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Kultur: Der Charmeur mit dem Samtbariton

Die Zeit ist reich und experimentierfreudig, als der junge Bariton Barry McDaniel aus Kansas zur Deutschen Oper Berlin stößt. Ja, damals: In der Regel gibt es unter der Intendanz Gustav Rudolf Sellners jedes Jahr eine Uraufführung, und die Chronik verzeichnet, daß McDaniel sogleich in "Montezuma" von Roger Sessions (1964), "Der junge Lord" von Hans Werner Henze (1965) und "Amerika" von Haubenstock-Ramati (1966) dabei ist.

Die Zeit ist reich und experimentierfreudig, als der junge Bariton Barry McDaniel aus Kansas zur Deutschen Oper Berlin stößt. Ja, damals: In der Regel gibt es unter der Intendanz Gustav Rudolf Sellners jedes Jahr eine Uraufführung, und die Chronik verzeichnet, daß McDaniel sogleich in "Montezuma" von Roger Sessions (1964), "Der junge Lord" von Hans Werner Henze (1965) und "Amerika" von Haubenstock-Ramati (1966) dabei ist. Er kommt in ein Ensemble, in dem Namen wie Grümmer, Otto, Köth, Fischer-Dieskau, Grobe, Lorengar, Greindl dominieren. Aus dem Amerikaner in Berlin wird der Berliner Sänger, der - trotz der angemessenen internationalen Ausflüge - "Zugehörigkeit und Stolz auf unsere Oper" empfindet, "dieses herrliche Gefühl", das mit "Spaß am Theater", "Familie" und "Verantwortung für das Haus" zu tun hat. Nun gilt es, von der Bühnenlaufbahn und "meinem so überaus treuen Publikum" Abschied zu nehmen.

1962 fängt er an der Deutschen Oper klein an, um unverwechselbar original zu werden. Der Charmeur mit dem Samtbariton trifft auf den spielbegabtesten der lyrischen Tenöre, Donald Grobe. Ob beim "Barbier von Sevilla", in "Capriccio", "La Cenerentola", "Così fan tutte" oder der "Fledermaus" - die beiden werden in ihrer zwillingshaften darstellerischen Übereinstimmung als "Star-Besetzung" an der Bismarckstraße gehandelt. McDaniels Talent umfaßt zudem die Fülle eines Repertoires von dem schneidend artikulierten, süffisanten Sekretär im "Jungen Lord", wie ihn sich Ingeborg Bachmann zusammen mit Henze für die Deutsche Oper ausgedacht hat, bis zu seinem warm timbrierten Harlekin in "Ariadne". Unzählige Male und unvergeßlich ist die Rolle des Ersten Gefangenen in "Fidelio" mit McDaniel besetzt - im Theaterrepertoire ein Luxus, aber der Utopie des Werkes nur allzu gerecht: "Wir werden frei", gesungen von einem in der Masse, der das Motto der Freiheitsoper Beethovens individuell artikuliert.

Zu der schönen Baritonstimme kommt nämlich eine Tiefendimension, weil Barry McDaniel Ohren hat, auf Musiker wie seine Berliner Lehrerin Margarete von Winterfeldt, auf Hertha Klust, die legendäre Liedbegleiterin, und Aribert Reimann zu hören. Nach der Uraufführung von Reimanns "Melusine" (1971) tragen Komponist und Sänger auf dem Podium der Philharmonie ihre gemeinsame Erschließung der Schubertschen "Winterreise" vor. Es folgt, was folgen muß: McDaniel singt Reimann, am Klavier begleitet von Reimann, "Nachtstück II", einen neuen Eichendorff-Zyklus neben dem von Robert Schumann in demselben Konzert. Der baritonale Liedersänger McDaniel behauptet sich, obwohl er im Zeitalter Fischer-Dieskaus keinen leichten Stand hat, und kreiert, diesmal mit dem Kreuzberger Streichquartett, eine weitere Reimann-Komposition: "Unrevealed" auf Texte von Lord Byron. Da die Bühnenrollen bescheidener werden, besinnt er sich auf die Songs seiner Heimat und Kindheit, die er schon im Elternhaus gesungen hat. Mit "leichter Muse" wird er jetzt zum letztenmal öffentlich auftreten.

"Natürlich" will er auch künftig Berliner bleiben, weil ihn nach 37 Jahren künstlerischer Arbeit wahlheimatliche Bindungen in der Stadt halten. Im Oktober feiert er seinen 69. Geburtstag. Noch kann er sich kaum vorstellen, "wie das geht ohne Aufregung", nach dem Beruf. Bezeichnend für den Menschen Barry McDaniel sind nicht zuletzt die Rollen und musikalischen Aufgaben, die er als seine liebsten nennt: Papageno (der bei ihm niemals eine ungebrochene Figur war), Pelléas, die Christus-Partie in der Matthäus-Passion und die "Winterreise".

Heute in der Deutschen Oper, 20 Uhr.

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