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Kultur: Der Deutsche glaubt an schwarze Magie

Experten-Republik: In der Videoinstallation „Unser Ausland“ nehmen zehn Ausländer ihre Wahlheimat unter die Lupe

Sie leben seit Jahren als „Ausländer“ in Deutschland, einem Land, das ihnen mancherlei Rätsel aufgibt. Warum sind die Deutschen faul? Warum vernachlässigen sie ihre Familie? Was treibt deutsche Jura-Studenten dazu, immer das Richtige sagen zu wollen? Warum leiden so viele Deutsche an Leberenergiestau und warum wollen sie immer Samba tanzen, obwohl sie es gar nicht können? Solchen und anderen Fragen sind die 10 Männer und Frauen aus Polen, Burundi, Südkorea oder Indien nachgegangen, bis sie in einem Land voller Fachleute selbst zu Experten wurden. Die Autorin und Filmemacherin Dorothee Wenner hat sie vor der Kamera befragt. So entstand eine 120-minütige Videoinstallation (Produktion eins/cine plus für Gesicht Zeigen!), die ins Herz deutscher Lebensweisen blickt. Im Folgenden dokumentieren wir einige Resultate dieses ungewöhnlichen Feldversuchs.

Christo Bakalski, Filmproduzent, leitete das bulgarische Kulturinstitut in Berlin: „In Deutschland ist kein Thema zu unwichtig oder zu abseitig, um nicht einen Verein gründen zu können, der sich dann genau mit diesem Spezialgebiet beschäftigt. So gibt es deutschlandweit 29 deutsch-bulgarische Kulturvereine. Ich selbst habe gerade den 30. gegründet. Er heißt Bulcult e.V.. Was mir aufgefallen ist am deutschen Vereinswesen, ist, dass Vereine kleine Männer groß machen. Und zwar gibt es bestimmte Rituale, die für die Herren – oft schon in fortgeschrittenem Alter – sehr wichtig sind. Sie ziehen sich sehr schön an, wenn sie zu einer Vereinssitzung gehen. Und dort ist es wichtig, dass es ein Mikrophon gibt. Oft weigern sich die Herren, ohne Mikrophon zu sprechen. Es gibt Urkunden, die verliehen werden. Der Grund für das Beisammensein ist, der Wunsch vor dem wirklichen Leben zu fliehen und einen Rahmen zu finden für diese Dinge, dass es zum Flirt kommt, dass es ein feucht fröhliches Besäufnis wird. Aber alles passiert in einem Rahmen und darf nicht außer Kontrolle geraten. Ich kann mir auch keinen Verein ohne Querulanten vorstellen. In erster Linie sind es ältere Herren, die nicht in der Lage sind, mit sieben weiteren Personen einer Meinung zu sein. Sie überschreiten alle möglichen Grenzen, nur riskieren sie nie, hinausgeworfen zu werden. Man rutscht schnell in einen Verein hinein. Aber es ist ganz schwierig, aus einem Verein wieder auszutreten.“

Augustine Thullah, aus Sierra Leone, arbeitet seit 18 Jahren als KFZ-Mechaniker: „Meistens kommen Leute in meine Autowerkstatt und fragen: Wo ist der Chef? Sie können es einfach nicht glauben, dass ein Afrikaner Autos reparieren kann! In Deutschland gibt es viele Leute, die ihr Auto wirklich lieben, so sehr, dass man sagen kann, sie sind autokrank. Alle denken, die Deutschen sind so vernünftig. Das stimmt auch. Nur von Autos sind sie wie besessen. Das ist wie eine Religion, für die sie ihr ganzes Geld opfern. Sie sind so besessen von Autos, dass sie wissen, welches Geräusch zu welchem Motorentyp gehört. Das ist wie bei uns in Afrika: Wir können Vogelstimmen voneinander unterscheiden. Normalerweise schlafen am Sonntag in Deutschland alle. Die Geschäfte sind geschlossen. Nur die Automärkte sind auf, und alle sind ab sechs Uhr morgens da. Und ich glaube, dass die Deutschen wie wir Afrikaner an schwarze Magie glauben. Wenn sie ihr Auto anmelden wollen, dann muss auf dem Kennzeichen der und das Geburtsdatum stehen. Wenn das nicht geht, machen sie Ärger.“

Francoise Cactus, Musikerin aus Frankreich, ist Sängerin und Schlagzeugerin bei Stereototal: „Ich habe mich oft gefragt, warum fast allen deutschen Männern die Haare ausfallen, sogar bei ganz jungen sieht man schon Geheimratsecken. Vielleicht liegt es an der schlechten Luft, oder an der schlechten Ernährung? Oder vielleicht rollen sich wegen der ewigen Kälte die Haare mit so einer kleinen Kurbel zurück in den Kopf und kommen später am Körper wieder heraus? Einem Freund von mir sind sämtliche Haare ausgefallen, als seine Freundin ihn verlassen hatte. Eine richtige Pleite ist es, wenn man Haarausfall hat – und dann auch noch eine beschissene Kopfform zum Vorschein kommt.“

Wladimir Kaminer, Schriftsteller und Erfinder der „Russendisko“: „Was ist eigentlich das Klischee einer ,russichen Frau’? Ich glaube, es ist das Bild von leidender Schönheit, die unbedingt gerettet werden muss. Mir sind viele Fälle bekannt, in denen deutsche Männer mit dem heimlichen Traum nach Russland fahren, dort eine bildhübsche Frau kennen zu lernen, die unbedingt von ihnen gerettet werden muss. Die russischen Frauen mögen die deutschen Männer, weil sie zahm sind, halbwegs gute Manieren haben und nicht so geizig sind wie die Finnen. Die Deutschen lernen in Russland innerhalb von 24 Stunden die Frau ihres Lebens kennen. Zurück in Deutschland wissen die Männer oft nicht, was sie mit einer geretteten Frau machen sollen. Weil russische Frauen selbstbewusst und gar nicht unterwürfig sind, glaube ich, dass die deutschen Männer schon ahnen, was auf sie zukommt, wenn sie eine Russin heiraten. Tatsächlich kann man sich nichts teureres vorstellen als eine russische Braut. In meinen literarischen Werken warne ich immer vor solchen Beziehungen.“

„Unser Ausland“ ist vom 23.-29.8. in der Dresdner Bank (Pariser Platz), 2.-7.9. im Stilwerk (Kantstraße), 9.-15.9. im Schwimm- und Sportzentrum am Velodrom, 16.-22.9. im Roten Rathaus sowie u.a. im Urban-Krankenhaus und Flughafen Tempelhof zu sehen.

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