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Monat mit Eigenschaften: der August!

© picture alliance / dpa

Der August und die Künste: Sonne, Sommer, August

Große Ferien, große Pause: Der nächste Monat ist der Inbegriff der heißen Jahreszeit. Mal sehen, was die Künste so mit ihm anfangen können.

HOTTER THAN JULY

Gibt es das, eine Hitze, die heißer ist als heiß? Wann ist der Punkt erreicht, an dem alle Angst wegschmilzt und aus Trägheit Mut wird? Wie viel Grad Celsius hat das Glück?

Fragen, die nur der August beantworten kann, der Monat, in dem die Schwüle wie ein feuchter Waschlappen über der Welt liegt und das Leben darunter zum Stillstand kommt. „Everyone’s feeling pretty / It’s hotter than July“, singt Stevie Wonder in seinem Hit „Master Blaster (Jammin)“ zu wippenden Reggae-Rhythmen. Es geht um die Stärke der Unterdrückten, die Schönheit der Straße und um karibische Gefühle. Gewidmet ist der Song Bob Marley, mit dem Wonder aufgetreten war und dem zu Ehren er sich auf dem Cover seines Albums „Hotter than July“ mit Rastalocken zeigt, in die Perlen geknotet sind.

Wir schreiben das Jahr 1980. Aus Lautsprechern dringt die Musik von Marley, heißt es in den Lyrics, Simbabwe ist endlich frei, bis zum Morgengrauen wird nur noch getanzt. „They want us to join their fighting / But our answer today / Is to let all our worries / Like the breeze through our fingers slip away“, so geht es zu pumpenden Bässen und einer sanften Orgel weiter. Nicht mehr kämpfen müssen. Die Sorgen vergessen. „Du fragst, ob ich glücklich bin?“, singt Wonder in der fünften Strophe. „Nein, ich bin ekstatisch.“

Musikalisch ist der August im Vergleich mit anderen Monaten eindeutig zu kurz gekommen. Es gibt die Folkbluesballade „Cold Wind in August“ von Van Morrison sowie den Sehnsuchtssong „Time for August“ der Jazzsirene Julie London. Und Sting besingt maritim die „August Winds“. Man muss wohl von einer Flaute sprechen. Christian Schröder

FERRAGOSTO IN ROM

Ach ja, die Religion. Schnappt sich die heidnischen Feiertage, erklärt sie zu Christenfesten. Die Wintersonnenwende zum Beispiel, vulgo: Weihnachten. Oder den heißesten Tag des Jahres, die Feriae Augusti (benannt nach Kaiser Augustus) Mitte des Monats. Am 15. August zelebrieren die Katholiken Mariä Himmelfahrt, der älteste Feiertag überhaupt in unseren Breitengraden. Nun könnte man – auf die Gefahr zusätzlich erhöhter Schweißperlenproduktion – die blasphemische Frage stellen, ob selbst die Muttergottes die Brüllaffenhitze gefürchtet hat und deshalb ausgerechnet im August in kühlere Himmelsgefilde entfleuchte.

Man kann aber auch einfach Ferragosto feiern. Hundstage sind Familientage: In Italien – wo sich der römische Kalendertag in der Vokabel erhalten hat – ist Ferragosto der Inbegriff von Ferien schlechthin. Ein paar Tage steht das ganze Land still, ein jeder huldigt Maria oder jedenfalls der Familie und dem dolce far niente. Will heißen: Die Römer, Mailänder, Neapolitaner, sie alle verlassen die Stadt und schwitzen im Stau, um dann irgendwo an der Adria Sardinenbüchse zu spielen. Nur ein paar bleiben zurück: die Alten, die 80-, 90-Jährigen, die keiner mit am Strand haben will. „Pranzo di ferragosto“ heißt der Kinopublikumshit von 2008, der sich einen Spaß daraus macht. Da der arme Giovanni – von Regisseur Gianni di Gregorio mit selbstironisch autobiografischer Note persönlich gespielt – wegen seiner kränkelnden Mutter nicht wegfahren kann, parken Nachbarn und Bekannte weitere schrullige Mütter und Tanten bei ihm. Die Folge: Festschmaus, Party, Rebellion.

