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Kultur: Der Atemlose

Uri Avnery, Israels radikalster Pazifist, wird heute 80 Jahre alt

Heute wohnen seine meisten Fans in Deutschland, dem Schauplatz seines ersten Lebens. Als das erste Leben des Helmut Ostermann vorbei war, hat er, mit 18, einen anderen, einen hebräischen Namen angenommen. Seine Eltern erhielten 1913, als Hochzeitsgeschenk, eine Urkunde des jüdischen Nationalfonds: In Palästina war ein Baum für sie gepflanzt worden. Als der Baum zehn ist, kommt Helmut zur Welt. Schule in Hannover. Zionistische Jugendgruppe. Als Helmut zehn ist, emigriert die Familie. In Palästina schließt er sich, 14jährig, einer Terroristengruppe an, die im Kampf gegen die Briten Bomben auf Basaren platziert: Leben Nr.2. Das Erlebnis des Unabhängigkeitskrieges und der Vertreibung vieler Araber aus Israel macht Uri Avnery zum pazifistischen Regierungskritiker: Leben Nr.3.

Er ist kein Typ, der aufgibt. Auch jetzt nicht. Am 29. August 2003 beschimpft Avnerys Bewegung Gush Shalom in einer Zeitungsanzeige Scharon als politischen Pyromanen. Am 30. August vergleicht Avnery in einer globalen Rundmail Israel und sein Zaunprojekt mit den Juden des Mittelalters, die sich schon vor der Erfindung des Ghettos hinter selbst errichteten Mauern versteckten. Am 5. September attackiert Gush Shalom in einer Anzeige die israelische Polizei, weil sie arabische Bürger wie Feinde behandele. Avnery war Magazin-Herausgeber, Enthüllungsjournalist, Parteiengründer, Parlamentarier, erster Gesprächspartner der PLO und galt nach seinem Treffen mit Arafat, 1982 in Beirut, als Staatsfeind. Er fordert seit Jahrzehnten einen Palästinenserstaat. Seine Schar von Gush Shalom propagiert den Boykott von Siedler-Produkten, durchbricht Armeesperren, baut Häuser wieder auf; erklärt den Soldaten auf Flyern, warum sie im Ausland als Kriegsverbrecher verfolgt würden. Bei einem Überfall wurden Avnerys Hände gebrochen. Seine beiden wichtigsten arabischen Partner wurden ermordet.

„Vielleicht werde ich mir am 80. Geburtstag sagen können: Nun gut, jetzt ist die Sache erledigt,“ schrieb er 1993 für eine deutschen Zeitung. Damals hatten Rabin und Arafat das Existenzrecht ihrer Völker gegenseitig anerkannt. „Ich hoffe es. Vielleicht auch nicht. Wer will sich im 80. Lebensjahr langweilen?“ Avnery ist stets im Einsatz vor Ort oder auf PR-Tournee. Geheiratet hat er eine Mitstreiterin zwischen zwei Sitzungen.

Die meisten Israelis halten Avnery, der sich Arafats Terror-Kalkül schönredet und das irrationale Moment in den Reaktionen der palästinenischen Bevölkerung ignoriert, für einen nützlichen Idioten des Feindes. Für Philosemiten stellt er die Ehrenrettung des militaristisch verstrickten Judenstaates dar. Antizionistischen Linken liefert er die Legitimation ihrer Israel-Aversion: eine Projektionsfigur des Ideals vom guten, gewaltfreien Juden, vom ewig aktiven Utopisten, der glaubt, daß man kein Killer sein muss, um zu überleben. Heute wird Uri Avnery achtzig Jahre alt.

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