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Kultur: Der Auftragskiller

Frank Castorf inszeniert am Odéon in Paris eine „Kameliendame“ mit Revolutionsblüten.

„Anus Mundi“ und „Global Network“ prangt in Neonschrift auf einer Leuchtreklame über einem verbauten Haus, das in einer lateinamerikanischen Favela stehen könnte. Oben auf dem Dach ist ein Hühnerverschlag, in dem sich eine kranke Marguerite Gautier (Claire Sermonne), umringt von kreischenden Weibern im Stroh wälzt. Arsch der Welt? Das soll „La Dame aux Camélias“ sein?

Vom Sittendrama um die edle Edelnutte in der gehobenen Pariser Halbwelt des 19. Jahrhunderts ist nichts geblieben. Frank Castorf, der Intendant der Berliner Volksbühne, beginnt da, wo er immer begonnen hat: In grellem Aktionismus und einer satirischen Zuspitzung des Plots, wobei er sich nicht auf das Bühnenstück des Alexandre Dumas fils stützt, sondern auf dessen Roman von 1848. Es ist Castorfs erste Arbeit an einem französischen Theater, und da muss erst mal ein nationales Kulturerbe zertrümmert werden.

Aber die aus diversen Holzverschlägen zusammengezimmerte Elendswelt hat auf der Drehbühne des Odéon-Theaters eine schicke, glatte Rückseite. Hier gibt es leuchtende Glasflächen wie auf einer Showbühne. Und hier ist der bevorzugte Auftrittsort für Ruth Rosenfeld, die Castorf neben dem Musiker und Komponisten Sir Henry zur Verstärkung des französischen Ensembles aus Berlin mitgebracht hat. Nichts illustriert den forcierten Eklektizismus der Aufführung besser als ihr Soundtrack aus Eric Satie, Police, Ravel, Verdi, Mozart, Pink Floyd usw.

Über der Showbühne, deren glatte Flächen auch an sterile Sex-Shops erinnern, ist ein moderner Werbescreen angebracht: Silvio Berlusconi und Gaddafi liegen sich da in den Armen. Hier tritt ein allegorisches Fantasiekerlchen auf: Mit schwarzer Gesichtsmaske und Insektenfühlern erklärt er in debilem Amerikanisch, worum es in dem Stück gehen soll: Um „People with special feelings“. Mehr als ein flaches Stereotyp ist von der romantischen Liebesgeschichte mit der Edelnutte Marguerite nicht geblieben, nichts von dem Glamour, in dem Sarah Bernhardt in ihrer Lebensrolle dereinst auf Bühne und Filmleinwand erstrahlte.

Auch Textbeigaben aus dem Werk des Erotomanen und Stierkampffetischisten Georges Bataille helfen dieser Kameliendame nicht weiter, in zu viele Richtungen schießen die Assoziationen. Als hilfreicher erweist sich Castorfs Blick auf die kolonialistisch beeinflusste Familiengeschichte von Alexandre Dumas Vater und Sohn, in deren Adern Sklavenblut floss. Mit Heiner Müllers „Der Auftrag“ und dessen versuchter Anstiftung zu einem Sklavenaufstand in der Karibik hat die Aufführung mehr Glück. Dafür hat Frank Castorf, wie in seinen Arbeiten der letzteren Jahre, wieder die von Videokameras eingefangene private Innenperspektive eingenommen: Armand und Marguerite liegen im Bett und schauen ungläubig verdutzt auf die plötzlich eindringenden Protagonisten des Müller’schen Auftrags.

In das kurze private Glück des Romanstoffes ist die Globalisierung eingebrochen, der Rassismus und der abendländische Konfliktexport. Die Emissäre des revolutionären Frankreich sollen bei Müller in Jamaika einen Sklavenaufstand inszenieren. Aber bevor das überhaupt ins Werk gesetzt werden kann, ist im Heimatland die Revolution längst tot. Bei Castorf sitzen die nun zu Spießern gewordenen Protagonisten des romantischen Romans auf zerbröselnden Plastikstühlen vor einer Leinwand, auf der Bilder aus Eisensteins „Que viva México“ gezeigt werden. Der Zivilisationsexport des Abendlandes ist eine Katastrophe.

Mit großer Freude exekutieren die französischen Akteure den für sie unbekannten sportlichen und körperbetonten Regiestil. Auch die Starschauspielerin Jeanne Balibar, die hier gar nicht einmal die Titelrolle, sondern einen allegorischen Engel der Verzweiflung spielt, hat sich begeistert in das Chaos gestürzt. Eine „Kameliendame“ ist dabei nicht herausgekommen, wohl aber ein bunter deutsch-französischer Dialog. Eberhard Spreng

Eberhard Spreng

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