ihren Preis. Sein „Freiluftatelier“, sein privates Rückzugsidyll hat Liebermann die Villa am Wannsee genannt, die er bis zu seinem Tod in den Sommermonaten bewohnte. Wovor er floh, zeigt ein Schmähbrief aus dem Jahr 1924, in dem ein gewisser Dr. Seidl den Akademiepräsidenten als „schmierigen Juden“ beschimpft und droht: „Seien Sie versichert, der Strom bricht bald los und wird das ganze jüdische Läusegesindel sehr rasch aus Deutschland hinausjagen.“ 1933 legt Liebermann die Präsidentschaft nieder, 1935 stirbt er verbittert und vereinsamt.

Das „Schloss am See“ hatte seine Unschuld verloren. Wenige Meter weiter, in der Villa Marlier, findet 1942 die Wannsee-Konferenz statt. Schon 1940 muss Liebermanns Frau die Villa an die Reichspost verkaufen und nimmt sich 1943 das Leben, um der Deportation zu entgehen. Nach dem Krieg ist das Haus erst Krankenhaus, dann Vereinslokal der Taucher. Der 1995 gegründete Freundeskreis muss jahrelang kämpfen, bis er das Haus 2002 übernehmen kann. „Die wenigen noch erhaltenen Künstlerhäuser werden in Berlin mit Füßen getreten“ bilanziert Denkmalpfleger Wolf Borwin Wendlandt bitter, und erinnert an das ruinöse Schadowhaus in Mitte und das unlängst für einen Spottpreis verscherbelte Künstlerhaus von Hannah Höch in Heiligensee.

Den Anstoß zur Rettung der Liebermann-Villa lieferte übrigens der Kunsthistoriker Julius Posener, der 1971 unter dem Titel „Liebermann und die Froschmänner“ im Tagesspiegel die Vermietung an den Taucherclub scharf kritisierte. „Es gibt in Berlin keine große Glocke, keine Öffentlichkeit, die bereit wäre, für die Kultur auf die Barrikaden zu steigen“, schrieb er damals. Die Geschichte der Wiedergewinnung der LiebermannVilla hat ihn aufs Schönste widerlegt.

Colomierstr. 3, ab Sonntag tägl. außer Di, 11 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Infos unter www.liebermann-villa.de.

Christina Tilmann

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