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Kultur: Der amerikanische Patient

Der Held zieht in den Krieg, und die Liebe vergeht nicht: Anthony Minghellas Südstaaten-Melodram „Unterwegs nach Cold Mountain“ mit Jude Law und Nicole Kidman eröffnet heute die 54. Berliner Filmfestspiele

Gerade mal zu einem innigen ersten Kuss auf der Veranda des Pfarrhauses in Cold Mountain ist es zwischen der Pfarrerstochter (Nicole Kidman) und dem Bautischler (Jude Law) gekommen, da muss der sympathisch ungehobelte Mann schon in den Krieg. In den „Civil War“, den mörderischen Bürgerkrieg, der die jungen Vereinigten Staaten in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu zerreißen drohte, sie dann aber unter schrecklichen Opfern einte. Dabei war die Trennungslinie zwischen dem Zucker- und Tabakpflanzer-Süden und dem industrialisierten Norden, der mit dem Pathos der Sklavenbefreiung und mit der technisch überlegenen Armee als „humaner Fortschritt“ siegte, noch lange zu spüren.

Zurück in Cold Mountain bleibt die hochgebildete, belesene Pfarrerstochter, die schon auf dem Planwagen Klavier spielt, als sie mit ihrem Vater aus Charleston kommt. Charleston, das war die elegante kultivierte Welt des US-Südens (siehe „Vom Winde verweht“); Cold Mountain, das scheint die rustikale Idylle einfacher redlicher Menschen zu sein. Und hier will sie auf die Heimkehr ihres Liebsten warten, wobei ihre Liebe mehr Versprechen und (noch? ewig?) unerfüllte Hoffnung ist, die sich in ihren Feldpost-Liebesbriefen aushaucht und sich in Voice-Over-Szenen voller Süßlichkeit über die bitteren Kriegsgeschehnisse legt. Wo im Kino geliebt, gelesen, geschrieben wird, da flackern die Kerzen, und die Noten liegen auf dem Piano bereit; schon erklingt Filmmusik der Sehnsucht.

Doch ihr Vater stirbt (mit würdig weißem Bart und gütigem Ernst: Donald Sutherland), die Gegend verwaist und verwildert in den Kriegswirren, die jungen Männer sind im Krieg, sind das Kanonenfutter der Niederlage. Zurück bleibt ein verwöhntes Mädchen, das untergehen würde, käme nicht ein streunendes Mädchen (Renée Zellweger spielt sie mit fast parodistischem Südstaaten-Singsang als Ärmelhochkremplerin) und würde die schöne Seele zurück auf den Boden der Tatsachen bringen.

Hier beginnt ein Film, in dem die Frauen ihren Mann stehen. Anthony Minghellas „Unterwegs nach Cold Mountain“ hat hier den emanzipatorischen Impetus aufgeklärter Western. Männer treten als marodierende Deserteure oder, schlimmer, als Willkür-Soldateska der Bürgerwehren auf: Graubärte, die geil und grausam plündern, morden, vergewaltigen und alle Jungen totschlagen, die sich vor dem Krieg drücken.

Wozu brauchen die beiden patenten Frauen, die sich glänzend ergänzen und drollig erziehen – die eine die andere für Acker und Garten, die andere die eine für Herz und Gemüt – überhaupt Männer? Um sehnsüchtig auf sie zu warten, bis sie aus dem Krieg heimkehren. Denn, wie das versöhnliche Ende nach dem tragischen Happy-End zeigt: Ganz ohne Männer geht es nicht.

Inzwischen ist der junge Soldat, der ohne Hurra-Patriotismus in den Krieg gezogen ist, in der Vernichtungsmaschinerie der Schlachten schwer verwundet und fast zu Tode gebracht worden. Eindrucksvoll mit viel Schlamm, Blut, Dreck, explodierenden Schlachtfeldern und einem Riesenheer von rumänischen Statisten (die Südstaaten in ihrem vorindustriellen Zustand wurden in den Bergen Rumäniens gedreht) zeigt der Drehbuchautor und Regisseur Minghella in diesem Film im Film das Elend des Krieges, aufwändig und großspurig auf den Fährten des Klassikers aller Bürgerkriegsfilme und schlägt sich wie „Vom Winde verweht“ eher auf die Seite der Kriegsverlierer.

