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Kultur: Der Augenlose

Science-Fiction, ultrabrutal: „Dredd“ – das Remake.

Von Jörg Wunder

Auch wenn der Maya-Kalender irren sollte und sich die Erde samt ihren Bewohnern weiterdreht, könnte sie in den kommenden Jahren ein recht ungemütlicher Platz werden. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man jüngere Kinovisionen für die baldige Zukunft betrachtet. Ob „Looper“, „Total Recall“ oder der deutsche Genrebeitrag „Hell“: Die Welt des 21. Jahrhunderts ist düster. Besonders unangenehm ist die Dystopie von „Dredd“: Der amerikanische Kontinent ist verseuchtes Ödland, nur an der Ostküste drängen sich 800 Millionen Menschen in einem Moloch namens „Mega- City One“. Dort regiert das Verbrechen, als Reaktion hat der Rest-Staat die lästige Gewaltenteilung aufgegeben. Für die Einhaltung der Gesetze sorgen sogenannte Judges, die nicht nur mit Körperpanzern und Hightechwaffen ausgestattet sind, sondern auch mit besonderen Vollmachten: Sie sind Polizisten, Richter und bei Bedarf auch Henker in einer Person.

Der Härteste unter ihnen ist Judge Dredd, ein maulfauler Zyniker – und wenig begeistert, als ihm eine telepathisch begabte Auszubildende (Olivia Thirlby) für die Streife zugeteilt wird. Den Genrekonventionen gemäß geraten beide bald unter schwersten Beschuss, als sie in einem abgeriegelten 200-Etagen-Wohnblock von den Killern der lokalen Drogenbaronin gejagt werden. Karl Urban interpretiert die Titelrolle in diesem Remake einer Comicverfilmung von 1995 offenbar als Hommage an Sylvester Stallones Original: Dessen herabgezogene Mundwinkel imitiert Urban 95 Minuten lang. Zudem sind seine Augen permanent durch den Uniformhelm verschattet, was den mimischen Minimalismus auf die Spitze treibt. Ein Schauspielerfilm ist „Dredd“ somit nicht gerade, auch die grotesk überzeichnete Gegenspielerin (Lena Headey) wirkt trotz traumatisch begründeter Persönlichkeitsstörung eher wie die Karikatur eines Charakters.

„Dredd“ hat sich die „Ab 18“-Freigabe der FSK redlich verdient. Die Brutalität des aktuellen Actionkinos wird zu neuen Extremen geführt: Man sieht auf Betonböden zerplatzende oder im Kugelhagel zersiebte Körper, sadistische Folterungen, oft in quälender Zeitlupe – ein Effekt, der die durch eine Designerdroge extrem verlangsamte Wahrnehmung der Opfer visualisieren soll. Für die detaillierten Grausamkeiten finden der britische Regisseur Pete Travis und Kameramann Anthony Dod Mantle („Slumdog Millionär“) perfiderweise 3-D-Bilder von verstörender Schönheit, die mit der suggestiven Industrial-Filmmusik von Paul Leonard-Morgan zu einem moralisch fragwürdigen, aber ästhetisch faszinierenden Kinoerlebnis verschmelzen.Jörg Wunder

In 16 Berliner Kinos, Originalversion

im Cinestar Sony Center

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