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Foto: Rico Puhlmann / dpa

© Rico Puhlmann / picture-alliance / dpa/dpaweb

Kultur: Der Blues vom alten West-Berlin

Sakrileg oder Liebeserklärung? Der Kölner House-DJ Hans Nieswandt hat Songs von Hildegard Knef aktualisiert. Sein Remix-Album, das die Jazzschlager der Diva in die Techno-Ära überführt, gehört zu den erstaunlichsten Veröffentlichungen elektronischer Musik der letzten Jahre

Was ist Berlin? „Die St-St-St-St-Stadt, die meine Liebe hat“, stottert und hallt es durch ein Disco-Inferno. House-Rhythmen hämmern, das Hi-Hat zischt, Beeps beepen schrill. „Genau in den Mittelpunkt der Welt hat der Herrgott sie hingestellt.“ Eine Liebeserklärung, zu der man tanzen kann: „Das ist Berlin“. So heißt das Lied, es ist eine einzige Berlin-Lobpreisung. Die Stimme, ein übermütiger Alt, gehört unverkennbar Hildegard Knef. Die Rhythmen stammen vom Kölner Star-DJ Hans Nieswandt und seiner Band Whirlpool Productions.

Die Knef ist vor zehn Jahren gestorben, aber ihre Songs leben weiter. Und in der Stadt finden sich sowieso noch überall Orte, die ihre Aura verströmen, eine Mischung aus Trotz, Divenhaftigkeit und Unernst. Es sind Häuser und Ecken, von denen eine eher raue Poesie ausgeht. Hans Nieswandt sitzt im Biergarten des Kreuzbergers Cafés Stresemann und bestellt Toast Hawaii mit Preiselbeeren. „Hätte die Knef hier sicher auch gegessen“, sagt er. Das Café Stresemann ist seit West-Berliner Tagen eine Institution. Sein holzvertäfelter Schankraum erinnert an die Zeiten, als vom Anhalter Bahnhof schräg gegenüber noch mehr stand als bloß der Kriegsbombenstummel des Portals. Eine untergegangene Welt, die Knef auf ihrem Album „Heimwehblues“ beschwor, von der das Original von „Das ist Berlin“ stammt.

Nieswandt gerade erschienenes Album „Hildegard Knef Remixed“ gehört zu den erstaunlichsten Veröffentlichungen elektronischer Musik der letzten Jahre. Die Platte enthält zwölf Bearbeitungen von Knef-Titeln aus ihren Alben „Applaus“ (1975), „Bei dir war es immer so schön“ (1976) „Lausige Zeiten“ (1977), „Heimweh-Blues“ (1978). Ihre großen kommerziellen Erfolge hatte Knef da bereits hinter sich. Sie war vom Decca-Label zum Philips-Konzern gewechselt, durchlebte einen Rosenkrieg, in dem sie mit dem zweiten Ehemann David Cameron auch ihren Produzenten verlor, die Zusammenarbeit mit ihrem Hauskomponisten Hans Hammerschmid lief langsam aus. „Gib niemals auf!“, fordert sie in der nun mit elastisch federnden Nieswandt-Beats unterlegten Kopf-hoch-Hymne „Lass das Vergangene vergangen zu sein“.

Hans Nieswandt empfand es als „Privileg“, die Stücke, die Hildegard Knef mit Orchesterbegleitung in Münchner und Berliner Studios aufgenommen hatte, bearbeiten zu dürfen. „Ihre Musiker waren Virtuosen mit Jazz- oder Klassikhintergrund, die Toningenieure absolute Experten. Ich wollte diese Leute glänzen lassen, nicht verbraten“, sagt er. Die Aufnahmen waren auf bis zu 20 analogen Tonbandspuren gemacht worden, von denen – das erklärt die Klangopulenz – schon mal fünf fürs Schlagzeug, drei für die Bläser und sechs für die Streicher reserviert waren. Nieswandt hat die Spuren digital auseinandergenommen, hier den Bass nach vorne geschoben, dort den Rhythmus beschleunigt, an der Bassdrum geschraubt oder den Gesang zum Loop geflochten. Er arbeitete vor allem daran, „die Sachen zum Grooven zu bringen, tight zu machen“.

Knef-Hits wie „Von nun an ging’s bergab“ oder „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ fehlen auf dem Album. Dafür hat „Du bist mein Salz in der Suppe“ jetzt einen Reggae-Rhythmus bekommen, und „Guten Morgen Paul“, Knefs Liebeserklärung an ihren dritten Ehemann Paul von Schell, ist zum Bastard aus Synthie-Streicherschmelz und Technobumms geworden. Großartig der surreale Drive, den die Wortkaskaden der Sängerin in „Das Jahr 2000“, einer Zukunftsvision von 1977, zu Klavierkadenzen und Beckenschlägen entwickeln: „Das Jahr 2000, werden wir es noch sehen? / Das Jahr 2000 mit Schnellstraßen und Pisten, Computerlisten / Und Röntgenaugen und Abwasserlaugen, mit Banken und Banken von Frisco bis zum Ural.“ Am Ende säuseln Chöre: „das Jahr 2000“. Das ist Spoken Poetry, eigentlich schon HipHop, geboren aus dem Geist der Hippie-Ära. Auf den Dancefloor drängt diese Musik nicht unbedingt, die Platte soll, so stellt Nieswandt sich das vor, „in Cafés genauso wie im Frisörsalon“ laufen.

Ob sie der Diva gefallen hätte? „Ich glaube schon“, sagt Nieswandt. „Sie war immer an aktueller Musik interessiert und hatte keine Angst vor verzerrten Gitarren oder psychedelischen Soundeffekten.“ Unbedingt clubtauglich ist der Remix von „Das ist Berlin“. Er findet sich nicht auf dem Album, sondern, zusammen mit drei anderen Knef-Titeln, auf einer 12-Inch-Vinylplatte, für die Hans Nieswandt noch einmal Eric D. Clark und Justus Köhncke zusammentrommelte. Ihre Formation Whirlpool Productions hatten sie im Jahr 2000 auf Eis gelegt, weil Clark und Köhncke nach Berlin gezogen waren. Die Beats pumpen euphorisch, und Hildegard Knef seufzt: „Das ist Berlin, Berlin, die ewig junge Stadt“. Christian Schröder

„Hildegard Knef Remixed“ von Hans Nieswandt ist bei bureau b erschienen.

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