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Kultur: Der Burger King

Wer seine Geschichte erzählt, kann die verschiedensten Motive haben. Manche haben das Bedürfnis, zwischen den disparaten Augenblicken ihres Lebens einen Zusammenhang herzustellen, der das Zufällige der eigenen Person überdeckt.

Wer seine Geschichte erzählt, kann die verschiedensten Motive haben. Manche haben das Bedürfnis, zwischen den disparaten Augenblicken ihres Lebens einen Zusammenhang herzustellen, der das Zufällige der eigenen Person überdeckt. Andere wollen eine übersehene Wahrheit aussprechen. Wieder andere setzen sich in Szene, um Anerkennung zu finden. Noch andere spüren einen Drang, sich zu rechtfertigen. Warum ich wurde, was ich bin: Das zu erklären, vor sich selbst und einem heimlich präsenten Publikum, ist der Traum jedes autobiographischen Erzählers und das Trügerische daran seit Rousseaus "Konfessionen" bekannt. Das Seltsame bei Sascha Anderson ist, dass er alle Motive gleichzeitig für sich beanspruchen könnte, ohne jemals zu hoffen, etwas anderes als Fiktion zu produzieren. Denn sein Geschäft ist die Erweiterung von Tatsachen um eine ästhetische Dimension: die Lektüre der eigenen Person als Text zum Zweck der moralischen Selbsterfindung.

Ein später Freitagvormittag im Schummerlicht des Berliner "Kaffee Burger", ein Pressegespräch zu Andersons "Sascha Anderson". Es gehe ihm nicht darum, die Deutungshoheit über sein Leben zu gewinnen, sagt er, und er hat gute Gründe, warum ihm das - sowenig wie jemand anderem - gelingen sollte. Sehr wohl scheint es ihm aber darum zu gehen, die Zahl der in Umlauf befindlichen Interpretationen zu erhöhen. "Für mich ist das Buch die Entscheidung, die Gründe für das, was ich getan habe und tue, auschließlich in meiner Biographie zu suchen", erklärt er in einem eigens für die Veranstaltung geschriebenen Text. Denn "das, was ich war, ist nicht an dem festzumachen, was wir sind".

Es ist nur einer dieser Sätze, die man aufs entschiedenste verteidigen und zugleich ablehnen muss, weil damit schon manches Unrecht entschuldigt worden ist. Aber so funktionieren seine Gedankenfiguren: Die eine Hälfte hält man ihm zugute, die zweite wird damit neutralisiert. Es geht dabei nicht einfach um Schizophrenie oder Verdrängung. Es geht um die friedliche Koexistenz der Bestandteile einer multiplen Persönlichkeit, die in Sascha A. & B., dem Szenehelden aus Prenzlauer Berg und dem Stasi-Spitzel, nur ihre vorläufigste Beschreibung findet. Die Faszination seiner Intelligenz, seiner Empfindsamkeit und Verletzlichkeit, auf die hinzuweisen sich im Blick auf Andersons Opfer eigentlich verbietet, gehören dazu. In seinem Auftreten steckt auch nicht einfach ein Kalkül in exkulpatorischer Absicht. Es besitzt wahrscheinlich das Maß an Ehrlichkeit, zu dem er fähig ist: Jede Enthüllung ist zugleich eine Verschleierung.

Erklären, wie das einst mit der Stasi lief, kann sein Buch nicht. Aber es verrät auf gefährlichem Terrain jedem, der sich zu durchschauen glaubt, wie es steht um eine allzu einfache Wahrheit, die Nietzsche als "bewegliches Heer von Metaphern" charakterisierte. Da ist einer, der sich als Protagonist eines Texts fortlaufend entwischt. Da ist aber auch einer, der die Regeln des Miteinander verletzt hat. Beides zusammenzubringen, ist die Aufgabe bei Sascha Anderson.

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