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Kultur: Der Anti-Preuße

Mal angenommen, Berlin läge eintausend Kilometer weiter westlich und hieße nicht Berlin, sondern Paris, dann wäre es überhaupt kein Problem, nach Spuren von Max Ernst zu suchen.Max Ernst hat Paris geliebt.

Mal angenommen, Berlin läge eintausend Kilometer weiter westlich und hieße nicht Berlin, sondern Paris, dann wäre es überhaupt kein Problem, nach Spuren von Max Ernst zu suchen.Max Ernst hat Paris geliebt.Paris, die Künstlermetropole, das war seine Stadt, von Anfang an.Dorthin war er, 1891 in Brühl bei Köln geboren, im Alter von 30 Jahren endgültig übergesiedelt, um sich dem Kreis der Surrealisten um André Breton und Paul Éluard anzuschließen.Menschen, die die Zeit miterlebt haben, sagen: Es war eine regelrechte Flucht, nicht zuletzt vor der deutschen Spießigkeit, welche in Gestalt beflissener Polizeibeamter dafür gesorgt hatte, daß Ausstellungen des "Dadamax" auf behördliche Anordnung geschlossen wurden, wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses".

Oder nehmen wir Sedona/Arizona.In dem gottverlassenen Kaff hatte Ernst 1946 für sich und seine spätere Ehefrau Dorothea Tanning (sie war die vierte) mitten in der Wüste eine kleine Holzhütte gebaut.In New York, wo der Künstler seit seiner Emigration gewohnt hatte, war die Stimmung gegen ihn nach der Scheidung von der schwerreichen Mäzenatin Peggy Guggenheim.Die Abgeschiedenheit des mittleren Westens tat ihm gut, weckte einen neuen kreativen Schub.In Sedona entstanden, zum ersten Mal in Max Ernsts Laufbahn, zahlreiche Skulpturen, die er aus Holzlatten, Metallstücken und sonstigem "Abfall" zusammenschraubte.

Paris, Sedona, vielleicht noch New York, das wären Orte, an denen man nach Max Ernst fahnden müßte.Aber Berlin? Sicher, hier hatte Max Ernst Ausstellungen, wichtige sogar, wie etwa die Teilnahme am "Ersten Deutschen Herbstsalon" 1913 in der legendären Galerie "Der Sturm" von Herwarth Walden in der Potsdamer Straße/Ecke Pallasstraße.Auch traf er hier während eines Fronturlaubes 1916 George Grosz und Wieland Herzfelde, den Malik-Verleger und Bruder des Fotomonteurs und Agitatoren John Heartfield, auch das eine Begegnung, die der künstlerischen Karriere des Autodidakten einen entscheidenden Drall geben sollte.Doch mit Berlin so richtig warm geworden ist er wohl nie, trotz der großen Retrospektive, die seine Schwester Loni mit ihrem Ehemann Lothar Pretzell, dem Direktor des Berliner Völkerkundemuseums, anläßlich von Ernsts 60.Geburtstag im Zehlendorfer Haus am Waldsee organisierte.Andererseits: Als es darum ging, die berühmte "Capricorne"-Figurengruppe einem Museum zu stiften, fiel Max Ernsts Wahl - auf die Berliner Nationalgalerie."Als man mich fragte, was mit der Form geschehen soll, kam mir der Gedanke, sie einem Museum in Deutschland zu geben", schrieb er am 11.Dezember 1972 in einem Brief an Werner Haftmann, den damaligen Leiter der Nationalgalerie.Der verstand den Wink und griff begeistert zu.

Ein Jahr darauf, nachdem er die Capricorne-Gruppe ins Zentrum seiner musealen Präsentation gerückt hatte, notierte Haftmann: "Feierlich, fremdartig und unendlich einsam steht Capricorne jetzt in der mächtigen Halle Mies van der Rohes." Die Skulptur war nicht das einzige Werk von Max Ernst, das 1973 in die Berliner Staatlichen Museen gelangte.Auch fünf Hefte des Collagenromans "Une Semaine de Bonté" ("Eine Woche der Güte") gehören zu ihren Beständen.