Ach ja, die Liebsten und der August. Man lässt sich gehen und schon liegen alle im Clinch, es muss an den Temperaturen liegen. Meryl Streep und Julia Roberts tragen ihren Mutter-Tochter-Konflikt im „August in Osage County“ aus, Sebastian Schipper verlegt seine Leinwandversion von Goethes „Wahlverwandtschaften“ ebenfalls auf „Mitte Ende August“. Und der Held von „Oslo, 31. August“? Erlebt den September nicht mehr, genau wie Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“.

Apropos Vergänglichkeit: 200 Jahre nach Augustus taufte Kaiser Commodus, ein mieser Egomane, die Monate um und gab dem August seinen Namen. Das Volk fand das gar nicht kommod, der Kaiser wurde ermordet. Seitdem feiern sie wieder Ferragosto in Rom. Christiane Peitz

TSCHINGDERASSABUM UNTER DEN LINDEN

Es war wohl der letzte Krieg, der mit Jubelrufen begann. Am 1. August 1914 strömten sie vor dem Berliner Schloss zusammen, Männer mit Strohhüten, die sie begeistert schwenken. Mobilmachung, also Krieg. „Wenn das Laub fällt“, hieß es – dann sind sie alle wieder da, die von da an täglich in Güterzügen an die Front gefahren wurden. Es kam anders, aber der Sommer 1914 war ein fröhlicher, der letzte fröhliche Sommer.

Farbenfroh, so hat ihn der Amerikaner Marsden Hartley gemalt, er war Mitte dreißig, lebte in Berlin und war in einen schneidigen preußischen Offizier verliebt, den hat er immer wieder gemalt oder vielmehr dessen Uniform und Insignien, die ihn so faszinierten. Federbusch, Epauletten, Regimentsnummer, und ganz oben in einem Dreieck das Eiserne Kreuz, wie das Auge Gottes. Die Fahnen wehen, schon Adolph Menzel hatte die „Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870“ gemalt, der greise König fuhr da in seiner Kutsche Unter den Linden und die Häuser waren beflaggt. Das wurde 1870 ein recht kurzer Krieg, bald war der preußische König zugleich deutscher Kaiser, und fortan feierte man den Sedanstag, der fiel auf den Septemberbeginn.

1914 gab es allerdings nichts mehr zu feiern, ganz im Gegenteil. Schon wenig später, Ende August, brannte das deutsche Heer die belgische Stadt Löwen nieder, auch die Bibliothek mit ihren Schätzen wurde zerstört. Nun galten die Deutschen als „Hunnen“ und mussten das mit dem Versailler Vertrag teuer bezahlen. Der wurde 1919 unterzeichnet, Ende Juni, also schon wieder im Sommer. Der Maler Marsden Hartley war da längst aus Berlin weggegangen. Sein Freund, der Offizier, hatte tatsächlich das Eiserne Kreuz erhalten, Anfang Oktober. Zwei Tage darauf ist er in Nordfrankreich an der Front gefallen. Bernhard Schulz

IMMER WIEDER SONNTAGS

Es ist nicht leicht, an diesem warmen Juli-Donnerstagabend im „An einem Sonntag im August“ herauszufinden, woher dieses Café in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg seinen Namen hat. Klar, man ahnt es, will das aber von den Bedienungen bestätigt bekommen. Die Jungs hinter der Theke wissen es nicht, keine Ahnung. Auch die Frau, die draußen bedient, schüttelt den Kopf. Erst die vierte Service-Kraft, ein junger Bartträger, sagt, dass damit an den Tag des Mauerbaus 1961 erinnert werde, der ein Sonntag war. Seine Kollegin zweifelt weiter: „Das war doch kein schöner Tag! Danach ein Café zu benennen, ist komisch!“ Da hat sie recht, aber andere Läden hier in der Gegend heißen ja auch „Lass uns Freunde bleiben“, „Entweder-Oder“, „Sowohl-als-auch“. So geschichtslos, wie es auf der Kastanienallee zugeht, hat dieser Name zumindest historischen Charme – obwohl die Betreiber auf ihrer Website stolz darauf hinweisen, dass Eingeweihte nur noch vom „Café Sonntag“ sprechen.