Nur weiß Minghella, der auf der Berlinale 1996 schon mit einer Liebe im Krieg, dem „Englischen Patienten“ brillierte und zu Tränen rührte, inzwischen mehr über die Bestialitäten, die der Krieg freisetzt. So wie Charles Fraziers Bestseller „Unterwegs nach Cold Mountain“ mehr weiß als der Bestseller von Margaret Mitchell, der 1939 verfilmt wurde. Inzwischen sind Hollywood andere Kriege dazwischengekommen: der Zweite Weltkrieg (von Spielberg im „Saving Private Ryan“ als realistisches Schreckgemälde nachgestellt) und der Vietnam-Krieg, der ein ganzes Genre von Antikriegsfilmen provoziert hat. Mit dem Hurra-Patriotismus und dem Glauben an die bessere Sache ist es nicht mehr gut bestellt. Trotzdem, die malerischen Landschaften, die historischen Uniformen der noch im Tode und im Lazarett pittoresk bärtigen Krieger machen noch die grausamsten Szenen zur Kriegsmalerei des 19. Jahrhunderts. Schon wegen dieser historischen Distanz fällt „Unterwegs nach Cold Mountain“ hinter die realistischen Einsichten der Vietnamfilme und des Films von Spielberg zurück.

Hier aber beginnt der dritte Film, wenn der invalide Liebende (Jude Law) aus dem Lazarett flieht und der Stimme der Liebesbriefe folgend desertiert. Minghella hat sich hier durch die literarische Vorlage an die „Odyssee“ erinnert gefühlt, und in der Tat gibt es satirische Anklänge an Circe, wenn die Kriegsdeserteure von einem Kopfgeldjäger in einen riesigen Frauenhaushalt geführt werden, in dem wabbelnde Nacktheit und debile Geilheit ihr anachisches Regiment führen.

Auch die Szenen, in denen der stets als Deserteur mit dem Tode bedrohte amerikanische Patient humpelnd und blutspuckend erlebt, wie Plünderer eine Mutter und ein Baby überfallen und das Baby zu massakrieren drohen, falls sie ihre Lebensmittelverstecke nicht verrät, haben die Kraft von Grimmelshausen-Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg und dessen bestialischen Verwahrlosungen.

Doch auch hier wechseln brutale Einsichten in die Unnatur des Krieges mit Sequenzen, in denen der Held in ein Hexenhäuschen gerät und mit einem Zaubertrank und Ziegenfleisch geheilt wird. Das sieht nach Harry Potter aus und ähnelt Robin Hood – wie überhaupt der Film beweist, wie ausverkauft Bilder inzwischen sind in unserem überfluteten Bewusstsein. Wenn der Held bei seinem Marsch nach Hause vor lauter Hunger Insekten und Maden fressen muss, fühle ich mich (leider) an den Trash aus „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ erinnert.

Auch der Show Down, der aus dem Southern (der in Rumänien, also als Eastern, gedreht wurde) endgültig den Western formt, hat Vorbilder; und die friedvolle Kidman agiert wie ihr Vorbild Grace Kelly in „High Noon“: Es kann der Beste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Am Ende ist noch der friedvollste Western militant.

Und über alles siegt die Liebe. Und die kann der Film nur als softester Soft-Porno zeigen: Während die Unverheirateten sich kurz davor immer wieder versichern, dass sie einander heiraten wollen, wird für Nachwuchs gesorgt. Der Held stirbt nach dem letzten Gefecht; die Liebe überdauert den Tod, ob nun eine „Titanic“ untergeht oder North Carolina. Auch der schrecklichste Krieg ist dem großen Hollywood-Kino nur ein Vehikel für die schönste Haupttätigkeit der Welt. Da war „Vom Winde verweht“ eigentlich schon einen Schritt weiter.

Hellmuth Karasek

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