Vielleicht war die Ambivalenz, die Max Ernst mit Berlin verband, auch eine Frage des Temperaments."Max Ernst", sagt einer, der es wissen muß, "Max Ernst war sehr locker, von Konventionen hielt er gar nichts." Heinz H.Pietzsch sitzt in seinem Büro im achtzehnten Stock des Europa-Centers und macht eine Kunstpause."In gewisser Weise war er anti-preußisch." Der Berliner Großkaufmann ist einer der bedeutendsten Sammler surrealistischer Kunst in Deutschland, und als solcher, gemeinsam mit seiner Frau Ulla Pietzsch, Besitzer etlicher herausragender Werke des Künstlers, wovon man sich derzeit in der Max Ernst-Schau in der Neuen Nationalgalerie überzeugen kann.Pietzsch ist, was die Kunst betrifft, ein Aficionado.Einer, der seinen Lieblingen die Treue hält, ganz gleich, wohin der Trend gerade rennt.Das spüren auch andere.Dallas Ernst zum Beispiel, der in New York lebenden Witwe von Jimmy Ernst, des ältesten Sohnes von Max, erging es so.Von ihr erwarben Heinz und Ulla Pietzsch 1987 die Urfassung von Capricorne aus Draht und Beton, eine Rarität allerersten Ranges."Eigentlich wollte Dallas Ernst die Skulptur nur an ein Museum verkaufen", erinnert sich Pietzsch nicht ohne Stolz, "aber dann haben wir sie doch bekommen."

Es gibt sie also doch, die Verbindungen zwischen Max Ernst und Berlin, und sei es, daß man sie über Dritte konstruieren muß.Eine solche Koordinate, die aus einer Linie ein Dreiecksverhältnis macht, ist der Galerist Dieter Brusberg.Mit die erste Graphik, die Brusberg in seiner mitterweile vierzigjährigen Galeriearbeit kaufte und verkaufte, stammte von Max Ernst, erstanden 1959 in Paris.Und doch sollte es viele Jahre dauern, bis die beiden sich erstmals persönlich begegneten."Ich hatte mich die längste Zeit einfach nicht getraut, mich bei Max Ernst zu melden", erzählt der gebürtige Hannoveraner, der seit 1982 mondäne Ausstellungsräume am Kurfürstendamm unterhält.Im nachhinein kann Brusberg seine Zurückhaltung selber nicht so recht verstehen.Denn als sie sich endlich trafen, "hatten wir von Anbeginn eine sehr herzliche Beziehung".

Starallüren, so Brusberg, waren Max Ernst völlig fremd.Gleich beim ersten Kennenlernen, abends um halb elf auf dem Bahnhof, kam der Künstler "strahlend auf mich zu", das sei so seine Art gewesen, und auf keinen Fall dürfe man das mit Oberflächlichkeit verwechseln."Er hatte eine apollinische Fröhlichkeit, er war die Verkörperung des Kreativen schlechthin." Wenn er merkte, daß sich jemand für seine Arbeiten interessierte, fielen alle Vorbehalte von ihm ab.Einmal, als Dieter Brusberg einen Katalog zum graphischen Werk von Max Ernst herausgeben wollte, es aber noch mit der Finanzierung haperte, fertigte Ernst, damals bereits weit in seinen Siebzigern, eine Lithographie als zusätzlichen Kaufanreiz.Auf das Honorar verzichtete er, vielmehr: er fragte nicht einmal danach, worüber sich Brusberg noch heute wundert.Ernst, der vielfach ausgezeichnete Großkünstler, Mitglied der exklusiven Academie Francaise, griff dem Newcomer unter die Arme, großzügig und ungebeten.Das hat Brusberg später in der Form nicht mehr allzu oft erlebt."Max Ernst", glaubt Brusberg, "war ein dankbarer Mensch."

Die Max Ernst-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie läuft bis 30.Mai, Di bis Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr.Die Galerie Brusberg, Kurfürstendamm 213, zeigt bis 30.April Grafiken von Max Ernst, Di bis Fr, 10 bis 18.30 Uhr, Sa 10 bis 14 Uhr.

ULRICH CLEWING

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