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Kultur: Der Antisemitismus-Forscher über Deutschland, Israel und die Shoa

Yehuda Bauer (74) ist Direktor des Zentrums für Holocaust-Forschung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der Historiker gilt als einer der bedeutendsten Erforscher der Shoa und des Antisemitismus.

Yehuda Bauer (74) ist Direktor des Zentrums für Holocaust-Forschung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der Historiker gilt als einer der bedeutendsten Erforscher der Shoa und des Antisemitismus. Seine in Prag lebende Familie musste 1939 nach Haifa emigrieren. Vor zwei Jahren sprach der überzeugte Zionist und Linksdemokrat anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar vor dem Bundestag. Yehuda Bauer ist derzeit Gastprofessor am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

Herr Bauer, Helmut Kohl hat als Bundeskanzler immer wieder betont, dass Auschwitz einmalig ist und damit öffentlich ein Zeichen gesetzt. Hat sich an dieser Haltung mit Rot-Grün etwas geändert?

Meine Begegnungen mit Herrn Kohl waren immer sehr angenehm. Es gab da zwar ein paar unglückliche Bemerkungen, aber alles in allem war er sehr engagiert. Dasselbe gilt für Rot-Grün. Ich habe mich ein paar Mal mit Bundeskanzler Schröder getroffen und kann nur sagen, dass sich die Einstellung der Regierung nicht verändert hat. Über das Holocaust-Mahnmal haben wir nicht gesprochen. Dazu werden wir uns, also die Gedenkstätte Yad Vashem, nicht äußern. Das ist eine innerdeutsche Diskussion.

Gerade Ausländer schütteln oft den Kopf darüber, mit welcher Inbrunst sich die Deutschen das Büßergewand überziehen, wenn es um das Dritte Reich geht. Ist es nicht Zeit, das Büßergewand in den Schrank zu hängen?

Ob man das will oder nicht, spielt keine Rolle. Es geht nicht. Die deutsche Gesellschaft ist eine traumatisierte Gesellschaft. Die Deutschen waren während des Zweiten Weltkriegs für drei Genozide verantwortlich: an den Juden, an den Roma und Sinti, an den Polen. Das lässt sich nicht vertuschen oder vergraben. Die Deutschen können gar nicht anders. Und um die Vergangenheit des Holocaust zu bewältigen, brauchen die Deutschen die Juden. Ihr kommt ohne uns nicht aus.

Warum nicht?

Weil wir die Erben der Opfer sind.

Aber engt das nicht das deutsch-jüdische Verhältnis allein auf die Shoa ein?

Nein. Aber die Geschichte der Judenvernichtung bestimmt wesentlich die Perspektive, die auch andere Aspekte des Verhältnisses betrifft. Auf der Tatsache der Shoa baut alles weitere auf, zum Beispiel bei Treffen von Jugendgruppen: Erst informieren sich israelische Jugendliche in Dachau über die Vernichtung, dann kommt der Fußball und die Freundschaft.

Dennoch hat man den Eindruck, dass die Deutschen geradezu besessen sind von der Aufarbeitung der braunen Vergangenheit.

Das ist typisch für ein Trauma.

Wie lange sind wir noch traumatisiert?

Ein paar hundert Jahre. Ich weiß es nicht genau. Man kann ein Trauma nur dadurch behandeln, indem man sich den Tatsachen stellt. Eine Schlussstrichideologie funktioniert nicht. Ob das gut oder schlecht ist, das ist unwichtig. Man muss sich damit beschäftigen. Das gilt auch für die Juden.

Aber die eingehende Beschäftigung mit dem Dritten Reich treibt auch hanebüchene Blüten: Ein Pitbullbesitzer in Berlin wollte andere Kampfhundehalter auffordern, bei einer Demonstration gegen ein geplantes Verbot bestimmter Rassen den Vierbeinern einen gelben Davidstern umzuhängen.

So etwas passiert, wenn ein Trauma nicht verarbeitet ist. Traumata enden manchmal mit Blödsinn.

Führt das Gedenken an die Shoah nicht inzwischen schon ein Eigenleben?