Alexander Kluge hat den August vor ein paar Jahren in einem schönen August-Interview als „stillstehenden Teich“ bezeichnet, als Monat, „in dem jegliche Betriebsamkeit gesenkt“ werde – davon kann im „An einem Sonntag im August“ keine Rede sein, zu keiner Zeit des Jahres. Obwohl man sich Mühe gegeben hat, Ruhezonen zu schaffen. Die Terrasse draußen wird von Pflanzen unterteilt, gerade läuft der einstige Bremer SPD-Bürgermeister Henning Scherf mit seiner Frau vorbei, warum auch immer. Und drinnen stehen alte Sofas und Sessel und eine Art Tribüne mit Sitz- und Lesekissen. Tatsächlich gibt es auch Bücher in Kisten. Ein zufälliger Griff in die eine fördert ein Buch mit dem Titel „Generation Maybe“ zutage, der Griff in eine andere einen Band mit Prosa, Skizzen und Gedichten von Volker Braun. So reichen sich hier Vergangenheit und Gegenwart doch noch schön die Hand. Gerrit Bartels

NUN HEBT DAS JAHR DIE SENSE HOCH

Eine hübsche Auftragsarbeit muss das damals, 1953, für Erich Kästner gewesen sein, alle paar Wochen ein Poem für die „Schweizer Illustrierte“: Gedichte über die zwölf Monate, viel Natur, bisschen Brauchtum, dazu eine Prise Besinnlichkeit, so hatten sich die Zeitschriftenleute das vorgestellt. Kästner lieferte pünktlich – und verriet später, wie er sich, als naturfern lebender Großstädter, jeweils einstimmte aufs Dichten: „Links von Block und Bleistift lag der fünfte Band des Kleinen Brehm, ,Die deutsche Tierwelt‘. Zur Rechten lagen ,Unsere Pflanzenwelt‘ und ein Leitfaden, der, fragwürdig genug, ,Die deutsche Schulflora‘ hieß.“

„Die dreizehn Monate“ – für die Buchausgabe erfand der Mittfünfziger einen Fantasiemonat hinzu – sollte der letzte Lyrikband Kästners werden. Es hoppeln darin im April die Osterhasen, der Karneval tanzt durch den Februar, Amsel, Drossel, Fink und Star sind ganzjährig zugange, Stockrosen und Sternschnuppen zeigen sich saisonal – kurzum, das „Alle Jahre wieder“-Theater ließ sich auch famos in Verse fassen. Es gibt in diesem Vademecum durchaus Gedichte, die eher von der Transpiration als der Inspiration des Verfassers künden, aber es gibt auch den Januar (kühl und schön), den Mai (wunderschön) und den Dezember (zum Weinen schön). Und es gibt den August.

„Nun hebt das Jahr die Sense hoch / und mäht die Sommertage wie ein Bauer. / Wer sät, muß mähen. / Und wer mäht, muss säen. / Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.“ So fulminant lapidar geht die erste von sechs fünfzeiligen Strophen, und endlich findet der Autor für seinen durch die Gedichte geisternden Gedanken von der Doppelgesichtigkeit der Zeit eine griffige Formel. Für den individuellen Schmerz über das Vergängliche und den universellen Trost, der sich in der steten Erneuerung der Natur offenbart. Starker Schmerz, ja, und schwacher Trost. Und dann doch ein tiefer Trost, mit dem der alternde Dichter seinen Lesern Mut macht für die späteren Lebensrunden.

Kein Wunder, dass diese Melancholie ausgerechnet im August so wuchtig durchschlägt. Das Jahr ist über seinen Zenit hinaus, und schon packt uns Menschlein die „Verweile doch“-Panik. Kästner empfiehlt lieber, den Widerspruch auszuhalten: „Nichts bleibt, mein Herz. Bald sagt der Tag Gutnacht. / Sternschnuppen fallen dann, silbern und sacht / ins Irgendwo, wie Tränen ohne Trauer. / Dann wünsche deinen Wunsch, doch gib gut acht! / Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.“ Jan Schulz-Ojala

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