Ja, aber das muss so sein. Wie das Eigenleben gestaltet wird, darauf kann man jedoch Einfluss nehmen. Die Form kann falsch sein. So wird sehr viel über die Shoa in deutschen Schulen unterrichtet. Da hat man manchmal den Eindruck, dass die Jugendlichen zu viel eingepaukt bekommen und das in falscher Weise. Man muss den Jugendlichen nicht nur Tatsachen erklären, sondern auch das Warum erklären. Es muss klar werden, in welchen Dilemmata die Menschen damals steckten. Dann können die Jugendlichen selbst darüber nachdenken: "Was hätte ich in dieser Situation gemacht?" Man lehrt nicht nur durch Fakten, sondern hauptsächlich durch Fragestellungen.

Auch in der israelischen Gesellschaft spielt das Thema Holocaust eine zentrale Rolle. Es gibt aber Kritiker, die meinen, dass die Erinnerung an den Völkermord eine Ersatzreligion geworden ist.

Von einer Ersatzreligion kann man nicht sprechen. Das Thema wird durch linke und rechte Politiker instrumentalisiert. Und es wird instrumentalisiert, weil es da ist, dieses Trauma als Basis der israelischen Gesellschaft. Es gibt Kreise in Israel, die den Holocaust als ein Argument zur Bekämpfung der Anderen nutzen, insofern ist es auch ein Spaltungsthema und nicht nur etwas, was die Leute miteinander vereint.

Ändert sich das mit den nachfolgenden Generationen?

Meine Kollegen sagen manchmal, ja. Ich sage: nein. Die junge Generation hat die gleiche Einstellung zum Thema wie die vorhergehende. Das Interesse ist unglaublich. Eigentlich ist das kaum zu verstehen. Die Kinder und Jugendlichen haben ja mit der Sache nichts mehr zu tun. Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Israel stammt ohnehin nicht aus Europa.

Ist der Londoner Prozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving in Israel zur Kenntnis genommen worden?

Ja, es wurde berichtet. Doch die Medien in Israel sind nicht gut erzogen, was die jüdische Welt anbelangt. Man berichtet darüber mit Emotion, aber ohne richtiges Wissen.

War das Urteil, dass Irvings Antisemitismus bestätigt, wichtig für die seriöse Holocaust-Forschung?

Ich würde sagen, ja.Der Prozess war von Anfang an eine äußerst wichtige Angelegenheit. Das Leugnen des Holocaust ist eine Reaktion auf die Demokratisierung der westlichen Gesellschaft, die abgelehnt wird. Federführend sind dabei Intellektuelle wie Irving. Mit seinem Urteil hat Richter Gray sie überführt, und er hat deutliche Worte gefunden. Das war sehr wichtig. Und noch etwas hat der Prozess bewirkt: Es wurden Dinge klar herausgearbeitet, um die sich die Holocaustforschung bis jetzt sehr wenig gekümmert hat: zum Beispiel, wie die Vernichtung bis ins kleinste Detail technisch vonstatten ging.

Das wird die Holocaust-Leugner nicht davon abhalten, ihre Unwahrheiten weiter zu verbreiten.

Das stimmt. Ihnen geht es ja darum, die Demokratie zu zerstören. Die Angriffe werden weitergehen. Aber ich glaube, dass sich im öffentlichen Bewusstsein derzeit etwas wichtiges entwickelt. Der Holocaust wird zu einem Symbol für andere Genozide, zum Beispiel dem in Ruanda oder für Massenmorde wie im Kosovo. Das kann ein Ansporn sein dafür, künftig Massenmorde zu verhindern. Bei einer großen internationalen Konferenz über den Holocaust und die Lehren für die Zukunft in Stockholm ist erstmals darüber nachgedacht worden, ob und wie - nicht nur militärisch - Völkermorde verhindert werden können.

Aber gibt es überhaupt die Bereitschaft der Staatengemeinschaft, Konflikte irgendwo in der Welt zu verhindern - auch mit Gewalt?

Nein. Deswegen ist es ja so wichtig, dass es Anlässe wie die Konferenz gibt, um die Staaten dazu zu überreden oder sie durch öffentliche Meinung dazu zu zwingen. Es sind jetzt Gespräche zwischen verschiedenen Staaten im Gange. Wir Historiker haben die moralische Pflicht - so weit es unserer Hand liegt -, die Öffentlichkeit vorzubereiten auf mögliche Schritte, die solche Katastrophen verhindern können.

Der Holocaust, ein "Hoffnungsträger"?

Das ist zuviel gesagt. Es ist ein Anfang für wichtige politische Schritte. Das Gespräch führte Christian Böhme

Herr Bauer[Helmut Kohl hat als B], eskanzler imme

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